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Bayreuther Festspiele: Freiheitsgesänge in geschlossener Gesellschaft

Aus dem Orchestergraben steigt bei Richard Wagners „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ immer noch Wohlklang, aber rings um den Grünen Hügel sind scharfe politische Töne zu vernehmen: Nicht jeder in der Familie des Komponisten will sich mit der Nazi-Vergangenheit des Festivals auseinandersetzen.

Und noch ein Labor, eine Fabrik, eine Werkstatt. Das häuft sich im Bayreuther Festspielzirkus, dass sie den alten Wagner mit allen möglichen Drogen zu reanimieren versuchen, ihm über Spritzen, Schläuche und Zapfsäulen geheimnisvolle Substanzen verabreichen und die Bühne zum Testfeld wird, zur Menschenversuchsanordnung mit offenem Ausgang. Eifrig doktern sie an Wagners Kunstwerk der Zukunft herum, auf allen Ebenen wird gewerkelt und gewuselt, mit massenhaft Leuten bis unters Dach, es gibt viel zu tun. Seit Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“ 2004 herrscht auf der Bühne des Festspielhauses häufig drangvolle Enge. Wagner, ein Forschungsprojekt: So schnell geben sie ihn hier nicht auf.

Wobei es in Hans Neuenfels’ „Lohengrin“, der im dritten Jahr auf dem Grünen Hügel endlich genauso frenetisch gefeiert wie ausgebuht wird, ja keine Menschen sind, sondern Ratten. Seine rättischen Kreaturen sind schon Kult hier, herrlich, wie sie sich artig versammeln, tippeln, schwänzeln, fächeln, liebedienern, ihren Helden huldigen und die Hände ringen wie das Publikum im hochsommerheißen Saal, nur eben auf höchstem sängerischen Niveau (Choreinstudierung: Eberhard Friedrich). Ein Kollektiv, das ungläubig beäugt, wie Lohengrin und Elsa aus der verriegelten, verregelten Rattenwelt ausbrechen wollen, wie sie das Menschsein probieren, die Liebe zumal – und daran scheitern.

Tannhäuser und Elisabeth ergeht es nicht anders. Sebastian Baumgartens sperriger „Tannhäuser“ von 2011 und der fulminante „Lohengrin“ von 2010 weisen verblüffende Parallelen auf. Auch bei Baumgarten ist die Welt ein Menschenzoo, in Joep van Lieshouts bühnenfüllender „Technokrat“-Installation, einer mehrstöckigen Biogasfabrik. Die affenzottigen Venusberg-Wesen sind so wenig selbstbestimmte Individuen wie die katholischen Pilger, die sich im Container einpferchen lassen, um gen Rom zu gelangen. Nach ihrer Rückkehr verfallen sie in zombiehaft gleichgeschaltete Gesten: religiöse Reinigung als Waschzwang-Ritual. Und wie im „Lohengrin“ ringen mitten in dieser Wartburg-Gesellschaft voller Lebenslust-Surrogate und fundamentalistischer Verhaltensmaßregeln zwei Menschen darum, Ich und Du sagen zu dürfen. Aber auch Tannhäuser und Elisabeth überleben ihren Freiheitskampf nicht. Interessant übrigens, wie sich beide Inszenierungen mit der Religion herumschlagen, dem Stachel im Leib der säkularisierten Gesellschaft.

Wie steht es um die neue Ära auf dem Grünen Hügel, den viel beschworenen Generationswechsel, seit Katharina Wagner und Eva-Wagner Pasquier 2008 ihr Amt antraten? Macht Bayreuth sich endlich ehrlich, bricht es mit der verriegelten, verregelten rättischen Wagner-Welt in Bayreuth? Vonseiten der Regie wird die Selbstreflexion jedes Jahr neu probiert. Längst ist Bayreuth eine Werkstatt in eigener Sache, auch was die Verstrickung mit dem Völkischen und dem Nationalsozialismus angeht. Auf Schlingensief folgte 2009 Stefan Herheims „Parsifal“, der das kollektive Unbewusste der Deutschen in Szene zu setzen versuchte und auf offener Bühne Hakenkreuzfahnen vor der Villa Wahnfried aufpflanzte. Neuenfels und Baumgarten vertiefen das, sie erkunden den autoritären Charakter.

Wobei Neuenfels seine Studien auf wunderbar böse und komische Weise betreibt, weniger als Lehrmeister denn als naseweiser Hofnarr. Erkenntnis kann auch kurzweilig sein: Das Lachen über sich selbst ist der erste Schritt aus der Unmündigkeit. In Baumgartens Denklabor geht es strenger, theoretischer, verkopfter zu.

Dass Elisabeth für ihren Märtyrertod ins Biogas geht, hatte ihm im Premierenjahr viel Kritik eingebracht – und kräftige Buhrufe auch jetzt. Aber steckt nicht schon in Wagners Entscheidung, Elisabeth stillschweigend in höhere Sphären zu verfrachten, und in seiner wiederholten Regieanweisung, dass aufopfernde Heldinnen „entseelt“ zu Boden sinken mögen, ein ungeheures Gewaltpotenzial?

„Verstummte Stimmen“: So heißt die Ausstellung am Fuß des Festspielhauses, nein, nicht direkt auf dem Vorplatz, sondern eine Treppe tiefer, rund um Arno Brekers Wagner-Büste im Park. Hier können die Opernfreunde in den Pausen mit Sektglas in der Hand über all jene etwas erfahren, die in Bayreuth auftraten und von den Nazis ermordet oder ins Exil gezwungen wurden. Sänger, Musiker, Choreografen, Assistenten, Stars und Statisten. Wichtiger noch: Auf den Stelltafeln kann man nachlesen, wie die Festspiele schon im 19. Jahrhundert zur Hochburg des Antisemitismus wurden, wie vor allem Richard Wagners Witwe Cosima eine regelrechte Apartheidspolitik betrieb.

Aufarbeitung, endlich? Das Projekt der Historiker und Musikpublizisten Hannes Heer, Jürgen Kesting und Peter Schmidt hat einen Schönheitsfehler: Nicht die Festspiele, nicht die Wagner-Schwestern haben es in Auftrag gegeben. Und die Ausstellung ist auch nicht neu, nur für den Ort spezifiziert. „Verstummte Stimmen“ tourt seit 2006 durchs Land, machte bereits in sechs Städten Station. Das versprochene festspieleigene Geschichtsprojekt lässt auf sich warten. Ein Ärgernis, ein Skandal. Kulturstaatsminister Bernd Neumann fand anlässlich der Festspiel-Eröffnung letzte Woche höfliche, aber deutlich drängelnde Worte dazu. Und Nike Wagner wird jetzt noch schärfer. Sie schimpft über das verhaltene Interesse des Bayreuther Wagner-Archivdirektors Sven Friedrich an der eigenen Arbeit. Sie erinnert daran, dass das der Öffentlichkeit nicht zugängliche Archiv von Cousine Amélie Hohmann die Korrespondenzen der Komponisten-Schwiegertochter Winifred enthält, die mit ihrem Mann Siegfried zu den schlimmsten Nazis der Familie gehörte. Und seit 2008 verspreche Cousine Katharina die Öffnung des Privatarchivs ihres Vaters Wolfgang Wagner. „Sie hat ,Historiker ihres Vertrauens’ beauftragt, wie sie einigermaßen merkwürdig formuliert, den Journalisten Peter Siebenmorgen und den Historiker Wolfram Pyta, aber es ist nichts geschehen zwischen 2008 und 2012. Offenbar wird hier verschleppt.“ Auch Hannes Heer habe für die „Verstummten Stimmen“ keinen Zugang bekommen. Geschlossene Gesellschaft.

Und die Musik? Spricht all dem Hohn. So frei, so ins Offene wurde in Bayreuth früher nicht dirigiert. Im „Tannhäuser“ triumphieren nicht Pathos und Pomp, Frömmelei und Feierlichkeit, sondern dynamische Stimmen, mit neuen, besseren Solisten als 2011, Torsten Kerl in der Titelrolle und Michelle Breedt als Venus, dazu Camilla Nylund als bewährte Elisabeth und der junge Michael Nagy als erneut anrührender Wolfram. Klaus Florian Vogt wird mit seinem Lohengrin zum Superstar der Saison, sein makelloser, geschichtsschlackenfreier, jungenhaft erotischer Tenor ist ein großes Glück, das alle miteinander teilen, die Wagnerianer, die es kräftig wollen, mit den Belcanto-Liebhabern, die gern den Sinn hinter den Worten verstehen. Annette Dasch als Elsa bildet mit Vogt das aktuelle Bayreuth-Traumpaar: Die beiden beweisen, es geht auch ohne Druck, ohne gewaltiges Organ, im Kern von Wagners Mythenwelt stehen lebendige, unvollkommene Menschen.

Und Christian Thielemann, der den im Streit über die hohe Orchesterfluktuation ausgeschiedenen Thomas Hengelbrock am Dirigentenpult des „Tannhäuser“ ersetzt, sorgt für ein noch größeres Wunder. Schon das Vorspiel nähert die Gegensätze einander an, schiebt die Wartburg-Choräle und die irisierende Venusberg-Musik ineinander. Die Versöhnung des Apollinischen mit dem Dionysischen im Geist der Zärtlichkeit, einer französischen Spielweise, mit der Thielemann bereits dem „Ring“ alles Martialische nahm: Das macht jetzt Schule. Auch „Lohengrin“-Dirigent Andris Nelsons versucht es mit Leichtigkeit. Die neuen Töne sind längst angeschlagen. Nur die Chefinnen auf dem Hügel haben dafür noch kein Ohr.

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