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Die Debatte darf sich nicht zum Glaubenskrieg um das Auto entwickeln.

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Tempo 30 in Berlin: Besser Augenmaß als Erziehungsdiktatur

Tempo 30 zur Regel zu machen, wird dem großflächigen Berlin nicht gerecht. Das Verkehrskonzept der Zukunft muss im Dialog entstehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Wer Menschen einengt im Bewegungsdrang, der verliert. Renate Künast hat das erfahren. Als die grüne Kandidatin 2011 im Wahlkampf Tempo 30 für alle Berliner Hauptstraßen vorschlug, war ihre Niederlage besiegelt. Doch die Zeiten sind andere. Heute muss sich jede Stadtregierung, die verantwortlich und zukunftsfest handelt, damit beschäftigen. Entweder reagieren die Kommunen auf die Schadstoffbelastung, oder sie werden wie in Stuttgart von Gerichten gezwungen – dann mit Fahrverboten für die dreckigen Diesel.

Der Plan von Umweltsenatorin Regine Günther, Tempo-30-Zonen dort einzurichten, wo zehntausende Menschen durch Lärm und giftige Stickoxide leiden, ist da die mildere Alternative. Es geht um die Gesundheit – das blenden jene aus, die von Kampfansage an die Autofahrer sprechen oder wie die Berliner FDP von „grobem Unfug“. Überraschen aber kann die Emotionalität nicht. Denn schon jetzt meinen die Berliner, in einer permanent verstopften Stadt eine gefühlte Ewigkeit im Stau zu stehen.

Und nun noch Tempo 30 auf Hauptstraßen? Dabei gibt es das jetzt schon. Damit Autofahrer aber nicht das Gefühl haben, sie werden aus ideologischen Gründen ausgebremst, sind maßvolle und messbare Konzepte nötig, nicht Verdikte vom Senatstisch. Die Gutachten, mit denen beide Seiten für ihre Sicht streiten, sind eher Glaubenssache als hilfreich. Zumal klar ist, dass hochtouriges Fahren bei Tempo 30 mehr Schadstoff produziert als stete Fahrt mit 50 km/h.

Kein Glaubenskrieg um das Auto

Augenmaß, nicht Erziehungsdiktatur – darum geht es. Tempo 30 zur Regel in Städten zu machen, wie das Umweltbundesamt fordert, wird dem großflächigen Berlin nicht gerecht. Hauptstraße ist auch nicht Hauptstraße – wer Autofahrern auf kilometerlangen Ausfallstrecken wie Heerstraße oder Landsberger Allee Tempo 30 verordnet, würde zu Recht Proteste ernten.

Primäres Ziel muss sein, den Verkehr im Zentrum flüssiger zu machen – durch intelligente Ampelschaltungen, flexible grüne Wellen und kluge Baustellenkoordination. All das also, was schon seit Jahren fehlt. Damit könnten Autofahrer bei Tempo 30 auf Hauptstraßen sogar schneller ans Ziel kommen als heute, weil die Fließgeschwindigkeit durch geringere Sicherheitsabstände steigt. Von der Unfallgefahr zu schweigen: Bei Tempo 30 steht der Wagen schon, wenn mit 50 erst der Bremsvorgang einsetzt. Und natürlich braucht es Tempo 30 vor Schulen und Kitas, um die Gefährdung der Kinder zu verringern.

Die Debatte darf sich nicht zum Glaubenskrieg um das Auto entwickeln. Sie muss dadurch überzeugen, dass sie Autofahrer ernst nimmt. Denn viele nutzen das Auto schlicht deshalb, weil Alternativen fehlen. Entscheidend für die Akzeptanz der Verkehrswende ist das Angebot, das der Senat macht. Die überwältigende Nutzung der neuen Tramlinie zum Hauptbahnhof zeigt, was Nahverkehr bringen kann. Angepackt gehören auch der Ausbau der S-Bahn ins Umland, ausgeweitete Tarifzonen und der Bau von Parkplätzen an den Endhaltestellen in Brandenburg, damit nicht tausende Pendler tagtäglich Hermsdorf oder Zehlendorf zuparken.

Ein akzeptiertes Verkehrskonzept der Zukunft kann nur im Dialog, nicht in der Konfrontation mit den Berlinern entstehen. Gelingt das, könnte der rot-rot-grüne Senat auch darauf verzichten, Unter den Linden zur symbolträchtigen wie überflüssigen Fußgängerzone zu machen – Tempo 30 tut’s da auch.

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