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Verena Delius, CEO von goodbeans, diskutierte zusammen mit Rainer Brüderle, Fraktionschef der FDP im Bundestag beim UdL Digital Talk.

© Henrik Andree (UdL Digital)

UdL Digital Talk: Brüderle: "Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance"

Verena Delius und Rainer Brüderle diskutierten zum 20. UdL Digital Talk über den deutschen Gründungsboom, Berlin als heimliche Hauptstadt der Technik-Unternehmen und die große Frage: Wie viel Unternehmergeist steckt wirklich in Deutschland?

Immer wieder wird er beschworen, der Gründungs-Boom in Deutschland. Laut einer Studie der Telefonica Digital steht Berlin jedoch lediglich auf Platz 17 der unternehmerfreundlichsten Städte weltweit. Grund genug für die Organisatoren des UdL Digital Talks, die Frage nach dem Unternehmergeist in Deutschland zu stellen. Wahrscheinlich auch Grund genug dafür, dass die Anzug- und Krawattendichte im Base Camp an der Friedrichsstraße deutlich höher ausfällt als sonst. Über 100 Personen hatten sich angemeldet, um den Diskussionsbeiträgen von Rainer Brüderle und Verena Delius zu lauschen.

Delius, sichtlich entspannter als noch bei Ihrem Auftritt bei Stefan Raabs Polit-Talk "Absolute Mehrheit", eröffnet ohne Scheu die Diskussion mit einem ersten Streitpunkt. Unternehmergeist könne man lernen, so Delius' These. Man müsse sich nur die "richtigen Vorbilder suchen". In der Schule seien diese aber "eher weniger" zu finden. So sieht Offensive aus. Rainer Brüderle bleibt nichts übrig, als ihr zuzustimmen. "Die Schule heute bereitet einen nicht auf Unternehmertum vor", gibt er unumwunden zu Protokoll. Zu standardisiert sei das Schulsystem. Auf Persönlichkeitsbildung werde zu wenig Wert gelegt, zu wenig das problemorientierte Denken und Handeln gefördert. Dabei hätten junge Menschen heute "durch das Internet bessere Chancen als früher", so Brüderle. Delius setzte noch einen oben drauf: Dass die Schüler im Umgang mit den digitalen Welten häufig fitter seien als die Institutionen, die sie in selbigen schulen sollten, sei ein großes Problem.

Unternehmergeist sei aber auch eine Frage der Einstellung. Viele potenzielle Unternehmer seien zu risikoscheu - so die These des Abends. Dabei sei die Angst vor dem Scheitern ganz normal, beteuern beide Diskussionsteilnehmer aus eigener Erfahrung. Delius' persönlich Anekdote über ihren kleinen unternehmerischen Ausflug als Sushi-Bar-Besitzerin in Bielefeld sorgt für den ersten Szenenapplaus des Abends. Die Lacher weichen jedoch schnell einem zustimmenden kollektivem Brummen: "Wir sind keine besonders unternehmerfreundliche Gesellschaft."

Die Lust, andere beim Scheitern zu beobachten ist groß, die Neiddebatte eröffnet. "Wir sind glücklich, wenn andere scheitern, zeigen wenig Stolz", schimpft Verena Delius sich in Rage. Eigenverantwortung möchte kaum einer übernehmen. "Diese Werte werden aber auch nicht vermittelt", sagt sie. Scheitern hat immer auch etwas mit Scham zu tun. Die deutsche Sprache sei eben "verräterisch", meint Brüderle. Statt Bankrott oder Konkurs müsste man den Neustart in den Vordergrund stellen, den Respekt für die Risikobereitschaft. „Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance“, fordert der FDP Fraktionsvorsitzende. Die Probleme im deutschen Unternehmertum seien schließlich in dieser Mentalitätsfrage verankert. "Über Erfolg spricht man nicht", zitiert er. Und plädiert gleichzeitig für mehr Offenheit.

Rainer Brüderle, Fraktionschef der FDP im Bundestag und Verena Delius, CEO von goodbeans, diskutieren zusammen mit dem Moderator Cherno Jobatey beim UdL Digital Talk.
Rainer Brüderle, Fraktionschef der FDP im Bundestag und Verena Delius, CEO von goodbeans, diskutieren zusammen mit dem Moderator Cherno Jobatey beim UdL Digital Talk.

© Henrik Andree (UdL Digital)

Dass dieser Mentalitätswandel nicht nur bei Unternehmern in der Wirtschaft stattfinden muss, gibt er jedoch erst auf explizite Nachfrage zu: Den Mentalitätswandel vorleben wäre ein erster Schritt, offensiv für den Standort Deutschland zu werben ein weiterer. Ob damit den Deutschen die Angst vor Neuerungen genommen wird, ist fraglich.

Unternehmer dürften sich trotzdem nicht aus der Verantwortung nehmen. Vielen fiele es schwer, Eigenverantwortung zu übernehmen, so die Beobachtung von Delius: "In Deutschland wird immer zuerst nach dem Staat gerufen." Auch wenn öffentliche Förderprogramme ihrer Meinung nach oft an den Bedürfnissen von Start-Ups vorbeigingen. Als Geschäftsführerin muss sie es wissen.

Aber auch sonst hat Verena Delius genaue Vorstellungen davon, wie die Politik Start-Ups und deutsche Unternehmer unterstützen könnte: Durch das Öffnen nach Europa. "Deutschland hat die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit lange abgelehnt." Der damit verbundene Fachkräftemangel könne aber nicht durch Zwangsumschulungen gelöst werden: "Programmierer wird man nicht mal eben weil die Politik denkt, das wäre doch ganz praktisch. Das sind Künstler." Ein Unternehmen zu gründen heißt noch lange nicht, dass man auch ein Unternehmen führen kann, gibt Brüderle zu bedenken. Nicht jeder habe schließlich ein Talent für alles. "Man kann auch im öffentlichen Dienst etwas Vernünftiges machen", so Brüderle.

Zum Abschluss darf Brüderle das parteikonforme Programm intonieren und zum Ausdruck bringen, wie optimistisch er in Bezug auf den deutschen Unternehmergeist sei. Deutschland sei eines der wettbewerbsstärksten Länder mit großem Potenzial. "Wir ruhen uns aus", kontert Delius ein letztes Mal. Und am Ende bleibt die Frage nach unserer Vision im Raum stehen. Wo wollen wir eigentlich hin?

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