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Statische Tristesse: Eine Seite aus dem Buch.

© Reprodukt

„Der Todesstrahl“ von Daniel Clowes: Mit der Kraft des Nikotins

Eine Superhelden-Story von Graphic-Novel-Großmeister Daniel Clowes? Der Schöpfer von „Ghost World“ unterwirft das amerikanischste aller Comic-Genres seinem Stil und zeigt die maskierten Rächer als ziellose, erbärmliche Antihelden.

Nun also die Superhelden. Nachdem Daniel Clowes sich zuletzt mit dem durchwachsenen  „Wilson“ am amerikanischsten aller Comic-Formate, dem Strip, versucht hatte, folgt nun die Bearbeitung des anderen großen Comic-Exports der USA: „Der Todesstrahl“ erzählt die Geschichte eines Jugendlichen, der – mal was anderes – durch Zigarettenkonsum Superkräfte erlangt und als Bekämpfer der „vier Milliarden Arschlöcher“ auf diesem Planeten Selbstjustiz übt. „Will Clowes sich jetzt dem Mainstream anbiedern?“, fragt sich da vielleicht mancher Graphic Novel-Purist.

Nein, das hat der 52-Jährige, der dank seines Meisterwerks „Ghostworld“ einen Ruf wie kaum ein zweiter amerikanischer Graphic Novel-Zeichner genießt, sicher nicht nötig. Die wahrscheinlichere Erklärung ist wohl, dass man als amerikanischer Comic-Künstler nicht darum herum kommt, irgendwann auch den maskierten Männern und Frauen in den Capes seine Reverenz erweisen zu müssen. Und natürlich ist der Todesstrahl kein wirklicher Superhelden-Comic, sondern nur eine weitere Plattform für Clowes, dessen Geschichten letztlich immer Variationen des gleichen Themas sind – die ziellose Sinnsuche amerikanischer Kleinstadt-Bewohner, die mit sich selbst nichts anzufangen wissen.

Superhelden auf der Suche nach Streit

In diesem Fall heißt der Protagonist Andy, der zu Beginn des Comics in bester Wilson-Manier seine soziopathischen Weltansichten beim Gassi-Gehen kundtut. Er erinnert sich an seine Jugend in der Mitte der 70er, welche gezeichnet ist von der statischen Tristesse seiner Heimatstadt: Hier gibt es nichts Besonderes zu erleben, und man muss sich schon selbst Ärger suchen, damit der Alltagstrott für einen kurzen Augenblick durchbrochen wird. Andys einziger Freund ist der streitlustige Louie, der ihn dazu animiert, mit dem Rauchen anzufangen. Das Nikotin setzt ungeahnte Kräfte in Andy frei, die er einem Hormon-Experiment seines Vaters zu verdanken hat. Mehr noch: Sein Vater hat ihm eine Strahlenpistole hinterlassen, die alles, worauf man sie abfeuert, vom Erdboden verschwinden lässt.

Andy liegt nicht viel an seiner Superstärke, doch Louie treibt ihn dazu, sie gegen alle einzusetzen, die er als Arschlöcher betrachtet. Da es in ihrem langweiligen Wohnort kaum jemanden gibt, den man wegen seiner Verbrechen bestrafen kann, kommt es zu einigen fruchtlosen Versuchen, Streit mit diversen Mitschülern und Passanten anzufangen. Als Andy den Todesstrahl erstmals gegen einen Menschen richtet, berührt ihn das kaum: „Wahrscheinlich werde ich einfach erwachsen. Erwachsene müssen dauernd schwere Entscheidungen treffen“, denkt er sich.

Traurige Helden: Eine Seite aus dem besprochenen Band.
Traurige Helden: Eine Seite aus dem besprochenen Band.

© Reprodukt

Ähnlich wie bei „Wilson“ hat Clowes eine beinahe altmodische Sonntagsseiten-Optik in flachen Pastell-Tönen für „Der Todesstrahl“ gewählt und experimentiert mit verschiedensten Abstufungen von Realismus und Stilisierung. Wie immer erzählen die Zeichnungen dabei fast mehr als das geschriebene Wort: Clowes ist ein brillanter Beobachter und Meister darin, die innere Verfasstheit seiner Figuren nur durch Gestik, Mimik und Körperhaltung zu offenbaren. Obwohl sein Zeichenstil nach wie vor etwas beinahe Starres hat, schafft er es dennoch gerade durch seine enorme Zurückgenommenheit Dinge zu offenbaren, die unter einem Mehr an Expressivität gar nicht zu Tage getreten wären.

Ein Angriff auf den Mainstream

So unspektakulär „Der Todesstrahl“ auf den ersten Blick wirkt, so nachhaltig ist er doch als Statement: Clowes zerstört quasi im Vorbeigehen alles, was in irgendeiner Weise aufregend an Superhelden ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Comic von den vielen anderen Meta-Arbeiten wie „Watchmen“ oder „Kick-Ass“, die Superhelden zwar als real postulieren, gerade aus dieser Darstellung aber wieder Dramatik, Tragik und Spektakel generieren. So wie in „Der Todesstrahl“ hat man Superhelden hingegen noch nie gesehen: Ideenlos und erbärmlich. Andy und Louie fällt gerade mal ein, mithilfe der Superkräfte den Samstagabend totzuschlagen. Nicht mal eine mächtige Todesstrahlen-Pistole kann die beiden davor bewahren, aus diesem Dasein auszubrechen.

Nicht ohne meine Todesstrahl-Pistole: Das Covermotiv.
Nicht ohne meine Todesstrahl-Pistole: Das Covermotiv.

© Reprodukt

Parallel dazu ist der Comic die Geschichte eines gescheiterten Coming-of-Age-Prozesses: Die Zigarette ist das vermeintliche Tor zum Erwachsensein und zunächst versprechen die Superkräfte einen persönlichen Fortschritt, doch letztlich bringen sie Andy genauso wenig voran wie jede andere pubertäre Allmachtsphantasie.

Nein, Clowes versucht sich nicht dem Mainstream anzubiedern, vielmehr stellt „Der Todesstrahl“ einen Angriff auf den Mainstream und seine nichtssagende Oberflächlichkeit dar. Trotz dieses starken Statements bleibt zu konstatieren, dass es Clowes auch mit diesem Comic nicht gelungen ist, ein Werk zu schaffen, dass seinem alles überstrahlenden Geniestreich „Ghost World“ ebenbürtig ist. Möglicherweise offenbart „Der Todesstrahl“ jedoch auf der Leinwand noch andere Qualitäten, denn derzeit wird an einer Verfilmung gearbeitet. Regisseur soll erneut Terry Zwigoff sein, der schon 2001 „Ghost World“ überaus gelungen für das Kino adaptiert hatte.  

Daniel Clowes: Der Todesstrahl, Reprodukt 2013, aus dem Amerikanischen von Tina Hohl und Heinrich Anders, 41 Seiten, 20 Euro

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