zum Hauptinhalt
Grabschmuck

© DIG

Ausstellung: Die Glasperlenspieler

Kitsch am Kreuz: Das Ehepaar Ulzen sammelt Grabschmuck. Nun stellt es seinen Schatz erstmals aus.

Auch wer trauert, geht mit der Mode. Sie bestimmt, ob man die sterblichen Reste seiner Lieben unter die Erde bringen oder besser in alle Winde verstreuen soll. Ob der Sarg vom Designer oder Discounter kommt. Und womit man letzte Ruhestätten deckelt. Die amerikanische Kult- Fernsehserie „Six feet under“ gräbt tief im Bestattermilieu. Sie hat uns Überlebenskünstlern klargemacht: Totengedenken heute ist ein auf Außenstehende oft unfreiwillig komisch wirkender Ausnahmezustand. Und ein ziemlich eigenwilliges Geschäft.

Wer die Charlottenburger Grieneisen- Filiale am Fürstenbrunner Weg betritt, staunt dort über eine Ausstellung im Foyer. Sie zeigt ein unbekanntes Universum: historischer Grabschmuck aus Glasperlen. Kreuze und Kränze, wie sie kein Handarbeitskränzchen mehr zustande brächte. Blumenbouquets, perfekter als es die Natur vermag. Filigrane Gespinste in Schwarz, Weiß oder fahlem Violett. Im Zentrum der Gebilde prangen unter Glaskuppeln die Jungfrau Maria oder ein Christus mit flammendem Herzen, kleine Reliefs oder Bildchen aus Gips, Biskuitporzellan, Blech oder geprägtem Zelluloid. Horror vacui, aber vom Feinsten.

Gezeigt wird die Berliner Privatsammlung von Evelyn und Jürgen Ulzen. Oder vielmehr: ein besonders spektakulärer Teil davon. Denn die Ulzens sammeln seit über 20 Jahren alles, was mit Glasperlen zusammenhängt, von der Antike bis in die Gegenwart. Knapp 13 000 Inventarnummern stapeln sich im Steglitzer Haus des Sammlerpaars: neben dem berühmten Gablonzer Christbaumschmuck auch bestickte, gewebte und gestrickte Beutel und Täschchen, aus Perlen zusammengesetzte Bilder und Tischplatten. Ganz zu schweigen von den 5000 verschiedenen historischen Perlensorten, von denen Evelyn und Jürgen Ulzen Kleinstmengen an Sammler und Restauratoren weiterverkaufen. Mittlerweile firmieren die Ulzens als Perlen-Museum, schreiben und verlegen Bücher zum Thema, beraten Restauratoren und Museen, führen nach Voranmeldung Besucher durchs Haus. Meist kommen andere Sammler.

Ihr Grabschmuck, der normalerweise im Treppenhaus hängt, setzt sich aus vielen tausend Glasperlen zusammen. Geschickte Frauen- und Kinderhände haben die Miniperlen einst auf feinen, verzinkten Eisendraht gefädelt, zuweilen mit Hilfe einer per Fußpedal angetriebenen Maschine, wie sie in der Ausstellung zu sehen ist. In kleinen Fabriken in Böhmen, im Schwarzwald oder im Elsass wurden die Blüten, Blätter und Schleifen damals zu teils ausladenden Gebinden montiert. Das größte Stück der Ulzens misst 1,38 Meter in der Höhe, ein dezent fliederfarbenes Blumenarrangement aus der Art- Déco-Zeit. So viel Handarbeit wäre heute selbst in Billiglohnländern unbezahlbar.

Von Frankreich ausgehend, verbreitete sich gläserner Grabschmuck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ganz Europa. Vor allem in katholischen Regionen. Zu den Zentren der Perlkranzproduktion in Deutschland gehörten der badische Wallfahrtsort Walldürn und Oberreifenberg im Hochtaunus. Doch selbst in Schweden und Dänemark hat es Perlkränze und -kreuze gegeben. Sie dienten als Schmuck des aufgebahrten Leichnams und des frischen, mit Tannengrün abgedeckten Grabs. Und wurden jedes Jahr zu Allerseelen oder Allerheiligen von den Hinterbliebenen an den Stein oder das Grabkreuz gehängt. Oft hing der Schmuck bis ins neue Jahr, und rostete vor sich hin.

Man konnte ihn per Katalog bestellen, weniger Begüterte ihn sogar ausleihen. Erst zwischen 1930 und 1950 verboten Friedhofsverwaltungen deutschlandweit das langlebige und doch nicht unverrottbare Material per Verordnung, um 1960 lief die Produktion aus. Nur in entlegenen Regionen Südamerikas wie in Feuerland war, das hat den Ulzens eine befreundete Sammlerin erzählt, noch Anfang der neunziger Jahre Grabschmuck in Gebrauch.

Und: Ist das nun Kitsch? Evelyn und Jürgen Ulzen, die Glasperlenspieler aus Passion, kämen nie auf so eine Idee. Der hochgewachsene ehemalige CDU-Bildungsstadtrat von Wilmersdorf und seine kleine energische Frau sind beide um die 70, aber noch lange keine „Senioren“, wie sie beteuern. Gemeinsam haben sie ihre Stücke restauriert. Und lassen nun andere an ihrem Spezialwissen teilhaben, etwa durch das schöne Begleitbuch zur Ausstellung, das sie geschrieben und auf eigene Kosten verlegt haben. Manchem mag das exotisch erscheinen. Nur: Welcher Sammler ist kein Exot?

Vollblutsammler sind die beiden, „solange wir denken können.“ Vor den Glasperlen sammelten sie mechanische Musikinstrumente, alte Gläser, gusseiserne Öfen, Postkarten. Bei Musikautomaten kann Jürgen Ulzen noch immer schwach werden: „Ein Sammlertrieb, dass man möglichst viele besitzen möchte. Das ist wie eine Sucht.“ Doch inzwischen lernen die beiden, sich zu trennen. Einen Hörnerschlitten aus dem Bayerischen Wald, der im Hause Ulzen jahrzehntelang als Sofaunterbau diente, verkauften sie dem Dahlemer Museum Europäischer Kulturen. An den Gedanken, ob und wie ihr Perlen-Museum nach ihnen fortbestehen könnte, tasten sie sich langsam heran. Noch fällt es nicht immer leicht, ihre „Perlenkinder“ längere Zeit zu entbehren.

Übrigens: Als Sachverständige hat man sie auch schon ins Weimarer Goethehaus gerufen. Dort galt es Goethes Totenhemd zu begutachten, an dem es nichts Auffälliges gab, außer – Glasperlen.

Grieneisen Charlottenburg (Fürstenbrunner Weg 10-12), bis 31. März. Das Begleitbuch mit Fotos von Leo Seidel (Melete Buchverlag) kostet 30 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false