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Hinter die Spielfeldlinie. Viele Eltern glauben, ihre Söhne müssten in die Bundesliga und nehmen ihren Kindern den Spaß. Foto: Joker/Imago

© imago/JOKER

Trainermangel im Berliner Fußball: "Das größte Problem sind die Eltern"

Pöbelnde, überehrgeizige Väter und Mütter sind Alltag im Leben eines Jugendtrainers – und ein Grund für den Trainermangel in Berlin. Ein Leidensbericht.

Wir waren 16 Mann im Lehrgang. Edle Adresse, Kleiner Wannsee, direkt am Wasser. Der Berliner Fußball-Verband bildet dort aus, in einem Gebäude mit Flügeltüren zum Garten. Einen Steilpass weiter liegt der Platz des FV Wannsee, ein Teil des praktischen Unterrichts fand dort statt.

Einer der ersten Sätze des Lehrgangsleiters lautete: „Im Kinder- und Jugendfußball sind die Eltern das größte Problem.“ Damals wusste ich noch nicht genau, was er damit meinte. Jetzt weiß ich es.

Ich bin einer von 400 lizenzierten Trainern des Berliner Fußball-Verbands. 1800 Kinder- und Jugendfußballteams gibt es in Berlin, die meisten werden von Vätern betreut, die einspringen, weil kein ausgebildeter Trainer verfügbar ist.

"Man sollte Eltern am Spielfeldrand mit Video aufnehmen"

Ob mit oder ohne Lizenz, fast jeder Mannschaftsverantwortliche macht die gleiche Erfahrung. „Man sollte Eltern am Spielfeldrand mal mit Video aufnehmen und ihnen die Aufnahmen später vorspielen. Sie würden erschrecken.“ Gerd Liesegang sagt das, der Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbands (BFV). Er sagt auch: „Das Problem sind überehrgeizige Eltern. Viele Kinder schämen sich für ihre Eltern, trauen sich aber nicht, es zu sagen.“

Ich bin seit einigen Jahren Coach, derzeit trainiere ich im Süden von Berlin eine D-Jugend, Kinder des Jahrgangs 2004, 2005. Ich kann die Sätze zu den Eltern bestätigen, weil ich vieles selber erlebt oder beobachtet habe.

Liesegang meint zum Beispiel

– jenen Vater, der einem Trainer auf dem Platz Prügel androhte. Der Trainer hatte den Sohn des Vaters nicht aufgestellt, weil er sechs Wochen nicht zum Training gekommen war.

– jene Mutter, die am Spielfeldrand ihren zehnjährigen Sohn anbrüllte: „Du Scheißkackmongo, lauf endlich.“

– jenen Vater, der seinen elfjährigen Sohn anschrie: „Hau Deinem Gegenspieler endlich die Beine weg.“

Ein Trainerkollege wurde wegen Körperverletzung angezeigt

Ein Trainerkollege erzählte mir, dass ihn zwei Mütter wegen Körperverletzung angezeigt hätten. Sein Delikt: Er hatte seine Kinder zum Aufwärmen zweimal um den Platz laufen lassen.

Wundert’s einen, dass chronischer Trainermangel herrscht? „Das Problem, dass es zu wenig Trainer gibt, haben alle Vereine“, sagt Liesegang. „Die Gründe sind vielfältig.“ Er rattert eine Liste von Punkten herunter. Viele müssten am Wochenende arbeiten. Viele wollten sich den Stress nicht antun. Viele wollten das Wochenende nicht auf dem Platz verbringen. Die Bindungen an einen Verein seien generell geringer geworden. Und, ja, ganz wichtiger Punkt: Eltern. „Da glauben viele, ihre Söhne müssten in die Bundesliga. Die verstehen nicht, dass ihre Kinder Spaß haben sollen.“

Ich habe Glück, die Eltern in meinem Verein sind im Großen und Ganzen nett. Allerdings achte ich im Probetraining darauf, wie sich Eltern verhalten. Ich rede mit ihnen, ich prüfe ihren Ehrgeiz. Eine Mutter kam mit ihrem Sohn und sagte: „Der Papa ist sehr streng. Er möchte unbedingt, dass er ein guter Fußballer wird.“ Das Kind habe ich nicht genommen. Ein anderer Vater tauchte auf dem Feld auf und gab Anweisungen, als sein Sohn vorspielte.

Als ich ihn wegschickte, war er beleidigt. Ich bin bei einem großen Verein, wir haben eine beachtliche Nachfrage von Kindern. Aber viele kleinere Vereine sind froh über jeden, der spielen möchte. Da nimmt man Problemeltern in Kauf.

Meinen Eltern habe ich strikt verboten, während des Spiels Anweisungen aufs Feld zu rufen. Abgesehen davon, dass generell nur der Trainer Anweisungen gibt, würde ein Kinder ja irre, wenn plötzlich sein Vater auch noch reinriefe und, schlimmster Fall, noch das Gegenteil dessen brüllte, was der Trainer sagt. Doch es gibt genügend Eltern, die ihre Kinder dirigieren. Das ist ein Grund, weshalb der Berliner Fußball-Verband vorschreibt, dass Eltern beim Spiel ein paar Meter hinter dem Spielfeld stehen müssen.

Trotzdem lohnt es, dass man Zeit, Nerven und Energie investiert

Selbstverständlich gibt es viele Eltern, die sich zivilisiert verhalten, die ihre Kinder anfeuern, aber nicht mit Kommandos zubrüllen. Bei uns sorgen die Eltern insgesamt für ein gutes Mannschaftsklima. Bei Turnieren, die wir ausrichten, sorgen sie für Essen und Trinken, sie helfen beim Auf- und Abbau, sie setzen ihre Kinder nicht unter Druck.

Alles wunderbar also? Nicht ganz. Die Probleme liegen im Detail. Es ist nicht lustig, mit einem Kind 30 Minuten nach Trainingsende auf die Eltern zu warten, weil die sich verspäten. Einmal, im Winter, hockte ich gleich mit vier Kindern eine halbe Stunde in der Kabine. Es gibt dann jedes Mal wortreiche Erklärungen und Entschuldigungen. Nach dem fünften Mal kann ich sie aber nicht mehr hören. Denn ich bin verantwortlich für die Kinder, ich muss jedes Mal warten.

Es klang ganz angenehm, dass meine Eltern zumindest beim Hütchenaufbau helfen wollten, als ich noch keinen Kotrainer hatte. Bei jedem Training, so lautete die Absprache, steht ein Elternteil bereit und unterstützt mich. Nach diesem Plan hätte es jeweils einen Einsatz in sieben Wochen gegeben. Es war dann nicht mehr so angenehm, feststellen zu müssen, dass irgendwann immer nur die beiden gleichen – berufstätigen – Mütter Hütchen platzierten. Vom Rest der Eltern war nichts mehr zu sehen.

Einmal habe ich ein Kind aus der Mannschaft geworfen. Der Vater hatte ihm zu Hause nie Grenzen gesetzt, bei mir störte er permanent das Training. Disziplinarische Maßnahmen nützten nichts, monatelange Gespräche mit dem Vater auch nicht. Ich versprach, dem Jungen bei der Suche nach einer anderen Mannschaft zu helfen. Eine Woche später beklagte sich der Vater bei der Jugendleitung, sein Sohn habe nie eine Chance erhalten.

Und weshalb investiert man trotzdem Zeit, Nerven und Energie in so einen Job? Weshalb steht man mehrmals pro Woche auf dem Platz, holt sich Rat bei Stützpunkttrainern, macht weitere Lehrgänge? Weil die Kinder einem viel zurückgeben. Weil es spannend ist, ihre Fortschritte zu sehen. Weil man ihnen Regeln wie Fair Play beibringt. Weil es schön ist, zu sehen, dass ein ganzes Team einen heulenden Jungen aufbaut, der zwei Eigentore geschossen hat. Weil man viel von den Kindern und ihrem Verhalten lernt. Weil ein Vater sagt: „Seit er hier trainiert, ist er in der Schule viel konzentrierter.“

Und weil es einfach wunderschön ist, wenn ein Kind nach den Ferien freudestrahlend sagt: „Ich habe mich so aufs Training gefreut. Hier ist doch meine zweite Familie.“

Der Autor des Beitrages will anonym bleiben, ist der Redaktion aber bekannt.

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