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Schwules Engagement in der Uckermark: Allein unter Heteros

In der Schule wurde Christian Hartphiel zum Coming-out genötigt. Heute kämpft der Templiner gegen die Landflucht von Schwulen und Lesben.

Von Matthias Matern

Christian Hartphiel ist Ur-Uckermärker. „Mein fünfter Urgroßvater ist im evangelischen Kirchenbuch von Templin als Schafshirte eingetragen. Der hieß auch Christian“, erzählt der 34-Jährige. Auch Hartphiel junior ist in der Uckermark tief verwurzelt, für die SPD sitzt er in der Templiner Stadtverordnetenversammlung, arbeitet seit 15 Jahren als Gruppenleiter in einer Behindertenwerkstatt. Dass jemand seiner Heimat für immer den Rücken kehrt, ist für den selbstbewussten jungen Mann kaum nachvollziehbar – und schon gar nicht wegen der eigenen sexuellen Prägung. Hartphiel selbst hatte sein Coming-out bereits in der achten Klasse. Eine Klassenkameradin nötigte ihn damals vor versammelter Mannschaft dazu. Heute kämpft der Templiner als Vorsitzender des Vereins „UM-Queer“ gegen die Landflucht von Schwulen und Lesben. Ein wachsendes Gemeinschaftsgefühl soll Homosexuellen Mut zur Offenheit machen und sie vom Wegziehen abhalten.

Während in Berlin seit knapp zwölf Jahren ein schwuler Bürgermeister regiert, ist die Uckermark in Sachen Schwulsein noch immer Entwicklungsland. Wer ohne Kompromisse seine Homosexualität ausleben will, zieht lieber in die Großstadt. Auf dem Land bringen nach wie vor viele den Mut für eine Offenbarung gar nicht erst auf, verstecken sich aus Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung und Repressalien am Arbeitsplatz, heiraten einen andersgeschlechtlichen Partner, zeugen sogar Kinder. Immer wieder sitzt Hartphiel abends stundenlang vor dem Laptop, antwortet auf verzweifelte E-Mails oder hört sich am Telefon die Schicksale anderer an. „Dieses dauerhafte Unglücklichsein macht die Menschen krank.“

Einem 53-jährigen Schiedsrichter aus Lychen hat Christian Hartphiel erst im vergangenen August geholfen, aus dem vermeintlich ausweglosen Elend auszubrechen. Nach jahrzehntelangem Versteckspiel outete sich Burkhard Bock Anfang der Saison vor seinen Schiedsrichter-Kollegen. Die Rede dazu hatte Hartphiel geschrieben. „Für all die Leute, die versteckt leben und mit dem Gedanken spielen, sich zu bekennen, ist der Verein ein ganz wichtiger Anlaufpunkt“, sagt Bock heute. „Man hat ja keinen Menschen, mit dem man sprechen kann. Diese Einsamkeit hat mich einfach wahnsinnig gemacht.“ Seit seinem Coming-out lebt er von seiner Last befreit. Seine Kollegen haben seine Homosexualität akzeptiert. Der Fußball-Landesverband Brandenburg hat in seiner Zeitschrift groß über Bock berichtet, er soll nun Ansprechpartner für andere Hilfesuchende werden.

Zwar hat auch Christian Hartphiel schwere Zeiten durchgemacht, doch im Vergleich zu vielen anderen habe er wohl noch Glück gehabt, sagt er. Gehässige Hänseleien sind ihm nach seiner Offenbarung vor der Klasse weitgehend erspart geblieben. „Die eine hatte rote Haare, ein anderer war dick und ich war dann halt der Schwule“, erinnert er sich. Zu Hause war es dann die Oma, die Eltern und den mittlerweile 18-jährigen Sohn nach einer monatelangen Phase des Schweigens wieder an einen Tisch brachte.

2005 hatte Hartphiel mit Freunden die Idee, erstmals in Templin zu einem „Stammtisch für Schwule und Lesben“ einzuladen. „Bis dahin gab es gar nichts, keine Treffs, keine Anlaufstelle“, berichtet er. Immerhin 30 Personen kamen zum ersten Treffen. „Ein bisschen war die Atmosphäre von Angst geprägt. Auf dem Tisch hatten wir nur eine ganz kleine Regenbogenfahne stehen“, erinnert sich Hartphiel. Heute hat „UM-Queer“ 50 Mitglieder, ein Drittel kommt von außerhalb der Uckermark. Sie treffen sich zum Bowlen, zum Tanzen oder um ins Kino zu gehen. Zudem organisiert der Verein das überregional bekannte Festival „Queer-Days“, engagiert sich für das Gedenken der im KZ Ravensbrück inhaftierten und ermordeten homosexuellen Frauen und Männer. Zumindest in der 17 000-Einwohner-Stadt Templin hat der Verein ein Stück Normalität geschaffen. Hartphiel sagt aber auch: „In einigen Dörfern ist es für die jungen Leute immer noch schwierig.“

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