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Kultur: Brückenbauer

Zum Tod des britischen Kritikers Frank Kermode

Er hat keine wirklichen Schüler hinterlassen, er hat keinen erkennbaren Stil geprägt, aber mit seiner einzigartigen literarischen Neugier kann man ihn als Vorbild kritischen Schreibens gar nicht genug rühmen. Frank Kermode, 1919 auf der Isle of Man geboren, war das letzte und glänzendste Beispiel dafür, dass akademischer criticism und journalistisches reviewing zwar verschiedene Tonlagen und Bedürfnisse befriedigen müssen, in der Durchdringungskraft des Gegenstands – und allgemeinen Zugänglichkeit – aber auf derselben Höhe stehen können.

Die englische Kultur bot ihm dafür ideale Voraussetzungen, und als diese sich in den siebziger Jahren verschlechterten, trug er entscheidend dazu bei, mit der „London Review of Books“ 1979 ein neues kritisches Organ zu schaffen, in dem sich beide Welten begegneten. Für die „LRB“ schrieb er über 200 Artikel, darunter auch über die jüngste Literatur. Seine Urteilssicherheit und seine Fähigkeit zu überraschenden Einsichten hat er sich allerdings in Studien zu Shakespeare, Donne und Spenser erworben, um sein analytisches Besteck später auch an Wallace Stevens und – zuletzt – E.M. Forster zu erproben. Rund vierzig Bücher hat er veröffentlicht: die meisten davon als Essayist und Literaturwissenschaftler, der zwischen London und New York und den Cambridges auf beiden Seiten Seiten des Atlantiks bedeutende Professuren innehatte, eine ganze Reihe aber auch als Kritiker – und eines, seine Erinnerungen „Not Entitled“, ganz in eigener Sache. Am Dienstag ist der 1991 zum Ritter geschlagene Kermode mit 90 Jahren im britischen Cambridge gestorben. dotz

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