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Beschützer oder Bedrohung? Ein von Lee Bermejo gezeichnetes Panel aus dem "Before Watchmen"-Band "Rorschach".

© Panini

Before Watchmen: Ein Wächter für die Wächter

So umstritten wie „Before Watchmen“ war schon lange keine Comicserie mehr. Jetzt erscheint die Reihe auf Deutsch. Beim Comicfestival München nahm ein Mitwirkender die Fortsetzung von Alan Moores Epos in Schutz.

Auf dem Comicfestival in München lässt sich wohl selbst in Künstlergesprächen die Frage nach dem Oktoberfest nicht vermeiden. Die nach der Ethik eines Projektes wie „Before Watchmen“ aber auch nicht. Angekündigt war Zeichner Lee Bermejo. Der ist zusammen mit Autor Brian Azzarello für die im Rahmen der „Before Watchmen“-Reihe erscheinende Serie „Rorschach“ verantwortlich, jetzt werden die ersten Bände der Serie auch in Deutschland veröffentlicht. Der mittlerweile in Italien lebende Amerikaner, der sich das Zeichnen selber beigebracht hat, war zum ersten Mal in München, und nein, er habe das Oktoberfest zum Anlass eines eventuellen vorherigen Besuches nicht nutzen können, so seine Antwort auf die Eingangsfrage des Moderators beim Künstlergespräch zu „Before Watchmen“.

Danach folgte ein Überblick über den künstlerischen Werdegang, der nach der freundlichen Übernahme von Jim Lees Wildstorm-Verlag durch DC Comics nahtlos bei Letzterem weitergeführt wurde. Er habe zu Wildstorm-Zeiten einiges von Travis Charest lernen dürfen, so Bermejo. Weitere Einflüsse auf sein Werk hätten außerdem die Werke des Malers Norman Rockwell und unter anderem Comic-Zeichner wie Kevin Nowlan gehabt, was man Bermejos zwischen Klassizismus und Romantik changierenden gemäldeartigem Stil auch bisweilen ansieht.

Er sei aber wesentlich mehr vom Film, insbesondere vom Film Noir und dessen Art und Weise der Bildgestaltung inspiriert als von anderen darstellenden Künsten. Daher auch sein Hang zu Themen, die von düsterer und zupackender Natur sind und ein Grund dafür seien, dass er ein besonderes Faible für die Figur des Vigilanten Rorschach aus „Watchmen“ habe. Und deshalb wäre er auch froh über die Gelegenheit, eine Serie über diese Figur machen zu können. Dass dieses im Team mit Brian Azzarello geschehe, freue ihn umso mehr, hätten sie doch bereits mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet, so etwa an den Graphic Novels „Noel“ und „Joker“.

„Rorschach“, beziehungsweise „Before Watchmen“, ist der Versuch von DC Comics, nachträglich die Kuh zu melken, die Mitte der 1980er Jahre bereits äußerst ertragreich das Ansehen und die Kasse des US-amerikanischen Superhelden-Verlages aufbesserte. Basierend auf der Originalserie „Watchmen“ von Alan Moore und Dave Gibbons wird hier versucht, der vielschichtigen Erzählung von mit Moraldefinitionen ringenden Übermenschen eine Vorgeschichte anzutackern, die laut Pressetext des für die deutsche Übertragung verantwortlichen Panini-Verlages „die Vergangenheit der einzelnen Helden ausgearbeitet und so deren Charakter, ausgehend von Alan Moores Idee, weiterentwickelt.“

Geliebt, kritisiert: Lee Bermejos Zeichnungen sind bei den Fans besonders begehrt - für seine Arbeit an der umstrittenen Fortsetzung von Alan Moores "Watchmen" bekommt er aber auch viel Kritik zu hören.
Geliebt, kritisiert: Lee Bermejos Zeichnungen sind bei den Fans besonders begehrt - für seine Arbeit an der umstrittenen Fortsetzung von Alan Moores "Watchmen" bekommt er aber auch viel Kritik zu hören.

© Lars von Törne

Wer Alan Moores Werke kennt, weiß, wie bitter nötig der Mann Verbesserungen seiner Charaktere hat… Moore jedenfalls war und ist von der Idee einer Fortführung seines Werkes nicht sonderlich angetan, man möchte sogar sagen, dagegen.

Und ausgerechnet ein Traktat über Moral, was „Watchmen“ zweifelsohne eben auch ist, nachträglich mit einer ethischen Gretchenfrage für eventuelle Abnehmer oder fortführende Künstler zu befrachten, ist derart ironisch, dass man sich fragen muss, ob die Herausgeber überhaupt wissen, was für Inhalte in den von ihnen verlegten Comics verhandelt werden.
Nun, dass DC dieses nicht zu wissen scheint, hat in den USA im vergangenen Jahr, als die Veröffentlichung von „Before Watchmen“ begann, eine Welle der Kritik ausgelöst, die von besonnen bis, sagen wir mal, unerträglich reicht. David Brothers hat in einem lesenswerten Artikel dargelegt, was ihn zum zukünftigen Boykott des gesamten Outputs von Großverlagen wie DC und Marvel bewegt, eine ihm sichtlich nicht leicht gefallene Entscheidung, die von der lieblosen und profitorientierten Missachtung der Filmproduzenten von „Avengers“, also Marvel, am kreativen Anteil Jack Kirbys und anderer Künstler an deren Schöpfung maßgeblich mitbestimmt wurde.

Das andere Ende der Skala wird repräsentiert von Allen David Doane, der sich zu Vergleichen der an „Before Watchmen“ beteiligten Künstler mit den Nazi-Kollaborateuren des französischen Vichy-Regimes hinreißen ließ und das Ganze noch zu toppen wusste, indem er ZeichnerJoe Kubert mit dem Football-Trainer Joe Pasterno, dem der sexuelle Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird, auf eine Stufe stellte.

Unterm Strich bleibt ein genereller Unmut über den von der amerikanischen Comic-Industrie gepflegten Umgang mit ihren Angestellten und deren Schöpfungen - was die Frage aufwirft: Wie verhalte ich mich als Künstler oder als Endabnehmer dazu?

Diese Frage, deren Antwort jeder für sich individuell finden muss, sollte aber trotzdem gestellt werden, auch und gerade auf einem Comicfestival, welches unter anderem ankündigte, über „Postsäkularität in frankobelgischen Comics“ nachdenken zu wollen. Und das wurde sie auch, als kurz vor Schluss des Künstlergespräches aus dem Publikum um eine Stellungsnahme des Zeichners zu dessen Haltung bezüglich des grundsätzlichen Umgangs mit den kreativen Vorlagen anderer Kollegen gebeten wurde.

Zurück in die Zukunft: Das Cover der von Darwyn Cooke gezeichneten "Minutemen"-Episoden.
Zurück in die Zukunft: Das Cover der von Darwyn Cooke gezeichneten "Minutemen"-Episoden.

© Panini

Die wenig überraschende Antwort Bermejos fiel pragmatisch aus: Er sähe zwar die Berechtigung der Frage, würde aber im Gegenzug gern beantwortet wissen, ob man denn mit derartigen ethischen Prinzipien noch Geschichten über Superman oder Batman erzählen dürfe, deren Schöpfer ja auch nicht unbedingt alle ihren Frieden mit dem nun die Rechte innehabenden Verlag gemacht hätten. Weiterhin bemerkte Bermejo, niemand hätte jemals den Vertrag zwischen DC, Moore und Gibbons zu Gesicht bekommen, der DC die Rechte an „Watchmen“ zusicherte, daher seien Spekulationen über dessen rechtmäßige Einhaltung müßig.
Alles richtig, nur steht eben „Before Watchmen“ signifikant für einen mangelnden Respekt gegenüber den Wünschen der Künstler bezüglich ihrer Kreationen, der nach dem Erscheinen von „Watchmen“ als auf einem besseren Weg befindlich angesehen wurde. Und einmal begangenes moralisch fragwürdiges Verhalten rechtfertigt keinesfalls eine Wiederholung desselben. Die in Folge der Debatten um „Before Watchmen“ erfolgten DC-Weggänge von Künstlern wie Roger Langridge oder Chris Roberson sind ein Indiz dafür, dass es auch andere Haltungen zur Arbeitsethik im Superheldengeschäft gibt.

Ebenso hat die Zunahme von Künstlern, die lieber bei Verlagen wie beispielsweise Image veröffentlichen, zugenommen. Dort müssen sie zwar einen größeren Anteil des finanziellen Risikos tragen, behalten aber auch alle Rechte an ihren Figuren und Geschichten. Dass dieses Risiko nicht von jedem getragen werden kann oder will, ist ein weiterer zu berücksichtigender Punkt innerhalb dieser Diskussion. Doch letzlich entscheidet der Kunde, wie er sich zu derartigen Praktiken und Produkten verhält – an der Kasse.

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