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Der Schriftsteller Andreas Maier, geboren 1967 in Bad Nauheim

© picture alliance / dpa

Andreas Maier und sein Roman "Der Kreis": Immerfort durchweht

Auf dem Weg zum Schriftsteller: Andreas Maier setzt mit „Der Kreis“ seine Wetterauer Erinnerungschronik fort.

Es gibt in diesem neuen Buch von Andreas Maier, dem fünften Teil seiner auf elf Bände angelegten Wetterauer Erinnerungschronik, einen kleinen lustigen Break, genau in der Mitte. Maier stellt plötzlich vier „Aufgaben“, einfach so, aber auch, weil er sich vorher über ein Schulbuch mit dem Titel „Lesen Darstellen Begreifen“ ausgelassen hat. Eine der Maier-Aufgaben lautet: „Welche Bedeutung hat der Titel ,Der Kreis’ im Zusammenhang des Textes? Warum hat der Autor diesen Titel gewählt?“

Als Maier-Leser weiß man, dass ihm nach den ersten Bänden einer sogenannten Ortsumgehung mit den Titeln „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“ und „Der Ort“ gar nichts anderes übrig bleibt, als diese Reihung weiterzuverfolgen. Die Welt wird für den Heranwachsenden größer (und wieder kleiner!), die Erinnerungen weiten sich, ziehen sich aber genauso mikroskopisch zusammen. Die nächsten Bücher von Maiers Chronik jedenfalls dürften mit ziemlicher Sicherheit Titel wie „Die Stadt“ oder „Das Land“ tragen.

"Als Altar diente hier, allein und unbenutzt, der Schreibtisch.“

Tatsächlich fragt man sich bisweilen bei der Lektüre des „Textes“ durchaus, was dieser Band jetzt soll. Gerade weil die Vorgänger thematisch in sich relativ schlüssig und zum Teil chronologisch aufeinander aufbauten. Und Maier gleich zu Beginn vorbaut und die Merkmale des Kreises beschreibt: „Der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende, kein Vorne und kein Hinten, und wenn man ihn als Band zur Möbiusschleife bindet, auch kein Innen und Außen“. Gleich darauf folgt unvermittelt der Sprung ins Elternhaus, in das kleine Bibliotheks- und Schreibzimmer der Mutter. Das ist für den sieben, acht Jahre alten Andreas ein faszinierender, geheimnisvoller Ort – was macht die Mutter da bloß? Schon bald sucht er diesen in ihrer Abwesenheit allein auf, für ihn vergleichbar mit einem Kirchenbesuch: „Als Altar diente hier, allein und unbenutzt, der Schreibtisch.“

Noch ist die Welt in ein Innen und Außen aufgeteilt. Hier die Sakralität des mütterlichen Lese- und Schreibzimmers, dort die ach so profane Welt, die durch Vorhang und Fensterscheibe nur „wie durch Milchglas wahrzunehmen“ war. Es gibt dann Beschreibungen der Bücher, in denen der Erzähler herumblättert, zum Beispiel das „Lingen Lexikon“, oder die er auf den Regalen sieht, etwa die Kant-Ausgabe der Suhrkamp-Wissenschaft-Taschenbuchreihe, sowie die Schilderung der „geistigen“ Tätigkeiten der Mutter. Sie schreibt ganze Passagen aus Büchern ab, sie liest, – und sie korrespondiert und trifft sich mit dem Friedberger Dichter und Georg-Büchner-Preisträger von 1946, Fritz Usinger.

Die Mutter kommt bei Maier nicht besonders gut weg

Man ahnt, dass dieses größte Kapitel des schmalen Buches mit der Überschrift „Grundschule“ die ersten Schritte des Erzählers in die Welt der Bücher dokumentieren soll, hier womöglich ein Künstlerroman seinen Ausgang nimmt. Doch es überwiegt zunächst die etwas schnöde Aufzählung. Wobei Maier eine andere, hochinteressante Figur mit nicht gerade viel Sympathie, einer gewissen Kälte und etwas schemenhaft porträtiert: die Mutter. Man würde gern mehr von ihr erfahren, ihren Wünschen und Bedürfnissen, von dem, was sie als Ehefrau eines Anwalts der Henninger-Bräu-Aktiengesellschaft und Mutter von drei Kindern alles nicht leben kann und darf. Was sich hier für ein Stoff, eine Geschichte verbirgt! Doch die literarische Erkundungs- und Erinnerungstour des angehenden Nebendraußenstehers, Identitätssuchers und vorerst noch Künstlerbewunderers macht hier keinen Halt – „Der Kreis“ kreist ausschließlich um das Ich und den Zusammenbau der Welt des kleinen, dann größeren, am Ende 17-jährigen Erzählers.

Es selbst tun ist immer besser als nur staunend bewundern

Weitere Szenen aus Maiers Leben schließen sich an, überschrieben mit „Mittelstufe“ oder „Oberstufe“, die Schule des Lebens halt.  Er lauscht dem Klavierspiel der Mutter (ja, da gibt es sogar Bewunderung für sie, die sich später wieder legt: Sie kann immer nur wenig wirklich gut spielen). Er fährt mit seinem fünf Jahre älteren Bruder und dessen Freunden auf ein Metal-Konzert in Frankfurt und erlebt sich beim Anblick mancher Fans als durchsichtig, wie nicht anwesend. Und er besucht eine Schultheater-Aufführung von Mathias Herrmann, Thomas Heinz, René Pollesch, beneidet die drei heutigen Theaterstars („Ihr Wille war absolut auf das Erreichen von Künstlertum ausgerichtet“) und entdeckt in dem Stück einen Wiedergänger von sich (und zeigt sich gleichzeitig erstaunt über die Begeisterung des Publikums, das hier subtil vorgeführt wird). Zum Schluss erfährt er, dass einer seiner Lehrer selbst Gedichte schreibt – und dass Künstler und Schriftsteller eben keine Überfiguren sind, nicht nur außen existieren, sondern mitten unter uns, quasi innen. Dass es auf das „Es tun“ ankommt.

Erstaunlich ist, wie es Andreas Maier am Ende vermag, seinen Kreis zu schließen. Jede seiner zunächst willkürlich erscheinenden, manchmal etwas länglich wirkenden Erinnerungsskizzen, die zudem genauso gut in die vorherigen Bände gepasst hätten, ist mit Bedacht ausgewählt. Und führt stets zu metaphysischen, Proust-ähnlichen Momenten: zu der Stille und Leere in Räumen wie dem Bibliothekszimmer, die sich jedoch ebenfalls durch die Töne einer Bach-Etüde, beim Metal-Konzert oder die Stimme des Hermann-Vaters bei dessen Lesungen einstellen kann. Maier spricht in diesem Zusammenhang von einem „Durchwehen“, eins der Leitmotive dieses Bandes. „Der Kreis“ erinnert an einen Wirbel, der hier etwas mitreißt, dort wieder abstößt, er ist ein Zwischenspiel – und könnte der Prolog sein zu dem späteren „Es tun“ von Maier. Aber ob er davon in den nächsten Büchern erzählt? Oder er weiterhin kaleidoskopisch in der Kindheits- und Jugendwelt verharrt?

Andreas Maier: Der Kreis. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 147 Seiten, 20 €.

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