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Wahlurne

© dpa

Sozialwissenschaftler Robert Vehrkamp: „Wählen will gelernt sein“

Der Sozialwissenschaftler Robert Vehrkamp ist überzeugt, dass Jugendliche ab 16 wählen sollten – und zwar nicht nur in Bezirken.

Herr Vehrkamp, für die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung sind 48 500 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren wahlberechtigt. Sind die schon alt genug für so eine wichtige Entscheidung?

Ja. Es gibt keinen Grund zur Annahme, 16- und 17- Jährige seien nicht in der Lage, eine rationale Wahlentscheidung zu treffen. Natürlich gibt es auch in diesem Alter besser und schlechter Informierte. Wählen setzt politisches Interesse voraus – aber nicht nur, es erzeugt es auch.

Sie glauben, dass es viele Jungwähler demotivieren wird, dass sie zwar die BVV wählen dürfen, aber nicht das Abgeordnetenhaus und damit den Regierenden Bürgermeister. Warum?

16- und 17-Jährige wissen sehr wohl, auf welcher politischen Ebene welche Entscheidungen getroffen werden. Bildungspolitik wird auf Landesebene entschieden. Es ist ein paternalistisches Politikverständnis, wenn wir denen sagen: Fangt mal klein an, aber bei den wichtigen Wahlentscheidungen lassen wir euch nicht mitmachen. Trotzdem ist das BVV-Wahlrecht auf kommunaler Ebene besser als nichts.

Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, das Wahlalter allgemein auf 16 zu senken?

Der Hauptgrund ist, dass wir bei Erstwählern, die noch in die Schule gehen, die Chance haben, sie durch begleitende und heranführende Projekte zu erreichen. Die Aktivierungschance ist viel größer als bei 19-, 20- oder 21-Jährigen. Die sind in einer Lebensphase angekommen, in der sie ihr gewohntes soziales Umfeld verlassen und nur noch schwer mobilisiert werden können. Das ist auch die Erklärung dafür, dass die Erstwählerbeteiligung so niedrig ist.

Ist diese denn wirklich so ein großes Problem?

Die Erstwählerbeteiligung ist entscheidend dafür, ob und wie frühzeitig man eine Wahlgewohnheit ausbildet. Will heißen: Wenn man an seiner ersten Wahl teilnimmt, ist die Wahrscheinlichkeit, das auch in Zukunft regelmäßig zu tun, viel größer. Auch Wählen will gelernt sein.

Ihre Studie hat ergeben, dass es auch stark vom sozialen Umfeld abhängt, ob Jugendliche wählen gehen.

Stimmt. Und das Problem wird jetzt akut. Denn die Herausbildung von Nichtwählermilieus gibt es als Phänomen erst seit etwa 20 Jahren. Das heißt, dass gerade und in den kommenden Jahren viele junge Menschen wahlberechtigt werden, die in Nichtwählerhaushalten aufgewachsen sind, oft junge Erwachsene aus sozial schwachen Haushalten. Die einzige Chance, die zu erreichen, sehen wir in den Schulen – wenn man das Wahlalter auf 16 senkt.

Der Sozialwissenschaftler Robert Vehrkamp ist Director des Programms „Zukunft der Demokratie“ bei der Bertelsmann Stiftung. Die Fragen stellte Maria Fiedler.

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