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Ausnahmezustand. Bei Amokdrohungen - wie hier 2008 in einem Kreuzberger Oberstufenzentrum - sind die Schulpsychologen besonders gefragt. Der Amoklauf von Winnenden hatte 2002 dazu geführt, dass bei den Berliner Schulpsychologen - anders als geplant - nicht gekürzt wurde.

© iFoto: Mike Wolff

Hilferuf: Ein Psychologe für 6000 Schüler

In den Mittelschichtbezirken müssen Eltern bis zu drei Monate auf einen Termin warten, nachdem die Bildungsverwaltung das Personal neu verteilt hat.

Wird Ihr Kind gemobbt oder ist es hochbegabt? Oder beides? Hat es Schmerzen, die vielleicht psychosomatisch sind? Hat es Schwierigkeiten beim Rechnen? Fehlt die Motivation? Ist es zu jung für die Schule? Oder sind Sie eine Lehrkraft, die Ärger mit der Schulverwaltung hat? Oder ein Schüler, der nicht weiter weiß? Wenn Sie eine dieser Fragen bejahen, erfüllen Sie die Bedingungen, um sich Hilfe von Schulpsychologen holen zu können. Denn Schulpsychologen sind für fast alle und alles da.

Zwei Dutzend Aufgaben haben die Schulpsychologen

So steht es jedenfalls auf der Homepage der Bildungsverwaltung: Eltern, Lehrer und Schüler können bei ihnen um Rat fragen. Zwei Dutzend Problemfelder fallen in ihr Ressort. Was auf der Homepage nicht steht: Ein einziger Schulpsychologe muss sich in Berlin rein rechnerisch um 3000 bis 6000 Schüler kümmern. Beziehungsweise um acht bis 16 Schulen – je nachdem, in welchem Bezirk er arbeitet. Dagegen gibt es Protest.

Der schulgesetzliche Auftrag sei „in einigen Bezirken nicht mehr zu erfüllen“, heißt es in einem Vermerk, den die Leiterin des schulpsychologischen Beratungszentrums Pankow, Beate Dapper, an alle Schulen ihres Bezirks geschickt hat. Denn in Pankow – und auch in Treptow-Köpenick und Steglitz-Zehlendorf – hätten Personalverlagerungen dazu geführt, dass ein Psychologe inzwischen für mehr als 5000 Schüler zuständig sei. 5000 galt bislang als Schallgrenze.

Je mehr sozial schwache Familien, umso mehr Psychologen

Grund für die Veränderung sind neue Vorgaben der Bildungsverwaltung unter Senatorin Sandra Scheeres (SPD). Sie besagen, dass sich die Personalausstattung noch stärker als bisher nach der sozialen Lage der Bezirke richten soll: Je mehr Schulen über 40 Prozent Kinder aus sozial schwachen Familien betreuen, desto mehr Schulpsychologen stehen dem Bezirk zu. Als Indikator gilt die Befreiung von der Pflicht, Schulbücher selbst anzuschaffen. Diese sogenannte Lernmittelbefreiung (LMB) steht Kindern zu, deren Eltern Sozialtransfers erhalten.

Auch bisher spielte dieser Anteil eine Rolle, allerdings wurde nur berücksichtigt, wie viele Kinder insgesamt im Bezirk lernmittelbefreit sind. Da jetzt auch noch die Zahl der Schulen mit über 40 Prozent LMB-Kindern den Personalanspruch erhöht, „wird der Faktor LMB verdoppelt“, schlussfolgert Dapper. Sie will zwar nicht in Abrede stellen, dass die Brennpunktschulen unter Umständen einen hohen Bedarf an psychologischer Beratung haben. Allerdings könnten diese Schulen ja zusätzliche Psychologen mit Hilfe des Bonusprogramms anstellen. Dieser Ausweg stehe den Schulen ohne Brennpunktstatus nicht zu.

"Es gibt eine greifbare Verschlechterung"

Dapper kennt beide Seiten, da sie seit einiger Zeit auch die Neuköllner Schulpsychologie kommissarisch leitet. Deshalb will sie auch nicht, dass die Brennpunktbezirke Stellen verlieren. Dennoch müssten die„Mittelschichtbezirke“ mehr Hilfe bekommen, um zumindest die Richtlinie von 5000 Schülern nicht zu überschreiten.

Klaus Seifried leitet die Schulpsychologie in Tempelhof-Schöneberg.
Klaus Seifried leitet die Schulpsychologie in Tempelhof-Schöneberg.

© privat

Die Bildungsverwaltung hält Dapper entgegen, dass jeder Bezirk Verstärkung durch „Beratungslehrer“ erhalte. Allein in Pankow seien das 90 Stunden pro Woche. Das lassen die Kritiker der Sparmaßnahme nicht gelten: „Beratungslehrer sind keine Psychologen, sondern lediglich fortgebildete Lehrer“, wehrt ein Schulleiter das Argument ab. Auch der renommierte Berliner Schulpsychologe Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologen beanstandet die „greifbare Verschlechterung“, da gerade in den bürgerlichen Bezirken die „Akzeptanz und Inanspruchnahme von schulpsychologischer Beratung größer ist“. Anders ausgedrückt: In Bezirken wie Pankow und Zehlendorf suchen mehr Eltern Rat als in Neukölln, wo weniger Familien wissen, dass es diese Einrichtung überhaupt gibt. In den Brennpunkten sind es dann eher die Lehrer, die Hilfe suchen.

Die GEW fordert eine Verdopplung der Stellen

Der internationale Standard liegt bei Seifried verweist auf den „internationalen Standard“, der eine Relation von einem Psychologen für 1000 bis 2000 Schüler vorsieht. Wenn inklusive Schule gelingen solle, brauche sogar „jede größere Schule einen Schulpsychologen, Sonderpädagogen und Schulsozialarbeiter“.

In Bezug auf die inklusive Schule sieht auch die Bildungsverwaltung Handlungsbedarf. In diesem Kontext werde die Personalzumessung „noch mal neu diskutiert“, stellte Sprecherin Beate Stoffers in Aussicht. Diese Aussage beruhigt die Gemüter allerdings kaum. Im Gegenteil: Im Zuge der Inklusion werden einige Stellen aus dem Pool der Schulpsychologen herausgenommen und umgewidmet in Leitungsstellen der neuen bezirklichen Beratungszentren für die inklusive Schule, erläutert Matthias Siebert vom Vorstand der Vereinigung der Schulpsychologen in der GEW. Damit stünden diese Stellen nicht mehr für schulpsychologische Aufgaben zur Verfügung. Siebert befürchtet dahinter eine weitere Personalkürzung. Die Vereinigung fordert, dass in einem ersten Schritt nicht mehr als 5000 Schüler und mittelfristig nur noch 2500 auf einen Schulpsychologen kommen - unabhängig von der sozialen Zusammensetzung des Bezirks. Schon jetzt gäbe es in den bürgerlichen Bezirken Wartezeiten von drei Monaten: „Nur Notfälle sind schneller dran“.

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