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Schlange oder Serienmörder? Zwei Seiten aus Anja Wickis Beitrag für die aktuelle #11.

© Ampel

„Ampel Magazin“: Schweizer Handarbeit mit hohem Anspruch

Vom 5. bis 13. April präsentiert sich Europas Comic-Szene beim Fumetto in Luzern. Mit dabei: Das Ampel-Magazin, ein so ambitioniertes wie erfolgreiches Forum für den künstlerischen Nachwuchs.

Ab diesem Sonnabend findet zum 23. Mal das internationale Comix-Festival Fumetto in Luzern statt. Seit seiner Gründung 1992 hat es sich von einer Veranstaltung für Liebhaber zu einem europaweit beachteten Festival entwickelt. Assistent der Künstlerischen Leitung ist in diesem Jahr der 1988 geborene Luca Bartulović. Dass der Absolvent der Universität Luzern ebenso wie das Festival selbst in der expandierenden Comicszene angekommen ist, das beweist nicht nur seine Tätigkeit in der Festivalorganisation, sondern vor allem auch der Erfolg des von ihm mitbegründeten Ampel Magazins, das als kleines studentisches Projekt gestartet ist und inzwischen aus der deutschsprachigen Comiclandschaft nicht mehr wegzudenken ist.

Zusammen mit seinen damaligen Kommilitonen im Studiengang Visuelle Kommunikation, Anja Wicki und Andreas Kiener, gründete Bartulović vor vier Jahren ein Comic-Magazin, das vor allem jungen schweizer Zeichnern und Zeichnerinnen eine Plattform für Veröffentlichungen bieten sollte. Die erste Ausgabe startete mit einer Auflage von 60 Exemplaren. Inzwischen produzieren die drei Herausgeber 300 Stück von jeder Nummer. An ihrem Prinzip, jedes Heft von Hand zu drucken und zu binden, halten die drei trotzdem weiterhin fest. Im Vorwort zur Jubiläumsausgabe Nr. 10 formulieren sie ihren Anspruch, mit jeder Ausgabe „die Messlatte etwas höher setzen zu können“.

Optische Vielfalt, klare Gestaltungsmerkmale

Das sind hoch gesteckte Ziele, das Magazin schafft es jedoch durchaus, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das liegt vor allem daran, dass die Herausgeber nicht versuchen, jedes Heft zu einer besseren Variante des Vorgängers zu machen. Es gelingt ihnen vielmehr, sich mit jeder Ausgabe ein Stück weit neu zu erfinden, sich dabei aber trotzdem selbst treu zu bleiben. Betrachtet man die unterschiedlichen Hefte, so stößt man zunächst auf eine große, vor allem optische Vielfalt: bei Format, Farbgebung und Stil ist keine klare Linie zu erkennen. Beginnt man aber, in den einzelnen Ausgaben zu lesen, so kann man schnell wiederkehrende Gestaltungselemente erkennen.

Hohe Messlatte: Zwei Seiten aus dem Beitrag von Bianca Bagnarelli im Ampel Magazin #10.
Hohe Messlatte: Zwei Seiten aus dem Beitrag von Bianca Bagnarelli im Ampel Magazin #10.

© Ampel

So sind zum Beispiel alle Hefte zweifarbig gedruckt. In der aktuellen, im November 2013 erschienenen Ausgabe Nr. 11, tritt ein dunkles Bordeaurot neben das dominierende Schwarz-weiß; im vorangegangenen Heft ist es ein leuchtendes Orange. Auch inhaltlich gibt es schnell einen Wiedererkennungeffekt: Jeder Beitrag funktioniert zwar als eigenständige Geschichte, gleichzeitig gibt es jedoch eine Art thematischen Fluchtpunkt, auf den alle Beiträge zulaufen, und der es ermöglicht, die einzelnen Comics zueinander in Bezug zu setzen.

Michael Jackson und ein Pakt mit dem Teufel

Auf dem Vorsatzblatt des aktuellen Heftes findet sich der Hinweis, dass es sich bei den Beiträgen, die in dieser Ausgabe ausschließlich vom Herausgeberteam stammen, um „Drei Märchen“ handelt. Hier ist die thematische Klammer besonders explizit. Im Folgenden wird dem Leser in einer Mischung aus klassischen Comicpanels, ganzseitigen Illustrationen und handgelettertem Fließtext von einem Pakt mit dem Teufel, einer Begegnung mit einer bösartigen Schlange und einer unglücklichen Prinzessin erzählt. Alle drei Beiträge bedienen die Konventionen der Gattung, stellen diese jedoch in kaum mehr als einem Nachsatz am Ende des Heftes wieder in Frage. Unter Berufung auf die Etymologie des Wortes „Märchen“, wird am Ende erklärt, es handele sich bei den vorliegenden Erzählungen, um die wahrheitsgetreue Darstellung dreier Lebensgeschichten. So wird die Mär von der Prinzessin, die von einem Holzfäller in Gestalt eines Katers entführt und über Jahre hinweg in einer kleinen Kammer gefangen gehalten wird, zu einer Reflexion auf den Fall Natascha Kampusch. Die Figur des unglücklichen Jungen, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, um die Gier seines Vaters nach Ruhm befriedigen zu können, wird mit Michael Jackson verknüpft und die schwarze Schlange, die ein Tier nach dem anderen in ihrer Höhle verschlingt, erscheint vor der Folie des amerikanischen Serienmörders Jeffrey Dahmer.

Eine glatte und bruchlose Lesart wird so bewusst unterminiert und der Leser ist gezwungen, seine Deutungen immer wieder in Frage zu stellen. Ähnliches passiert auch in der Jubiläumsausgabe des Ampel-Magazins. Auch hier empfangen den Leser einige erklärende Worte. Alle Geschichten, so liest man, spielen um den 4. April 1941 in einer Stadt namens Trafikklys. Um die einzelnen Comics, an deren Ende der Protagonist stets zum Himmel aufblickt, zu lesen und miteinander in Verbindung zu setzen, wären diese Informationen jedoch nicht unbedingt notwendig. Das Heft würde auch ohne diese Folie funktionieren, denn auch hier erzählt jeder der Beiträge eine eigenständige Geschichte, die einen schmunzeln oder nachdenklich werden lässt.

Ausgezeichnet mit dem Max-und-Moritz-Preis

Die Vielfalt der Zeichenstile begeistert und jeder der elf Beiträger nutzt den farblichen Kontrast zwischen Orange und Schwarz-weiß, der die Optik des gesamten Heftes prägt, und macht ihn für seine Narration fruchtbar. Besonders eindrucksvoll gelingt dies Anja Wicki, die in ihrem Beitrag von einem Paar erzählt, das sich voneinander entfremdet hat. Sie akzentuiert die Distanz zwischen den beiden, indem sie die aktuelle, beklemmende Situation ausschließlich in Schwarz-weiß darstellt, Erinnerungen an die glückliche Phase der Verliebtheit jedoch in Orange. So werden Vergangenheit und Gegenwart klar voneinander geschieden. Bei Raphael Beck hingegen bricht das Orange nach und nach in die ansonsten schwarz-weißen Panels ein und nimmt sich immer mehr Raum. Hier wird explizit die Rauchwolke am Himmel gezeigt, die man als Leser eventuell erwartet, wenn man die Beiträge vor dem Hintergrund der Marineschlacht am 4. April 1941 liest, die mit dem Entdecken einer Rauchwolke am Horizont begann.

Märchensammlung: Das Cover des aktuellen Hefts #11 gestaltete Andi Kiener.
Märchensammlung: Das Cover des aktuellen Hefts #11 gestaltete Andi Kiener.

© Ampel

Diese Wolke ist in Becks Comic jedoch der einzige Bezug zum im Vorwort genannten historischen Datum. Und auch bei den übrigen Beiträgen ergeben sich lediglich mehr oder weniger lockere Verbindungen. Das, genau wie die Tatsache, dass es eine Stadt namens Trafikklys nicht gibt, lässt wiederum viel Spielraum für den Leser. Wer neugierig ist, kann herausfinden, dass der Name der fiktiven Stadt das norwegische Wort für Ampel ist und sich daran freuen, wie geschickt die Macher des gleichnamigen Magazins es immer wieder schaffen, mit den Erwartungen des Lesers zu spielen und diese zu brechen. Der Hinweis, für das Konzept des Heftes hätten sich die Herausgeber „von einem nordischen Film“ inspirieren lassen, „den wir nie gesehen haben“, tut sein übriges dazu.

Zu Recht wurde das Magazin beim Comic Salon in Erlangen 2012 mit dem Max-und-Moritz-Preis für die beste studentische Publikation ausgezeichnet. Die Jury lobte nicht nur das ambitionierte Konzept des Magazins und das hohe künstlerische Niveau, sondern zeigte sich vor allem von dem großen Einsatz begeistert, mit dem die drei Herausgeber an ihrem Projekt arbeiten. „Wetten,“ – hieß es am Ende der Laudatio – „dass es das Ampel Magazin noch eine Weile geben wird?“. Inzwischen sind drei weitere Ausgaben erschienen und man darf darauf hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.

Zur Website des Ampel-Magazins geht es hier. Und das komplette Programm des Fumetto-Festivals findet sich hier. Am 13. April findet dort ein von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne moderiertes Panel statt, bei dem es unter anderem um das Ampel-Magazin und die Schweizer Comicszene im Allgemeinen geht. 

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