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Kunst der Rede: Die Hauptfigur in „Quai d’Orsay“ ist Dominique de Villepin nachempfunden.

© Reprodukt

Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreis: Zwischen Diplomatenjargon und Phrasendrescherei

Ulrich Pröfrock erhält für seine Übertragung des Comics „Quai d’Orsay“ den mit 12.000 Euro dotierten Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreis 2015. Wir dokumentieren die Begründung der Jury.

Der Freiburger Übersetzer und Buchhändler Ulrich Pröfrock erhält für seine herausragende Übertragung von Christophe Blains und Abel Lanzacs Comic „Quai d’Orsay. Hinter den Kulissen der Macht“ den diesjährigen Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreis. Das teilte der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. am Donnerstag mit, dessen Presseerklärung wir im Folgenden dokumentieren. Der Verein hatte den Preis in diesem Jahr erstmals für die Übersetzung eines Comics oder einer Graphic Novel ausgeschrieben. Der mit 12.000 Euro dotierte Preis wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg finanziert. Die Preisverleihung wird von der Christoph Martin Wieland-Stiftung in Biberach ausgerichtet und findet am 2. Oktober in der Heimatstadt des Namenpatrons statt. Im Anschluss an die Preisverleihung im Museum Biberach wird eine Kabinettausstellung zur prämierten Graphic Novel eröffnet. 

„Ulrich Pröfrock zieht bei seiner Übersetzung alle sprachlichen Register, um die abrupten Wechsel zwischen offiziellem Diplomatenjargon und inoffizieller Phrasendrescherei, zwischen politischem Diskurs, kultureller Prahlerei und alltäglichem Kleinklein aus der französischsprachigen Vorlage ins Deutsche zu übertragen. Für die Charakterisierung der Figuren hat er jeweils eine angemessene Sprache gefunden, um deren persönliche Entwicklung und situative Verortung lebendig werden zu lassen. Seine Übertragung lässt uns nicht nur, wie im Titel angekündigt, hinter die Kulissen der Macht schauen, sie entlarvt den manipulativen Einsatz der Sprache im Tauziehen der Mächtigen, ohne dabei den federleichten und lebendigen Grundton des Originals zu verlieren“, begründete Dr. Nathalie Mälzer, Übersetzerin und Trägerin der Heyne-Juniorprofessur für Transmediale Übersetzung an der Universität Hildesheim, die Entscheidung der fünfköpfigen Jury. Den besonderen Herausforderungen bei der Übersetzung von Comics und grafischer Literatur, wie der Wahrung der Text-Bild-Beziehungen und der Intertextualitäten, werde Pröfrock in hervorragender Weise gerecht.

Alte Bekannte: Auch Joschka Fischer hat in dem prämierten Werk einen Auftritt.
Alte Bekannte: Auch Joschka Fischer hat in dem prämierten Werk einen Auftritt.

© Reprodukt

Das Album ist in Frankreich bereits 2010 und 2011 in zwei Bänden erschienen. Auf dem Comicfestival in Angoulême im Jahr 2013 wurde das Werk als Bestes Album mit dem wichtigsten europäischen Comicpreis ausgezeichnet. Mit Ulrich Pröfrock wird nun ein Comicübersetzer ausgezeichnet, der in seiner Rolle wesentlich zur Akzeptanz der Neunten Kunst in Deutschland beigetragen hat. Seit Anfang der 1990er Jahre überträgt er die Arbeiten von Comiczeichnern wie Lewis Trondheim, Manu Larcenet, Bastien Vivès, Emile Bravo,  David Prudhomme, Baru, Yves Chaland, David B. aus dem Französischen und von Comickünstlern wie Seth, Posy Simmonds und Joe Matt aus dem Englischen.

Fünf weitere Übersetzungsleistungen gewürdigt

Hervorheben möchte die Jury des diesjährigen Christoph Martin Wieland-Übersetzerpreises fünf weitere Übersetzungsleistungen, bei denen die Übersetzenden in hervorragender Weise den unterschiedlichen Herausforderungen bei der Übertragung eines Comics gerecht geworden seien.

Heinrich Anders und Tina Hohl haben die Jury mit ihrer überaus akribischen und differenzierten Übertragung von Chris Wares grafischer Erzählung Jimmy Corrigan. Der klügste Junge der Welt sehr beeindruckt. „Dieses vielschichtige und detailreiche Werk mit kleinsten Textelementen hat die beiden Übersetzer nicht nur sprachlich, sondern auch hinsichtlich ihres Durchhaltevermögens über die Maßen gefordert“, lobt Jurymitglied und Übersetzerin Dorothea Trottenberg.

Miguel de Cervantes Klassiker Don Quixote zu übersetzen, ist zweifelsohne eine Herausforderung für sich. Jan Dinter ist es gelungen, die erfrischende Comicadaption des Klassikers von Rob Davis stilsicher ins Deutsche zu heben. „Dinter findet durchweg den perfekten Ton für die Antihelden dieses Comicabenteuers, der uns in die Zeit Miguel de Cervantes zurückversetzt und zugleich diesen Klassiker völlig neu entdecken lässt“, hebt Claus Sprick, Übersetzer und Mitbegründer des Europäischen Übersetzerkollegiums, für die Jury hervor.

Beeindruckt haben die Jury auch das hohe Maß an Kreativität und poetischer Kraft bei der Übersetzung von Larry Marders Paralleluniversum namens Bohnenwelt durch Dirk Schwieger und Daniela Seel. „Erst durch die klugen Registermischungen und den Mut der beiden Übersetzenden, zu einer nahezu dadaistischen Poesie zu greifen, entsteht diese fantastisch-fremde Welt vor unseren Augen“, würdigte Thomas Hummitzsch, freier Journalist und Comickritiker, diesen auch erzählerisch aus den Einreichungen herausstechenden Comic.

Als jüngste Bewerberin überzeugte die 1983 geborene Johanna Wais die Jury mit ihrer ersten Comicübersetzung überhaupt, der autobiografischen Erzählung Meine Tassen im Schrank. Depressionen, Michelangelo & Ich von Ellen Forney. Dr. Nathalie Mälzer sagte anerkennend im Namen der Jury: „Wais’ Übertragung vermittelt nicht nur überzeugend die psychische Störung der Hauptfigur, sondern löst auch souverän den assoziativen Wahnsinn der Erzählerin auf den verschiedenen Ebenen.“

Nicht zuletzt konnte Yvonne Gerstheimers Übersetzung der Manga-Reihe Billy Bat der Japaner Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki überzeugen. „Erst Yvonne Gerstheimers souveräne Übersetzung eröffnet dem Leser die Möglichkeit, eine japanische Perspektive auf Personen und Ereignisse der Weltgeschichte einzunehmen; ein Kulturtransfer im besten Sinne des Wortes“, sagte Lars von Törne, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel und verantwortlich für die Comicseiten der Tageszeitung.

Zum Hintergrund

Der Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis wird seit 1979 im Zweijahresrhythmus für wechselnde literarische Gattungen ausgeschrieben. Christoph Martin Wieland (1733-1813) war Schriftsteller, Übersetzer, Journalist, Herausgeber und gilt als der Wegbereiter der Weimarer Klassik.  „Christoph Martin Wieland konnte damals zwar keine Comics lesen“, erläutert Jutta Heinz, die für die Wieland-Stiftung beratend an der Jury-Entscheidung beteiligt war. „Er hat aber zeit seines Lebens großen Wert darauf gelegt, dass seine eigenen Werke mit ästhetisch ansprechenden Illustrationen anerkannter zeitgenössischer Künstler erschienen. Quai d’Orsay hätte ihm aus mehreren Gründen gefallen können: Es zeigt, wie viele seiner eigenen Werke, auf satirische und unterhaltende Weise die Hintergründe politischen Handelns und wirkt dadurch im besten Sinne aufklärerisch“.

Übersetzertätigkeit würdigen

Der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher  Übersetzungen und die Christoph Martin Wieland-Stiftung appellieren an die Verlage, Übersetzer und Übersetzerinnen stärker ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken. „Es wird oft vergessen, dass uns viele Werke, auch im Bereich der Neunten Kunst, erst durch die stille Arbeit der Übersetzenden zugänglich gemacht werden. Bei den Comicverlagen ist die Nennung des Übersetzernamens leider immer noch keine Selbstverständlichkeit. Wir rufen aus diesem Grund die Verlage dazu auf, die Übersetzernamen in den Buchausgaben auf der Titelseite, in Vorschauen, Katalogen und bei der Onlinevermarktung in allen bibliographischen Angaben so zu nennen, wie es urheberrechtlich vorgesehen ist“, so Helga Pfetsch, Präsidentin des Freundeskreises zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. und Kerstin Buchwald, Geschäftsführerin der Christoph Martin Wieland-Stiftung, in der gemeinsamen Presseerklärung. 

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