zum Hauptinhalt
Unterkunft im Flughafen. Mehre tausend Menschen leben im Flughafen Tempelhof.

© Kai-Uwe Heinrich

Update

Nach Massenschlägereien in Berlin: Helfer kritisieren unhaltbare Zustände in Flüchtlingsheimen

Nach den Schlägereien in Flüchtlingsheimen wächst die Kritik an den Berliner Massenunterkünften. Derweil hat sich die Lage dort wieder beruhigt.

Die Konflikte seien hausgemacht und Massenunterkünfte wie in den Hangars von Tempelhof menschenunwürdig: Der Berliner Flüchtlingsrat sieht die Ursache für die Schlägereien vom Wochenende in Tempelhof, Spandau-Hakenfelde und Kreuzberg in der schlechten Unterbringung der Menschen. 2300 Flüchtlinge, darunter 800 Minderjährige, müssten dort seit Wochen auf allerengstem Raum zusammenleben. „Dass eine solche extrem beengte und völlig unzureichend ausgestattete Massenunterkunft Aggressionen fördert, war absehbar“, kritisierte Flüchtlingsrat-Sprecher Georg Classen. Jeder Person stünden nur 1,5 bis 2 statt der gesetzlich vorgeschriebenen sechs bis neun Quadratmeter zur Verfügung. Statt ausreichender Sanitäranlagen gebe es lediglich Dixie-Toiletten ohne Möglichkeit zum Händewaschen, Duschen fehlten ganz, ebenso die Möglichkeit, Wäsche zu waschen.

Claudia Roth kritisiert Zustände am Lageso

Auch die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) ist schockiert über die Situation von Flüchtlingen. Sie äußerte sich zu den Zuständen am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. „Das sind Zustände, die auf eine große Überforderung hindeuten“, sagte die Politikerin am Montagmorgen bei einem Rundgang auf dem Gelände.

„Man hat den Eindruck, dass hier die Menschenwürde nicht im Vordergrund steht.“ Roth kritisierte insbesondere den Tonfall der Sicherheitsleute und ein aus ihrer Sicht undurchschaubares Terminsystem. Auch am Montag warteten vor dem Landesamt wieder Hunderte Flüchtlinge teils schon seit dem Vortag auf einen Termin - beispielsweise um ihre Hostel-Gutscheine zu verlängern. Bei der Öffnung des Geländes um 4.00 Uhr kam es zu einem Massenansturm auf ein Wartezelt.

In Spandau sollen Gründe des Streits geklärt werden

Im Spandauer Heim der Stadtmission versucht man unterdessen, die Ursachen des massiven Streits zu klären, die Menschen zu beruhigen. Außerdem überlegen die Betreiber, wie sich Alltagsabläufe stressfreier gestaltet lassen. Bereits geplante Verbesserungen könne man nicht verwirklichen, weil das zuständige Lageso die Stadtmission hinhalte, heißt es. Besucher der Notunterkunft rügten am Montag "unhaltbare Zustände" im Heim.

Was war geschehen? Es begann mit einer Banalität, die eskalierte. Sonntagmittag, Flughafen Tempelhof, Hangar 1: Hunderte Flüchtlinge stehen in der Schlange, sie wollen ihr Mittagessen holen, da wird von der Seite gedrängelt. Von nun an fallen nicht nur böse Worte, es fliegen Fäuste. Eine Massenschlägerei mit etwa 100 Beteiligten. In ersten Meldungen war sogar von 300 die Rede.

150 Polizisten im Einsatz

Die Bilanz eine Stunde später: 150 behelmte Polizisten sind im Einsatz. Krankenwagen vor dem Hangar, Polizeiautos, Blaulicht; es gibt drei Verletzte – zwei Sicherheitsmitarbeiter und ein Flüchtling. Die Polizei hat 23 Verdächtige vorübergehend festgenommen. Das Inventar ist zerstört. Heimleiter Michael Elias steht im Nieselregen vor dem Flughafen und sagt: „Hier ist die Stimmung völlig explodiert.“ Nach den Angriffen hatten er und seine 28 Mitarbeiter die Halle fluchtartig verlassen.

Es dauert eine Zeit, bis sich alle sortiert haben an diesem Sonntag. Dann lässt Innensenator Frank Henkel (CDU) mitteilen: „Es gibt Regeln in unserem Land. Wer sich nicht daran hält, für den gibt es bei uns auch andere Unterkünfte – mit verriegelten Türen und Fenstern.“ Er warne schon länger vor einer Eskalation: „Mit der steigenden Zahl von Massenunterkünften wachsen auch die Spannungen. Wir dürfen nicht zulassen, dass es irgendwann Tote gibt, wie schon in anderen Bundesländern.“

Helfer mit Flasche bedroht

Es war der dritte Großeinsatz in Flüchtlingsheimen für die Berliner Polizei am Wochenende. Zuerst musste sie am Samstagabend zu einem Heim in Kreuzberg fahren. Zwei junge Männer schlugen mit Gürteln aufeinander ein. Als sich ein Wachmann schlichtend dazwischen stellte, wurde plötzlich er zum Angriffsziel: Einer der Flüchtlinge, der sich verletzt hatte, zerschlug eine Flasche, bedrohte damit den Helfer.

Stunden später dann in Spandau, Ortsteil Hakenfelde, kurz vor Mitternacht: Auch hier prügeln Flüchtlinge aufeinander ein, auch hier eskaliert die Lage schnell. Die Notunterkunft an der Mertensstraße ist erst seit 16. Oktober geöffnet. Betreiber ist die Berliner Stadtmission. 1000 Flüchtlinge leben in der einstigen Zigarettenfabrik von „British American Tobacco, kurz: BAT. Die Lage ist kritisch, das zeigt sich schnell: Die Streitenden gehen plötzlich mit Feuerlöschern aufeinander los, die Polizei rückt aus mit 80 Männern – doch die Lage gerät außer Kontrolle.

Sieben Bewohner kamen ins Krankenhaus

Fenster werden zerstört, Sitzgarnituren umgeworfen und Feuerlöscher entleert. Schließlich verlassen 500 Menschen das Gebäude, weil ihnen der Staub aus den Feuerlöschern Angst macht. „Wir haben sieben Bewohner ins Krankenhaus gebracht“, sagte ein Sprecher der Feuerwehr am Sonntagmorgen.

Dann der Mittag in Tempelhof. Kurz nach der ersten Schlägerei berichtet die Gewerkschaft der Polizei von „Messern und Stangen“, mit denen die Flüchtlinge aufeinander losgegangen seien. Die Stimmung ist aufgeladen. Immer mehr Streifenwagen treffen ein, sogar aus weit entfernten Bezirken. Von Messern wird später keine Rede mehr sein, doch es gibt Verletzte. Krankenwagen bringen Sicherheitsdienstmitarbeiter in die Klinik, Lebensgefahr besteht offenbar nicht.

Die Polizei läuft durch die Tempelhofer Hangars, sie befragt Zeugen und sucht die Rädelsführer. Es gibt Festnahmen – zehn, elf, zwölf, immer mehr. „Wir haben etwa zwei Dutzend Menschen in Gewahrsam genommen“, berichtet die Polizei, als die Lage unter Kontrolle ist. Draußen trägt ein Beamter ein zerbrochenes Stuhlbein in einen Einsatzwagen – es ist womöglich die Tatwaffe, mit der ein Sicherheitsmann schwer verletzt worden sein soll.

Czaja will schnell handeln

Am Flughafen Tempelhof, wo sich auch das Polizeipräsidium befindet, mangelt es nicht an Sicherheitsexperten. Der frühere Polizeichef Dieter Glietsch ist Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, der langjährige Polizeiführer Klaus Keese koordiniert die Unterbringung am Tempelhofer Flughafen. Eigentlich dürfte nichts schiefgehen. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) will nun schnell handeln. „Wir werden uns mit der Polizei und dem Betreiber Stadtmission abstimmen, wie man ähnliche Vorfälle vermeiden kann.“

Innensenator Frank Henkel (CDU) geht noch weiter. Er ist der Ansicht, die Sicherheitskonzepte in den Flüchtlingsunterkünften seien anzupassen, bevor „die Berliner Polizei dort irgendwann zum Dauergast wird“. Es gehe um den „sozialen Frieden in unserer Stadt“. Das gelte vor allem mit Blick auf den Winter. „Es reicht nicht aus, einfach nur alle Hallen voll zu belegen. Darüber werden wir im Senat reden müssen.“ (mit epd/dpa)

Zur Startseite