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Bei der Inklusion geht es darum, dass alle Kinder zusammen lernen und nach ihren spezifischen Bedürfnissen gefördert werden.

© dpa

Schulen in Berlin: Die Inklusion droht an fehlenden Lehrern zu scheitern

Die Schüler mit Behinderungen werden mehr, die Förderstunden weniger und vom Konzept der Bildungssenatorin hört man nichts mehr: So kann Inklusion nicht gelingen, warnen Schulleiter und Gewerkschaften.

Die Euphorie hat sich in Frustration verwandelt – so fasst Lothar Semmel vom GEW-Verband der Berliner Schulleiter (VBS) die Haltung vieler Pädagogen zur Inklusion zusammen. „Alle fortschrittlichen Kollegen haben damals die Inklusion als richtigen Weg begrüßt. Aber mit der Ausstattung, die wir haben, kann die Umsetzung nicht gelingen.“

Die Zahlen, die die GEW am Mittwoch vorlegte, sind eindrücklich. Während die Zahl der Schüler mit Behinderungen und Förderbedarf, die in Regelschulen unterrichtet werden, seit Jahren stark steigt, ist die Zahl der Lehrerstellen dafür kaum größer geworden. 1999 gab es 5120 Integrationsschüler, im Schuljahr 2013/14 waren es 12 330. Im gleichen Zeitraum gab es aber nur 200 entsprechende Lehrerstellen mehr. Vor 15 Jahren gab es noch fünf Förderstunden pro Woche für Kinder mit Verhaltensstörungen (sogenannter „Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung“), inzwischen sind es noch zwei Extrastunden. „Eigentlich müsste die ganze Zeit jemand bei einem solchen Kind sitzen“, sagt Semmel. Jemand, der mit dem Kind rausgeht, wenn es einen Wutanfall hat, oder noch besser – jemand, der dafür sorgt, dass es erst gar nicht zu solchen Ausbrüchen kommt.

Die Realität sieht aber anders aus. Eine Lehrerin ist allein in einer Klasse, in der es ein Kind gibt, das Sprachstörungen hat. Die Pädagogin sieht, dass das Kind Zuwendung und Förderung braucht, sie kann ihm aber nicht helfen, weil sie sich um 24 andere Schüler auch noch kümmern muss. Bei der Lehrerin führt das zu Frustration, bei dem Kind, das ansonsten normal begabt ist, zu dem Gefühl, dass es nicht mitkommt und nur stört. „Und das kann dann dazu führen, dass das Kind noch eine Lernstörung oder eine Verhaltensstörung dazu bekommt“, beschreibt Robert Giese, Leiter der Fritz-Karsen-Schule in Britz eine Situation, wie er sie schon erlebt hat.

5000 Schüler bekamen weniger Förderstunden als ihnen zustehen

Eigentlich wäre es nötig, dass immer zwei Pädagogen in einer Klasse wären, da sind sich die Schulleiter einig. Aber es fehlt an allen Ecken und Enden. Dringend benötigte Sonderpädagogen sind bei den Lehrercastings kaum zu bekommen, erzählt Semmel. Rund 5000 Schüler in Berlin bekamen im letzten Schuljahr weniger Förderstunden als ihnen zustehen – das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Stefanie Remlinger hervor.

Statt aufzustocken, wird weiter gekürzt, gerade passierte das, wie berichtet, bei den Schulhelfern. Obwohl es in diesem Schuljahr 265 Kinder mehr gibt, die Unterstützung von Schulhelfern brauchen, ist die Gesamtzahl der Helferstunden nicht angehoben worden. Schulleiter Giese erläutert, was das praktisch bedeutet. An seiner Schule gibt es acht Kinder mit geistiger Behinderung, für die nach Gutachten insgesamt 58 Schulhelferstunden bewilligt worden sind. Eines der Kinder sitzt im Rollstuhl und ist so schwer behindert, dass es allein 30 Stunden davon benötigt, weil es rund um die Uhr Unterstützung braucht. Für die anderen sieben Kinder bleiben also nur 28 Stunden übrig, das sind umgerechnet nicht einmal eine Stunde am Tag. „Eines der Kinder benötigt Windeln und braucht auch dafür Unterstützung. Das ist aber nicht nur an einer Stunde in der Woche so.“

Inzwischen hat die Senatsverwaltung zwar nachgesteuert und weitere 750 000 Euro für Schulhelferstunden zugesagt. Das Grundproblem bleibt aber bestehen, sagt Inge Hirschmann vom Grundschulverband, die lange die inklusiv arbeitende Zille-Grundschule in Kreuzberg geleitet hat und jetzt ein Beratungszentrum zur Inklusion in Kreuzberg aufbaut. „Die Kinder und die Schulen brauchen Planungssicherheit. Schulhelfer sind für die Kinder wichtige Bezugspersonen, die ihnen in intimen Situationen helfen. Eine jährliche Neubeantragung steht dem entgegen.“

Dabei klang es doch gut und richtig: Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam lernen und aufwachsen – in Schulen, wo jeder nach seinem Tempo und seinen Fähigkeiten lernen kann und gefördert wird. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert das, und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wollte es zum Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen. Doch jetzt hört man kaum noch etwas davon. Ein letztes Jahr von einem Fachbeirat erarbeitetes Konzept liegt in den Schubladen der Senatsverwaltung, im jetzigen Haushalt sind für die Inklusion nur drei Millionen Euro für Fortbildungen, Umbauten und Beratungszentren vorgesehen. Nach GEW-Schätzungen wäre aber ein „hoher zweistelliger Millionenbetrag“ notwendig.

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