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Ender Cetin.

© Thilo Rückeis

Streitschlichter im Columbiabad in Berlin: Der Imam schaut über den Beckenrand

Ärger im Columbiabad? Da wird der Geistliche einen Vertreter seiner Moschee schicken – denn das Schwimmbad befindet sich nebenan. Die Muslime vermitteln nicht nur dort.

Gerade tippelt ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren über den Hof, begleitet von ihrem Vater. Sie steuern einen der Gartentische vor der Sehitlik Moschee in Neukölln an. Es ist Mittagszeit, immer mehr Besucher passieren die Gräber des türkischen Friedhofs gleich hinter dem Eingangsportal. An einem der Gartentische sitzt Ender Cetin in seinem grauen Anzug und sagt: „Wir helfen natürlich, wo wir können.“ Eine schöne Botschaft, ihr Ziel liegt 300 Meter entfernt. Dort, wo gerade vier breitschultrige Typen in himmelblauen Shirts stehen. Über ihre Rücken zieht sich in weißen Buchstaben das Wort „Sicherheit“. Sie sind die erste Sicherheitshürde des Columbiabads, die Kontrolleure am Eingang. Ihre Kollegen sind im Bad verstreut. Aber die sind schnell mal überfordert. Dreimal in Folge ist beim Schwimmbad am Columbiadamm an Pfingsten die Polizei angerückt. Gegen 20 bis 40 randalierende Jugendliche haben auch Typen mit Preisboxer-Figur keine Chance. Die meisten Randalierer hatten einen Migrationshintergrund.

Der Moschee-Chef lobt die Bad-Chefin

Deshalb hat die Leiterin des Bades „einen positiven Schritt gemacht“. So beurteilt Cetin die Sachlage. Die Leiterin habe sich nämlich an ihn gewandt, den Vorsitzenden des Vereins „Moschee zu Neukölln“. Kann ein Vertreter der Moschee eingreifen, wenn es mal wieder massiv Ärger gibt? Das hat sie sinngemäß gefragt, und Cetin antwortet sehr wörtlich: „Wir sind bereit, dann jemanden zu schicken, ich komme bei Bedarf auch selber.“ Es ist ein einmaliger Hilferuf, Cetin hat jedenfalls noch nie gehört, dass führende Vertreter einer Moschee um so eine Konfliktlösung gebeten wurden. Aber der 38-Jährige mit dem sorgsam gestutzten Bart findet den Schritt gut. Vor allem, „wenn Jugendliche, die negativ auffallen, den Islam als Vorwand für ihr Verhalten benützen, muss man helfen“. Dann könnte das Szenario so aussehen: Vor den Randalierern stehen massige Security-Typen, die erwartungsgemäß bellen: „Wir holen gleich die Polizei.“ Plötzlich aber taucht ein Mann auf, nicht breitschultrig, ohne Blick wie ein Laserstrahl, der verkündet: „Ich bin Vertreter der Moschee.“ Ein paar Worte nur, sanft gesprochen vielleicht sogar, aber mit der Wirkung eines Hammerschlags.

Die Jugendlichen haben mehr Respekt

Wenn so jemand kommt, sagt Cetin, „reagieren die Jugendlichen oft anders“. Dann signalisieren sie ein Form von Respekt. „Obwohl der Moschee-Vertreter das Gleiche sagt wie der Schwimmmeister.“ Gut, nicht immer werde der Satz helfen. Und, ja, grundsätzlich sei die Nationalität der Jugendlichen bei so einem Auftritt eigentlich egal, andererseits: Es kommt halt doch auf die Details an. Die Deeskalierer aus der Sehitlik-Moschee sprechen „doch eher die türkischen Jugendlichen an“. Deshalb wäre es gut, wenn auch jemand aus der arabischen Community beruhigend auf die hochgeputschten Jugendlichen einwirken könne. Cetin hat zwar bisher noch nicht mit arabischen Kollegen gesprochen, aber er ist sicher, „dass die auch dazu bereit wären“. Ole Bestend Hensing, der Chef der Bäderbetriebe, hatte am Freitag im Sportausschuss erklärt, er hoffe, dass bei Übergriffen im Bad der Imam vorbeikomme und mit den Störern rede. Die Intention ist klar, eine Respektsperson der Moschee solle helfen.

Der Imam kommt nicht selber

Aber der Imam selber scheidet für den Nah-Einsatz am adrenalindurchfluteten Kontrahenten wohl eher aus. Das freilich kann Bestend Hensing ja nicht wissen. „Der Imam würde die Aufgabe an mich abgeben“, sagt Cetin. „Oder er bräuchte eine Begleitung.“ Der Imam kommt aus der Türkei, er spricht nur schlecht Deutsch. Cetin dagegen ist in Neukölln aufgewachsen. Und dort, wo der Imam seinen Einfluss zeigen kann, trifft er auf die falsche Zielgruppe. „Die Jungs, die randalieren, kommen nicht in unsere Moschee“, sagt Cetin. „Und unsere Jungs hingegen machen keinen Stress.“ Ein Kurzeinsatz im Bad ist für ihn ohnehin nur ein Teil der Lösung. Sinnvoll, sagt er, wäre auch eine langfristige Arbeit am Problem. Gemeinsame Gespräche von Mitarbeitern des Columbiabads und randalierenden Jugendlichen könnte er sich vorstellen. „Wir haben Leute in der Jugendarbeit, die in diesem Punkt fit sind.“ Oder Kurse zum Beispiel. Cetin steht oft vor Klassen und redet über Religion und Regeln. Da steht dann einer als Vertreter der Moschee, da hören die Jugendlichen zu. Denen erzählt er dann, dass man Respekt nicht bloß einfordern kann, sondern für andere auch selber empfinden muss. Für Lehrer zum Beispiel. Schon allein, dass er referieren kann, ist ja ein Signal. „Das zeigt den Jugendlichen, dass sich eine Schule oder ein Lehrer mit der Moschee in Verbindung gesetzt hat, dass sie sich also für die Religion interessiert“, sagt Cetin. Das habe auch etwas mit Respekt zu tun. Deshalb sei ja auch der Schritt der Leiterin des Columbiabads so begrüßenswert. Er signalisiere Interesse.

Am Samstag blieb alles friedlich

Seit der Anfrage vor zwei Wochen habe er aber nichts mehr von ihr gehört, sagt Cetin. Ein Noteinsatz wäre allerdings seither auch nicht erforderlich gewesen. Auch am Sonnabend war das Bad konfliktfreie Zone, zumindest vormittags. Der Himmel war bewölkt, am „snack point“ neben dem Becken, waren alle Plätze frei, auf der Wiese lagen nur vereinzelt fast nackte Menschen, selbst die Holzfäller-Typen mit ihren blauen Shirts lehnten fast gelangweilt an den brusthohen Absperr-Rohren. Sie hatten so wenig zu tun, dass sogar Zeit für ein Scherzchen blieb. „Hee“, brüllte einer Richtung Schwimmbecken zu einem Mitarbeiter, „bring mir mal einen Kaffee her.“

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