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Geheimnisvoller Champion: Eine Seite aus „Blue Fighter“.

© Schreiber & Leser

Box-Comic „Blue Fighter“: In diesem Ring ist kein Platz für den feinen Geist

Jiro Taniguchis und Caribu Marleys „Blue Fighter“ erzählt von einem geheimnisumwobenen Boxer. Jetzt ist der Manga erstmals auf Deutsch erschienen.

Bereits zu seinen Lebzeiten wurde ein Großteil des Comic-Schaffens von Jiro Taniguchi (1947–2017) auf Deutsch veröffentlicht, doch posthum geht es noch immer weiter. Fans des international geachteten Künstlers aus Japan wissen daher, dass er nicht bloß anspruchsvolle, besinnliche Manga wie „Vertraute Fremde“ oder „Der spazierende Mann“ schuf, sondern auch allerhand handfeste, oftmals trashige Kost aus den Bereichen Krimi, Abenteuer, Action und Kampfsport.

Mit dem neuen Einzelband „Blue Fighter“ (Schreiber & Leser, 306 S. ,16,95 €) fordert nun ein weiterer dieser wenig zimperlichen Taniguchis den Leser dazu heraus, mit ihm in den Ring zu steigen.

Treffsicher gezeichnet, Story mit Haken

Der ausländische Boxer Reggae wird in Japan als Publikumsliebling gefeiert. Er steigt betrunken in den Ring, und ob er verliert oder gewinnt, beides tut er zumeist auf unkonventionelle, spektakuläre Weise.

Eines Tages nimmt ihn der Ex-Weltmeister und Promoter Dangelo Dready unter seine Fittiche und organisiert große Kämpfe im Ausland, die von der Box-Mafia gelenkt werden – zur Not wird schon mal ein anderer Herausforderer ins Jenseits befördert, um Reggae einen lukrativen Fight zu beschaffen.

Reggae kümmert das alles herzlich wenig, und er sagt im ganzen Comic auf über 300 Seiten keine drei Sätze. Wer versucht, das Geheimnis von Reggaes Vergangenheit zu lüften, landet bei Legenden über seine Suche nach Erleuchtung in asiatischen Tempeln oder ein Gemälde aus der Phase, da er als Künstler in Paris lebte.

Wie passt das zum versoffenen Fighter, der mit alten Kühlschränken auf einem Schrottplatz trainiert, Box-Fans weltweit elektrisiert und zur Not unter einer Discokugel in einem Ring ohne Regeln und Handschuhe kämpft?

Korruption, Gewalt und Sex

Es passt nicht wirklich, und genau das ist das Problem und zugleich das Verblüffende an der Story von „Blue Fighter“, die sich Garon Tsuchiya („Old Boy“) ausgedacht hat, der auch unter dem Namen Caribu Marley und anderen Pseudonymen bekannt war und als Szenarist noch mit Manga-Schwergewichten wie Kaiji Kawaguchi („Eagle“) zusammenarbeitete.

Nicht wenige der Elemente des Box-Krimis voller Korruption, Gewalt und Sex, die Marley um die Sportgeschichte arrangiert, sind reichlich seltsam und überzogen.

Dangelo schleppt Reggae zur Vorbereitung auf einen großen Kampf sogar nach Alaska, um sich auf der Jagd einem Elch und einem Bär zu stellen – um Reggaes Killerinstinkt zu schärfen, der den finsteren Boxer ausmacht.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Schreiber & Leser

Merkwürdige Szenen, grell überzeichnete Figuren, platte Erotik, die übertriebene Mythologisierung und Glorifizierung eines Sportlers als Antiheld – „Blue Fighter“ bietet viel Angriffsfläche für Kritik. Trotzdem funktioniert die Geschichte innerhalb ihrer eigenen verqueren Logik und Motivik.

Nicht zuletzt deshalb, weil Jiro Taniguchi jede noch so abstruse Wendung und abwegige Szene grafisch mit einer gewaltigen Intensität ausstattet. Sein Schwarz-Weiß-Artwork passt sich der inhaltlichen Überzeichnung an, ohne seinen gewohnten Realismus aus dem Ring zu befördern.

Und gerade dem explosiven, exzessiven Kampfgeschehen im Seilgeviert und der hitzigen, lauten Atmosphäre in den Hallen und Stadien schadet diese Intensität nicht. Man spürt und hört die Schläge, die Reggae dank Taniguchis Strich mit Wucht an den Mann bringt, und es ist schon beeindruckend, wenn der Manga-Star über einer riesigen Freiluftarena in Südamerika einen majestätischen Kondor schweben lässt.

Ein Zeitgenosse von Rocky Balboa

Es war sicher kein Zufall, dass „Blue Fighter“ im kampfsportbegeisterten Japan 1982 herauskam – dem Jahr, in dem der dritte „Rocky“-Film mit Sylvester Stallone als Boxer Rocky Balboa in die Kinos anlief, den der Schauspieler bereits 1976 und 1979 verkörpert hatte und der in Japan früh als Heldenikone verehrt wurde.

Trotz der temporären und thematischen Verwandtschaft ist „Blue Fighter“ dennoch nicht der Volltreffer, der einen Leser beim Debüt im Ring der grafischen Literatur zum Comic- oder Manga-Fan machen könnte.

Der Band, der auf Jiro Taniguchis manchmal doch recht steinigem Weg zum Superstar in Comic-Europa lag, sollte auch nicht der erste seiner Manga sein, den man liest. Aber wer schon über ausreichend Kampferfahrung verfügt und bisher jeden ins Deutsche übersetzten Taniguchi bei Schreiber & Leser sowie Carlsen gesichtet hat, kann ein paar Runden mit Reggae wagen.

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