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Hungerstreik von Flüchtlingen vor dem Brandenburger Tor im Juli 2014

© dpa

Volksvertreter mit Mission: Diese Politiker kümmern sich in Berlin um Flüchtlinge

Bis vor kurzem waren Hakan Tas, Canan Bayram und Fabio Reinhardt eher unbekannte Politiker. Erst durch ihr Engagement für die Flüchtlinge wurden sie bekannt. Alle drei Politiker haben eine Mission. Wer sind sie?

Plötzlich sind sie immer wieder zu sehen auf Demonstrationen, zu hören im Radio, live zu erleben bei Twitter: Bisher weithin unbekannte Berliner Politiker, die sich mit den Flüchtlingen auseinandersetzen und ihnen versuchen zu helfen, geraten durch die Virulenz des Problems selbst in die Öffentlichkeit. Was treibt sie an, was wollen sie erreichen? Drei Porträts.

Der Teilnehmer - Hakan Tas (Die Linke)

Hakan Tas (Die Linke) hat Deutschkurse für Flüchtlinge zu seinem Kernthema gemacht.
Hakan Tas (Die Linke) hat Deutschkurse für Flüchtlinge zu seinem Kernthema gemacht.

© dpa

Hakan Tas weiß, wie es sich anfühlt, am Rand zu stehen. Mit 14 Jahren kam er aus Kurdistan nach München, wo sein Vater als Gastarbeiter arbeitete. „Die Einzigen, die mir offen begegnet sind, waren die Flüchtlinge dort, die auch nicht an der Gesellschaft teilhaben konnten“, erklärt Tas. Seine zweite Ausgrenzung folgte nur drei Jahre später. Bereits mit 17 bekannte sich der nun in Berlin wohnende Tas offen zu seiner Homosexualität. Sein Vater sprach nicht mehr mit ihm, in „türkisch-muslimischen Kreisen“, wie er sie nennt, schlug ihm Ablehnung entgegen. In manchen Restaurants wurde er nicht mehr bedient.

Der 47-Jährige erzählt das ohne Wut. Behutsam wählt er die Worte, auch wenn er immer wieder über die nötige Abschaffung der deutschen Asylgesetze spricht – „die diskriminierenden Sondergesetze von ’93“. Zurückhaltend, fast schüchtern sitzt er in seinem Büro im Abgeordnetenhaus, wo er gerade mit einer Gruppe von Flüchtlingen gesprochen hat. Vor ihm liegt ein Schreibblock der PDS, in die er kurz nach der Wende eingetreten war.

Seit 2011 ist er für ihre Nachfolgepartei, Die Linke, der partizipations- und flüchtlingspolitische Sprecher im Berliner Abgeordnetenhaus. Seinen Weg dorthin fand er über die Gewerkschaften bereits während seiner Ausbildung. Einige Jahre arbeitete er als Journalist. „Aber in einer Partei kann man mehr für sich und andere Menschen bewegen.“

Hakan Tas hofft, dass das Arbeitsverbot aufgehoben wird

Tas denkt bei seiner flüchtlingspolitischen Arbeit tatsächlich auch an sich; an seine eigene Vergangenheit. Tas, der mit 14 noch kein Deutsch sprach, hat Deutschkurse für Flüchtlinge zu seinem Kernthema gemacht. Er beschwert sich darüber, dass nur etwa zehn Prozent der Flüchtlinge, die es möchten, in Berlin Unterricht bekämen. Hakt bei der Regierung nach, stellte eine kleine Anfrage. „Ohne Deutsch ist es in diesem Land schwierig“, sagt Tas. Schwierig, teilzuhaben an der Gesellschaft.

„Ohne Beteiligung gibt es keine Integration. Deshalb bin ich auch ‚partizipationspolitischer Sprecher‘“, erklärt Tas. Er hofft deshalb, dass zumindest das Arbeitsverbot aufgehoben wird. Dafür kämpft er im Abgeordnetenhaus, ist aber auch vor Ort, „um zu vermitteln“. 2012 schon am Oranienplatz, in der Gerhart-Hauptmann-Schule und deren Nachbarschaft, auch im Berliner Fernsehturm.

Als Flüchtlinge ihn am 9. Juli besetzten, versuchte er den Kontakt zwischen den Flüchtlingen und der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung herzustellen. Fabio Reinhardt von den Piraten war auch dabei. Er finde es gut, dass sich Leute aus anderen Parteien eines Themas annehmen, mit dem man sich nicht profilieren könne, sagt Tas. Wichtig sei, dass die Forderungen der Flüchtlinge gehört würden – wie zuletzt am Brandenburger Tor. Dort versuchte er die Flüchtlinge zu bewegen, auf einen anderen Ort auszuweichen, um eine Räumung durch die Polizei zu verhindern. Vergeblich.

Die Grenzgängerin - Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen)

Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) bietet Sprechstunden für die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule an.
Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) bietet Sprechstunden für die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule an.

© dpa

Grenzen bestimmen ihr Leben. Die selbst gewählten, die „Sinn machen“. Und solche, die aufgezwungen werden, „die herausfordern“. Die erste Herausforderung liegt in Canan Bayrams Kindheit. Sie wuchs als eines von vier Kindern ostanatolischer Immigranten in Nettetal an der deutsch-holländischen Grenze auf. Diese habe sie als verbindend empfunden. Es war normal für Bayram, den holländischen Markt zu besuchen oder auch mal in die Sauna ins Nachbarland zu fahren. „Das Problem ist, wenn Menschen kriminalisiert werden, weil sie eine Grenze übertreten“, sagt die 48-Jährige. Vor ihr auf dem Tisch in einer Bäckerei an der Ohlauer Straße dampft ein Gläschen türkischen Tees mit viel Zucker.

Hier ist sie öfter, denn sie hält seit Beginn der Besetzung Sprechstunden für die Flüchtlinge in der benachbarten Gerhart-Hauptmann-Schule ab. Manchmal erklärt sie dort „das nicht leicht zu verstehende System“ aus Zuständigkeiten, aus Rechtsvorschriften. Versucht auch, den Unterstützern „beizubringen, dass der Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes ohne einen Entschluss der Innenministerkonferenz wirkungslos ist“. Manchmal höre sie aber auch einfach nur zu.

Canan Bayram ist bemüht, „professionelle Distanz zu wahren“

Dieses Zuhören ist eines des Nichts-verpassen-Wollens. Zwischen einer Frage an Bayram und ihrer Antwort öffnen sich Zeitfenster, die noch der letzten Schallwelle ermöglichen, ihr Gehör zu finden. Das schenkt sie immer wieder den Flüchtlingen – zum Beispiel einem 27-Jährigen aus dem Tschad, der seit 13 Jahren Migrant ist, kein Zuhause hat. „Ich ziehe da aber eine Grenze. Ich würde sonst zur hilflosen Helferin“, sagt Bayram. Um die „professionelle Distanz zu wahren“, nimmt die Juristin keine Fälle aus der Kreuzberger Schule an, sondern verweist sie an Kollegen, die sich wie sie auf Ausländer- und Asylrecht spezialisiert haben. Ein Fachgebiet, das ihr lange fremd war.

Sie machte zuerst eine kaufmännische Ausbildung, fing mit 28 Jahren an, Jura in Bonn zu studieren. Dort befasste sie sich „eigentlich eher mit Handels- und Gesellschaftsrecht“, geriet aber in die ‚Neue Juristinnenwelle‘. „Das waren Leute, die Jura studiert haben, um eine Alternative zu bieten“, erklärt Bayram. Der Beginn ihrer Politisierung. Sie zog nach Berlin, wo sie im Umweltministerium arbeitete und im SPD-Ortsverband in Friedrichshain aktiv wurde. Durch Zerwürfnisse der Bezirks-SPD wurde sie schließlich auf die Liste zum Abgeordnetenhaus gespült, in das sie 2006 einzog. Drei Jahre später wechselte sie unter anderem wegen der Flüchtlingspolitik der SPD zur Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Heute hat Bayram mit deren Flüchtlingspolitik in Kreuzberg ihre Probleme. „Herr Panhoff hat mit dem Räumungsauftrag an die Polizei eine Grenze überschritten. Ich habe deshalb entschieden, nicht mehr zwischen Bezirk und Flüchtlingen zu vermitteln“, sagt Bayram.

Sie will aber weiterhin den Menschen aus der Schule zuhören und Fälle anderer Asylbewerber annehmen. „Flucht ist eine schwierige Phase im Leben von Menschen, mit deren Ende sie zu leben beginnen können“, sagt Bayram lächelnd. Das sei für sie sinnstiftend, diese Menschen in dieser existenziellen Phase zu begleiten.

Der Missionar - Fabio Reinhardt (Piraten)

Fabio Reinhardt (Piraten) leitet als Moderator Podcast-Interviews mit Flüchtlingen.
Fabio Reinhardt (Piraten) leitet als Moderator Podcast-Interviews mit Flüchtlingen.

© dpa

Laut Fabio Reinhardt steht die Gesellschaft am Scheideweg: Eine stetig wachsende Gruppe von Menschen, die sich ausgeschlossen fühlt, stehe in einem „Clash“ mit dem Rest der Gesellschaft. Die Gruppe, das sind Menschen mit Migrationshintergrund, das sind Ausländer und Flüchtlinge. Man müsse sich zu ihnen bekennen, findet Reinhardt, oder man sei rechtskonservativ und habe ein Legitimationsproblem.

Deshalb versucht der 33-Jährige das Thema „selbst bestimmte Flüchtlingspolitik“ in die Piratenpartei zu tragen und damit die Partei auf einem „emanzipatorischen Weg zu begleiten“. 2006 trat er ihr bei. Damals studierte er noch Geschichte und Politik in Braunschweig. Im Studierendenparlament hatte er sich in einem Gremium um Darlehen für Härtefälle gekümmert – 80 bis 90 Prozent davon seien Studenten mit Migrationshintergrund gewesen, sagt Reinhardt. Seine erste Berührung mit der Thematik.

Er begann in der Partei intensiv an den Asylprogrammen auf Landes- und Bundesebene zu arbeiten. Seit 2011 ist er flüchtlingspolitischer Sprecher der Piraten im Abgeordnetenhaus. Im selben Jahr fing er ein Journalismusstudium an, das er aus Zeitgründen abbrach. Noch immer schlage sein Herz für den Journalismus – das sei eine Einstellung, nämlich „politische Konfliktsituationen erklären und in die Gesellschaft übersetzen zu wollen“, sagt Reinhardt.

Wenn Fabio Reinhardt twittert, ist er oft Reporter

Er hat seine Erklärung, seine Übersetzung gefunden. Es gibt für ihn eine Seite aus starren Verwaltungen, die nicht agieren können, wenn etwas nicht ins Muster passe. Aus Leuten, die sich an Gesetze klammern, die nicht mehr seien als nur „niedergeschriebene gemeinschaftliche Umgangsformen zu einem gewissen Zeitpunkt“. Auf der anderen Seite sieht der Piratenpolitiker die Refugee-Bewegung, die er vergleichbar findet mit der Frauen- und Arbeiterbewegung in der Vergangenheit. Dieser Großkonflikt bricht in Berlin auf, etwa in der Gerhart-Hauptmann-Schule.

Wenn er von dort twittert, ist Reinhardt Reporter. Als Moderator leitet er Podcast-Interviews mit Flüchtlingen. Wenn er die Bezirksgrünen um Monika Hermann als „CSU Kreuzbergs“ bezeichnet, rutscht er in den boulevardesken Kommentar. Er ist kein politischer Journalist, er ist journalistischer Politiker.

Als Politiker könne man „auch mal draufhauen“, meint Reinhardt. Manche Berliner Abgeordnete werten dies als Profilierungsdrang, als Parteipolitik auf dem Rücken der Flüchtlinge. „Alle haben Eigeninteressen“, sagt Reinhardt; auch Integrationssenatorin Dilek Kolat, die eigentlich unabhängig sein müsste. Es gehe um Geld: „30 Millionen Euro für irgendwelche Opern, aber nur 1,5 Millionen für die Flüchtlinge in Berlin“. Für Reinhardt gehe es aber auch um Macht, die die Politik nicht gern mit den Migranten teilen wolle. Die Dimension sei historisch und die Politik sei sich dessen nicht bewusst, meint Reinhardt. Das will er ändern.

Vinzenz Greiner

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