zum Hauptinhalt
Da schimpft der Bär - dickfellige Olympia-Gegner am Roten Rathaus. Bei den Plakatmotiven greifen sie auf Historisches zurück.

© dpa

Wowereit und das Bürgervotum: Berlins Politik ist nicht reif für Olympia

Vor Olympia muss der Senat seine Hausaufgaben machen. Das Misstrauen der Großstädter gegenüber der eigenen Verwaltung kommt ja nicht von ungefähr. Zu viel liegt im Argen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Nur jemand, der nicht ganz im Film ist, konnte überrascht sein, dass Klaus Wowereit eine erfolgreiche Abstimmung aller Berliner zur Voraussetzung für Olympische Spiele in der Stadt macht. Alles andere wäre auch politischer Selbstmord gewesen. Wenn der Senat, wenn der Regierende Bürgermeister nicht von sich aus die Signale in Richtung auf umfassende Bürgerbeteiligung stellen, wird sich über Nacht eine Initiative bilden, die das Thema zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens macht. Und wie das ausgeht, wenn die Berlinerinnen und Berliner sich, höflich ausgedrückt, ausgetrickst fühlen, hat zuletzt das Votum zum Tempelhofer Feld gezeigt.

Weitsichtige Beobachter der Berliner Szene meinen, Wowereit gehe es überhaupt nicht um die Olympischen Spiele, sondern er habe sich und seinem Senat mit seiner Festlegung auf das Bürgervotum einfach viel Arbeit sparen wollen: In Berlin sei ohnedies klar, dass alles, was aus dem gewohnten Trott herausführt, abgelehnt wird, weil dieser Großstädter ganz im Gegensatz zu seinem Ruf kein innovativer oder gar neugieriger Mensch sei, sondern eher eine Spezies von großem Beharrungsvermögen und ausgeprägter Veränderungsscheu.

Verständlich wäre es in jedem Fall, wenn sich der Regierende Bürgermeister – das ist sein Titel – nicht noch den ganzen Anlaufschlamassel einer Olympiabewerbung aufhalsen wollte. Sollten die Spiele, gleich, ob die von 2024 oder 2028, überhaupt nach Berlin vergeben werden, würde ja nicht er, sondern irgendein Nachfolger oder eine Nachfolgerin an der Seite des IOC-Chefs die Party eröffnen. Die Hoffnung, zumindest die Annäherung des Eröffnungstermins für BER noch aus seinem Büro im Roten Rathaus erleben zu dürfen, lässt für noch längerfristige Wunschvorstellungen keinen Platz. Das kann man sogar verstehen. Den Berlinern könnte man andererseits nicht übel nehmen, wenn sie allenfalls glauben, dass die Olympiabewerbung nur 50 Millionen Euro kostet, sich aber nicht auf die Nase binden lassen, dass die Spiele selbst für schlappe zwei Milliarden zu organisieren seien.

Funktionierende Ämter? Preiswerte Wohnungen? Reparaturen an Schulen?

Das Misstrauen der Großstädter gegenüber der eigenen Verwaltung kommt ja nicht von ungefähr. In Tempelhof haben sie geahnt, dass man ihnen eine teure und an dieser Stelle ziemlich überflüssige Landesbibliothek unterjubeln wollte, und dass nicht sicher war, ob statt moderater Wohnbebauung nicht am Ende Hochhausmietskasernen im Stile des Märkischen Viertels oder der Gropiusstadt entstehen würden. Diese Stadt hat auch im übertragenen Sinne zu viele Schmutzecken, in denen erst einmal gekehrt werden müsste, bevor man Kraft und Geld in spektakuläre Neubauprojekte investiert:

So lange in Marzahn vorhandene Gelder für kleine Reparaturen an Schulen nicht abgerufen werden, weil das bezirkliche Hochbauamt mit Großprojekten voll ausgelastet ist,

so lange in Charlottenburg auf Bürgerämtern und den Beratungsstellen für Behinderte der Personalmangel auf dem Rücken Hilfe suchender Menschen ausgetragen werden,

so lange in Mitte der Personalmangel zu einer Verwahrlosung der Grünflächen und des gesamten öffentlichen Raumes führt, so lange in Pankow aus Personalmangel Ämter geschlossen werden, ohne das ratsuchenden Bürgern gesagt wird, an wen sie sich wenden können,

so lange in fast allen Bezirken Schulen vergammeln oder ihr Umbau nicht rechtzeitig zum Schuljahrsbeginn fertig wird,

so lange der Bau preiswerter Mietwohnungen nur schleppend voran kommt, während die Stadt Jahr für Jahr wächst,

so lange ist diese Stadt für Olympische Spiele nicht reif.

Das aber heißt im Umkehrschluss: Wenn die Politik Olympische Spiele nach Berlin holen möchte, was eine wunderbare Idee wäre, ein Motivationsschub, um Berlin dauerhaft noch attraktiver zu machen auch bei den Sportstätten, von denen am Ende alle Bürger etwas hätten, dann muss sie ihre Schulaufgabe machen. Dann muss der Senat jetzt und nicht erst in zehn Jahren Initiativen entwickeln, um die Stadt lebenswerter zu gestalten, auch für alle jene, die nicht unter einem goldenen Kronleuchter das Licht der Welt erblickten oder denen es aus welchen Gründen auch immer gerade nicht so rosig geht. Angst vor Veränderung hat nur, wer befürchtet, dass es ihm hinterher schlechter geht als vorher. Genau aus dieser Sorge aber speist sich die Berliner Tendenz, immer erst einmal Nein zu sagen. An Klaus Wowereit wäre es, diese Stimmung zu drehen. Also los!

Zur Startseite