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An der Schmerzgrenze. Der Erste Weltkrieg ist eines der Schwerpunktthemen des diesjährigen Internationalen Comic-Salons in Erlangen. Dazu sind zahlreiche Arbeiten von Jacques Tardi zu sehen.

© dpa

Jacques Tardi beim Comic-Salon Erlangen: Für immer im Schützengraben

Der französische Comicautor Jacques Tardi ist mit seinen Arbeiten zum Ersten Weltkrieg der Star des Internationalen Comic-Salons Erlangen. Im Tagesspiegel-Gespräch erklärt er, wieso das Thema ihn nicht mehr loslässt.

Jedes Festival ist auf seine Stars angewiesen. In der Comicszene müssen diese nicht jung, glamourös und faltenfrei bzw. schönheitsoperiert sein, sie dürfen auch bereits auf die flotten 70 zugehen – Hauptsache, sie können den Stift noch halten und weiterhin schöne Zeichnungen abliefern. Bei Jacques Tardi, Jahrgang 1946 und seit rund 30 Jahren ein Titan der französischen und internationalen Comicszene, lässt sich in seinem Schaffensdrang keine Ermüdung feststellen, im Gegenteil, der Maestro ist produktiver als je zuvor. Auf dem Festival von Erlangen ist Tardi omnipräsent: eine große Ausstellung widmet sich seinen Werken zum Ersten Weltkrieg, bei einem Konzert illustrierten seine Schützengraben-Bilder Antikriegs-Chansons seiner Frau, außerdem zeigte sich Tardi zu einer Podiumsdiskussion, begleitet von seinem „Haus-Historiker“ Jean-Paul Verney.

Und er war auch zu einem Interview mit dem Tagesspiegel bereit, in dem er über seinen persönlichen Ansatz, den ersten und den zweiten Weltkrieg in Comics aufzubereiten, und zukünftige Projekte sprach - siehe weiter unten.

Die Ausstellung widmet sich Tardis wichtigsten Werken zum Ersten Weltkrieg, „Grabenkrieg“ von 1993 und „Elender Krieg“ von 2008/09 (die kürzlich auf Deutsch neu aufgelegt wurden). Die Schau zeigt viele Originale, vor allem fast den kompletten „Grabenkrieg“ in engen, an Schützengräben erinnernden Kabinen, die den Besucher die klaustrophobische Atmosphäre der Gräben spüren lassen.  Diese düsteren, schwarz-weiß-grauen Federzeichnungen betrachten zu können, ist allein schon eine Reise nach Erlangen wert, zeigt sich doch Tardis Zeichenkunst im Original noch deutlicher. Daneben sind selten gezeigte, meist farbige Karikaturen und Illustrationen Tardis zum Ersten Weltkrieg zu sehen, die hierzulande bislang nicht publiziert wurden.

Der Clou der Ausstellung: Flankiert werden Tardis Bilder von Arbeiten von Künstlern, die die Zeit des Ersten Weltkrieges selbst miterlebten. Deutsche und Franzosen, die für Satiremagazine wie „Simplicissimus“, „Le Rire“ oder „La Baionnette“ arbeiteten, sind nebeneinander zu bewundern und setzen sich dem binationalen Vergleich aus - darunter berühmte Künstler wie Otto Dix, aber auch viele vergessene Zeichner und Karikaturisten wie die Franzosen Gus Bofa und Charles Martin. Gus Bofa vor allem beeinflusste Jacques Tardi sehr, aber auch manche bekannte Blätter aus Otto Dix´ Mappe „Der Krieg“, wie „Trichterfeld bei Dontrien, von Leuchtkugeln erhellt“ werden von Tardi als direkte Zitate in „Elender Krieg“ integriert.

Dadurch wird deutlich, auf welch solider Basis Tardi arbeitet. Als Zugabe man kann viele erhellenden Details zum Alltag der einfachen Soldaten erfahren, die etwa aus Waffenresten kleine Kunstwerke bastelten. Es wäre wünschenswert, wenn diese Ausstellung auf weitere Wanderschaft durch Deutschland ginge.

Auch für einen musikalischen Höhepunkt war Tardi mitverantwortlich. Seine Frau Dominique Grange, in Frankreich eine bekannte Chanson-Sängerin und auch eine wichtige Aktivistin des Mai 1968, sang zahlreiche Lieder aus der Zeit des Ersten Weltkrieges - damit bot Erlangen eine echte „Welt-Premiere“ des gesamten Liederprogramms nach einer viel kürzeren Testaufführung in Paris. Neben Liedern unbekannter Herkunft sind berühmte darunter („Le déserteur“ von Boris Vian etwa) und einige von Grange selbst geschriebenen Chansons zum Thema. Jacques Tardi trug dazu eigene Texte aus seinen Büchern vor, während seine Kriegs-Bilder während des gesamten Konzerts auf die Bühne übergroß projiziert wurden – die Schönheit der Zeichnungen und der Schrecken ihrer Motive konnten ein Maximum an Wirkung entfalten. Virtuos und inspiriert arrangiert von der französischen Gruppe „Accodzéam“, waren das kraftvolle Stücke gegen den Krieg, die im Gedächtnis haften bleiben. Im Verlag Casterman ist ein französisches Buch „Tardi – Verney – Dominique Grange: Chansons contre la guerre“ („Antikriegslieder“) mit allen Texten und Zeichnungen Tardis zusammen mit einer CD erschienen (zu beziehen über die Edition Moderne).

INTERVIEW MIT JACQUES TARDI

Monsieur Tardi, wie verlief die Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Verney, der ihnen als historischer Berater bei „Grabenkrieg“ und „Elender Krieg“ zur Verfügung stand?
Die Arbeit an einem historischen Comic ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Es ist eine ganz andere Zeit, die sich schwer rekonstruieren lässt. Jean-Pierre Verney kennt als Historiker alle wissenswerten Fakten und Details über die Zeit, die ich mir selbst trotz der Lektüre zahlreicher Bücher niemals aneignen kann.

Der französische Zeichner und seine Frau Dominique Grange waren am Freitag von vielen Fans umschwärmt, die Autogramme der beiden wollten.
Der französische Zeichner und seine Frau Dominique Grange waren am Freitag von vielen Fans umschwärmt, die Autogramme der beiden wollten.

© Lars von Törne

Bei der Arbeit an „Grabenkrieg“ und „Elender Krieg“ hatte ich das Glück, jederzeit mit Jean-Pierre Verney telefonieren zu können, wenn ein Problem auftrat oder ich eine Frage hatte, wie etwa ein Geschütz oder ein Helm aus der Zeit des Ersten Weltkriegs genau aussah. Natürlich trafen wir uns auch oft, und nicht selten hatte Jean-Pierre einen Gegenstand in seiner Tasche mitgeschleppt, den ich dann auf meinen Arbeitstisch legen und von allen Seiten zeichnen konnte – das ist noch viel besser als alte Fotografien.

Ist das Projekt „Erster Weltkrieg“ damit für Sie abgeschlossen?
Das wird es nie sein. Man könnte sagen, dass ich nicht aus meinem Schützengraben herauskomme. Seitdem mir meine Großmutter von dem Leid erzählte, dass mein Großvater als einfacher Soldat erfuhr, ließ mich das Thema nicht los. Mich interessiert vor allem das unendliche Leid, das die damaligen Soldaten erfuhren, die sich aus dieser Situation nicht befreien konnten.
(Der ebenfalls anwesende Jean-Pierre Verney wirft ein, dass es tausende Deserteure in Frankreich gab, die meist hingerichtet wurden.)

Wir können also ein weiteres Werk über den „Großen Krieg“ erwarten. Welche Perspektive werden Sie diesmal wählen? Wäre nicht ein Comic vorstellbar, der die Ursachen des Krieges behandelt, diese komplexe Situation zwischen den verschiedenen Mächten und nationalen Allianzen analysiert, um aufzuzeigen, wie es zu einer solchen Katastrophe überhaupt kommen konnte?
Dafür würde ich eher zu den aktuellen Werken der Historiker greifen, ich wüsste nicht, wie ich das in einem Comic darstellen könnte. Das Attentat in Sarajevo ist bereits kürzlich in einem Comic aufgegriffen worden (die Graphic Novel „Wie jemand zum Attentäter wird – Die Welt des Gavrilo Princip“ von Henrik Rehr erscheint im September bei Jacoby & Stuart auf Deutsch). Mich interessieren vor allem die persönlichen Schicksale der Soldaten.

Putain de guerre! Die musikalische Comic-Performance von Jacques Tardi und seiner Frau Dominique Grange am Donnerstagabend dürfte zu den künstlerischen Höhepunkten des Festivals zählen.
Putain de guerre! Die musikalische Comic-Performance von Jacques Tardi und seiner Frau Dominique Grange am Donnerstagabend dürfte zu den künstlerischen Höhepunkten des Festivals zählen.

© Lars von Törne

Sie haben eine Fortsetzung der Erlebnisse Ihres Vaters in einem deutschen Kriegsgefangenenlager („Ich, René Tardi, Kriegsgefangener des Stalag IIB“, erschienen bei Edition Moderne) angekündigt.
Da stecke ich noch mitten drin. Wenn alles gut läuft, dann ist das Buch zum Ende des Jahres fertig. Es handelt von den fünf Monaten Fußmarsch, mitten im Winter 1944/45, dem mein Vater ausgesetzt war.

Ihre Sprache in diesem Buch erinnert an den rohen Straßen-Jargon der Ich-Erzähler in Louis-Ferdinand Célines Büchern wie „Reise ans Ende der Nacht“. Céline ist eine umstrittene Persönlichkeit, der durch literarische Meisterwerke berühmt, aber auch durch antisemitische Schriften berüchtigt wurde. Oder ist es die Sprache Ihres Vaters, der im Buch seine Erlebnisse in schnodderiger Weise seinem Sohn erzählt?
Beides. Ich bin sehr stark von der Sprachgewalt Célines beeinflusst gewesen, habe alle wichtigen Romane von ihm illustriert. Seine Persönlichkeit ist ambivalent, aber ich trenne sein bedeutendes literarisches Werk vom Menschen Céline. Übrigens hat mein Vater mir seine Bücher zuerst zum Lesen gegeben, die Leidenschaft für seine Werke habe ich mir seitdem erhalten. Die Sprechweise meines Vaters wiederum gebe ich auch in dem Buch wieder, in meiner Kindheit kannte ich ihn nur als schlecht gelaunten Mann, und so sprach er auch. Erst später erkannte ich, dass das auf seine Erlebnisse im Krieg zurückzuführen war, diese zermürbende Zeit im Lager. Beim zweiten Stalag-Band greife ich wieder auf seine akribischen Notizen zurück. Doch es betrübt mich oft, dass ich zu seinen Lebzeiten nicht tiefer gebohrt habe, ihm nicht weitere Fragen zu seinen Erlebnissen gestellt habe.

Ihre früheren Werken waren deutlicher von phantastischen Elementen geprägt, surrealen Traumsequenzen etwa oder Monstern wie in „Adele“, fühlen Sie sich durch die Beschäftigung mit den beiden Weltkriegen mehr dem Realismus verpflichtet?
Nein, das hängt von den Themen ab. Damals zeichnete ich hauptsächlich „Adeles fantastische Abenteuer“ und wollte eine Hommage an die Belle Époque schaffen, die an fantastische Trivialromane wie „Arsène Lupin“ oder „Fantomas“ aus dieser Zeit erinnern sollte. Bei den Weltkriegs-Bänden muss man sehr genau arbeiten, um keine Fehler zu machen. Adele Blanc-Secs letztes Abenteuer, das zehnte, ist aber ebenfalls in Arbeit. Es wird der Abschluss der Serie, die ich schon immer auf zehn Bände angelegt habe.

Unser Autor Ralph Trommer ist Dipl.-Animator, Autor von Fachartikeln über Comics, Prosatexten und Drehbüchern. Weitere Tagesspiegel-Artikel von ihm unter diesem Link.

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