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Relaunch der "Ms. Marvel": Hadith-Sammlung in der Hand, Selbstbewusstsein im Herzen

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Neue Comicserie: Marvel entwirft muslimische Superheldin

Jung, weiblich, muslimisch: Marvel führt eine neue Superheldin in seinen Kosmos ein. Und auch wenn man im Verlag bereits Empörung erwartet - die Zuspitzung hat ihre Gründe.

Superheld zu sein, ist selten leicht. Fast immer gibt es eine vermurkste Kindheit, einen zerstörten Heimatplaneten oder Polizei und Presse, die einem das Super-Sein zur Hölle machen. Für Kamala Khan wird das anders - aber nicht zwingend leichter sein: Sie hat Familie.

Kamala Khan ist die neueste Superheldin im Marvel-Kosmos und eine amerikanische Muslima aus pakistanischem Elternhaus. Damit wächst das Mädchen im Schmelztiegel zwischen konservativer Elternschaft und urbanem Liberalismus auf. Ihre Mutter fürchtet, das Mädchen könne sich zu schnell mit Jungs einlassen, der Vater sieht sie als erfolgreiche Ärztin und möchte sie den ganzen Tag im Studienzimmer wissen. Allein, Kamala Khan, ist nicht nur eine US-pakistanische Studentin - sie hat auch Superkräfte in sich entdeckt. Aus Kamala wird so "Ms. Marvel". Und das ist ein Paradigmenwechsel.

Denn "Ms. Marvel" gibt, oder gab, es bereits. Seit 1968 wird der Superheldentitel von Carol Danvers besetzt, einer sehr blonden, sehr amerikanischen Heldin. Ihr Erfinder Gerry Conway schuf Danvers damals als Vorbild einer neuen Frauenbewegung: eine Heldin auf der Suche nach Selbstbestimmung und Identität. Nichts anderes soll nun ihre Nachfolgerin Kamala Khan sein, nur eben zeitgemäßer. Die blonde Carol Danvers trat nach ihren Anfängen als "Ms. Marvel" den X-Men und den Avengers bei. Sie erhielt Superkräfte - unter anderem die Fähigkeit Gravitation zu kontrollieren und mit Lichtgeschwindigkeit zu reisen - und emanzipierte sich schließlich als "Captain Marvel".

Khan zieht sich nun das alte Kostüm der "Ms. Marvel" an, als sie ihre Superkräfte (unter anderem die Fähigkeit, ihre Gestalt zu wandeln) entdeckt. Sie soll bewusst in die Fußstapfen von Carol Danvers treten, sagt Erfinderin G. Willow Wilson, selbst konvertierte Muslima, über ihre Heldin: "Sie ist stark, schön und frei von jedem Ballast Pakistani und 'anders' zu sein." Also eine perfekte neue Heldin nach Marvel-Format.

Die Marvel-Muslima wird sicher negative Reaktionen provozieren

Skizzensammlung zur Familie Khan: Tochter Kamala, nebst Bruder Aamir, Vater Yusuf, Mutter Aisha und Kumpel Bruno (von links)
Skizzensammlung zur Familie Khan: Tochter Kamala, nebst Bruder Aamir, Vater Yusuf, Mutter Aisha und Kumpel Bruno (von links)

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Oder? "So einen Charakter zu entwerfen, birgt natürlich Risiken", sagt Wilson der New York Times. Sie erwarte negative Reaktionen sowohl von Menschen, die Vorurteile gegen Muslime hegen als auch von Muslimen selbst, die der Heldin diktieren wollen, wie sie ihren Islam zu leben habe. Aber ihr war wichtig, "Kamala als jemanden zu portraitieren, der mit seinem Glauben ringt." Die familiären und religiösen Alltagsprobleme sollen in der Serie mit den Superhelden-Problemen kollidieren. Auf dem Titel des ersten Bandes wird Khan als selbstbewusste junge Frau dargestellt. In der Hand die Hadith-Sammlung und Uni-Bücher, vor dem Herzen eine geballte Faust.

Doch der tatsächliche Zeichenstil wird sich nicht am klassischen Comic-Strich orientieren. Adrian Alphona übernimmt die Feder und zeigt Kamala und die Familie Khan in sehr expressiven Strichen. Alphona ist bei Marvel für die "Runaways"-Serie und seinen jüngsten Job - "Uncanny X-Men" - bekannt.

Marvels Ansinnen, mit Kamala eine Muslima in den Kosmos zu holen, dabei nun weniger sein, islamische Pionierarbeit in Sachen Comicstrip zu leisten. Schon längst hat sich hier der Kuwaiter Naif al-Mutawa mit seiner Heldengruppe "Die 99", angelehnt an die 99 himmlischen Namen Allahs, seinen Stammplatz erarbeitet. Vielmehr wird Marvel Service am Leser tun. Denn schon längst werden die Comicbände nicht mehr von weißen Vorstadtjungs gekauft. Die Leserschaft ist so vielfältig (und weiblich) wie die amerikanische Gesellschaft - und eine Identifikation mit einem heranwachsenden migrantischem Helden daher Gold wert.

Kamala Khan soll so vor allem eine Schablode für Jugendliche sein, die sich "einsam fühlen und ihren Weg erst noch entdecken", sagt Wilson.

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