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Triple-Blick. Christoffer Wilhelm Eckersbergs Bild „Blick durch drei Bögen im dritten Stockwerk des Kolosseums“ (1815) hat eine verschobene Perspektive.

© The National Gallery of Denmark

Dänische Kunst in Hamburg und Berlin: Lichter des Nordens

Ziehväter der Romantik: Die Kunsthalle Hamburg feiert Christoffer Willem Eckersberg, die Alte Nationalgalerie Berlin zeigt Christoph Müllers Sammlung.

Meterhoch ragt der Kreidefelsen aus dem Meer vor der dänischen Insel Møn auf. Vom gegenüberliegenden Aussichtspunkt hätte man eigentlich den besten Blick auf das Naturphänomen. Doch die Dame mit dem weißen Kleid und roten Cape dreht sich weg, während ihr Begleiter sie mit einem Griff am Arm zum Hinüberschauen zu drängen sucht. Vermutlich schwindelt ihr beim Blick zur kalkweißen Felsformation. Der Betrachter des 1809 von Christoffer Willem Eckersberg (1783 bis 1853) gemalten Bildes aber sieht beides aus sicherem Abstand: die pittoreske Sehenswürdigkeit und die kuriose Szene zwischen dem Paar. Ein knappes Jahrzehnt später sollten die Kreidefelsen auf Rügen zu einem Urmotiv der deutschen Romantiker werden, nun von Caspar David Friedrich gemalt.

So erzählt Eckersbergs Gemälde nicht nur die Geschichte einer kleinen Rangelei zwischen Eheleuten, sondern auch die einer Kunstentwicklung. Wie kaum ein anderer beeinflusste der Lehrstuhlinhaber an der Kopenhagener Akademie die romantische Malerei, hier studierten ihre wichtigsten Vertreter Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Georg Friedrich Kersting. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Kunsthalle Hamburg, in deren Sammlung sich zahlreiche Hauptwerke der Romantik befinden, dem Urvater nun eine große Ausstellung widmet. „Eckersberg – Faszination Wirklichkeit“ heißt sie und fasst damit knapp zusammen, was seine Bilder noch heute so reizvoll macht: ihre Klarheit, ihr Realismus, die geradezu fotografische Präzision seiner Porträts. Auf diesem Fundament fanden seine Nachfolger zu einem neuen Blick auch auf Naturgegebenheiten.

Martinus Rorbyes Steingrab, um 1840. Fotos: SMB, Nationalgalerie / Andres Kilger, Sammlung Christoph Müller / Andres Kilger (2)
Martinus Rorbyes Steingrab, um 1840. Fotos: SMB, Nationalgalerie / Andres Kilger, Sammlung Christoph Müller / Andres Kilger (2)

© SMB, Nationalgalerie / Andres Kilger, Sammlung Christoph Müller

Eckersberg war ein Alleskönner, in jeder Gattung betätigte er sich gleichermaßen: Landschaft, Akt, Genre, Porträt, Historienbilder, Marinemalerei, sogar Wolkenstudien, die damals in Mode kamen. Erst sehr viel später bildeten sich die Spezialisten aus, die spezifische Vorlieben ihrer Kundschaft bedienten. Die Hamburger Ausstellung gibt nicht nur einen Überblick über Eckersbergs vielseitiges Schaffen, sondern ist zugleich eine Tour d’horizon der verschiedenen Sparten.

Mit dem gebürtigen Schleswiger – damals gehörte die Stadt noch zu Dänemark – beginnt das „Goldene Zeitalter der dänischen Malerei“. Ausgebildet bei Jacques-Louis David in Paris, geprägt von Ingres, entwickelt er eine analytische Schärfe, seine Kompositionen sind scharf durchdacht. Mit den Naturwissenschaftlern seiner Zeit tauschte er sich aus und verfasste 1833 und 1841 eigene Traktate zur Perspektive. Diese rationalen Qualitäten bilden die Grundlage für die deutsche Romantik, die ihre Steigerung durch die mystische Aufladung erfährt. Und noch etwas führt Eckersberg ein: die Freiluftmalerei, die er von seinen Reisen aus Italien mitgebracht hat. Der Künstler sucht die Unmittelbarkeit, auch bei der Darstellung der menschlichen Physiognomie. In Europa ist er der erste, der 1833 weibliche Aktmodelle in der Akademie vor Studenten posieren lässt, kleine Angestellte des Lehrbetriebs, die sich damit ein Zubrot verdienen. Das gab es selbst in Paris bislang noch nicht.

Das 19. Jahrhundert gewinnt zunehmend an Popularität, das wird auch auf dem Kunstmarkt spürbar

Seit dem Erfolgszug der Romantiker, der mit der großen Friedrich-Ausstellung von Werner Hofmann 1974 in der Kunsthalle Hamburg begann, richtet sich die Aufmerksamkeit in den letzten Jahren zunehmend auch auf die Dänen als Ausgangspunkt der Bewegung. Gleichzeitig schlug sich dieses neu erwachte Interesse auf dem Markt nieder, längst haben auch amerikanische Sammler ihre Liebe für das 19. Jahrhundert entdeckt, die Nachfrage wächst. Waren bis vor nicht allzu langer Zeit auf dem dänischen Sektor noch günstige Erwerbungen zu machen, steigen auch hier die Preise im Auktionshandel.

Der Berliner Mäzen und einstige Zeitungsverleger Christoph Müller bot als passionierter Sammler frühzeitig mit. Seine Leidenschaft, möglichst umfangreich ein Gebiet abzudecken, beschert dem Pommerschen Museum in Greifswald jetzt das große Glück. Ihm wird mit 375 Werken die umfangreichste deutsche Privatsammlung dänischer Kunst vermacht. Damit tritt Müller innerhalb weniger Jahre zum wiederholten Mal als Gönner auf. 2013 übereignete er dem Staatlichen Museum Schwerin über 150 Gemälde des holländischen und flämischen 17. Jahrhunderts, wenige Jahre zuvor erhielt das Berliner Kupferstichkabinett knapp 400 Einzelblätter. Bevor nun die Greifswalder ihr umfangreiches Konvolut dänischer Malerei übernehmen, wird es noch einmal unweit von Müllers Wohnsitz in Berlin in der Alten Nationalgalerie präsentiert.

Ab 1. April wird dort die Kabinettausstellung „Kopenhagener Malerschule“ zu sehen sein, 37 Gemälde, Studien und Zeichnungen aus der Sammlung Müller, sechs aus Museumsbestand. Manch ein Besucher mag sie traurig gen Norden weiterziehen sehen, schon die Altmeister-Schenkung nach Schwerin wurde als Verlust für Berlin empfunden. Doch Müller hat sich klug entschieden, das Ausstellungshaus im Norden mit einem neuen Schwerpunkt zu versehen. Greifswald ist als Geburtsstadt Caspar David Friedrichs ein wichtiger Vorposten der Romantik, hier gehört die Vorgeschichte dieser Kunstentwicklung unbedingt erzählt. Hier befinden sich allein sechs Werke des berühmtesten Vertreters, außerdem Arbeiten von Dahl, Runge und Kersting. In den nächsten zwei Jahren wird mit Bundesmitteln eine „Galerie der Romantik“ entstehen, in die dann auch die Sammlung Müller einziehen soll.

Für Berlin wird die Kabinettschau in der Alten Nationalgalerie also eine Farewell-Ausstellung sein, für Christoph Müller ein kleiner Aufschub, denn mit der Unterzeichnung des Schenkungsvertrags am 4. April gehen die restlichen Bilder seiner Dänen-Kollektion von der Wohnzimmerwand direkt nach Greifswald. Dort wird im Anschluss an Berlin ebenfalls noch einmal für ein Vierteljahr die bedachtsame Auswahl von Angelika Wesenberg gezeigt, sozusagen als Appetizer. Zugleich ist es ihr eigener Abschied von der Museumsinsel, denn die Nationalgalerie-Kuratorin geht in Pension.

Zu gern hätte Christoph Müller in Berlin auch seinen besonderen Schatz, das Perspektivtraktat von Christoffer Wilhelm Eckersberg, präsentiert. Doch das ausladende Künstlerhandbuch mit seinen radierten Tafeln war zu groß, zu breit für die kleinen Kabinett-Säle. Dafür wird es in der Hamburger Kunsthalle aufgeschlagen. Der Künstler stellt darin präzise dar, wie Lichteinfall und Perspektive aufeinander wirken. Dass er es selbst zumindest in der Frühzeit seines Schaffens nicht immer ganz genau nahm, zeigt eines seiner bekanntesten Werke, der „Blick durch drei Bögen im dritten Stockwerk des Kolosseums“ von 1815. Der Blick auf die im Sonnenlicht erstrahlende Stadt zeigt jeweils bei jedem Bogen eine leicht versetzte Perspektive, mit diesem Trick weitet er den Blick.

Vorbild. Vilhelm Marstrands Kopfstudien, um 1840 (Mitte).
Vorbild. Vilhelm Marstrands Kopfstudien, um 1840 (Mitte).

© SMB, Nationalgalerie / Andres Kilger, Sammlung Christoph Müller

Auch sonst erlaubt sich Eckersberg seine eigene Sicht, die sich um Repräsentativität wenig schert. Malt er die Villa Albani, so dominieren Zypressen das Bild, zeigt er einen Hinterhof, verstellt er ihn nochmals durch einen besonders engen Ausschnitt, der nur ein winziges funkelndes Eckchen Himmelsblau einlässt. Drei Jahre lebt der Künstler in Rom und entwickelt seine Fertigkeiten in der Freiluftmalerei. Mit seiner Rückkehr 1816 nach Kopenhagen avanciert er zum Top-Porträtisten, gestochen scharf malt er die Standesvertreter einer erstarkenden Bourgeoisie: sie wohlgenährt mit Doppelkinn und Strickstrumpf, er mit Feder in der Hand, um Papiere seiner Handelsgesellschaft zu unterschreiben. Das Bildnis der Schwestern Nathanson mit ihrem grün gefiederten Kakadu besitzt die Rätselhaftigkeit späterer Gemälde des Schweizers Félix Valloton.

Eckersberg nimmt als Künstler seine Motive alle gleichermaßen ernst: die Menschen und Monumente, die Landschaften und die darin Lebenden. Dieses Ethos gegenüber dem gemalten Gegenstand prädestiniert ihn dafür, Lehrer zu werden. 1818 wird er an die Kopenhagener Akademie berufen, wo er dreißig Jahre lang unterrichtet. Durch Eckersberg erblüht die Kunst des Landes, bis sie sich mit den deutsch-dänischen Auseinandersetzungen nationalistisch einfärbt, provinziell wird. Der Glanz des goldenen Zeitalters dänischer Malerei wird matt. Eckersbergs Schüler aber hatten längst ihren eigenen Stil gefunden, die deutsche Romantik war auf den Weg gebracht.

Hamburger Kunsthalle, bis 16. 5.. Katalog (Imhof Verlag) 29,80 €. Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, 1. 4. bis 31. 7.; Di bis So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr. Katalog (Nicolai Verlag) 12,50 € bzw. 22,95 €.

Vorbild. Johan Christian Clausen Dahls Gewitterwolken über Dresden.
Vorbild. Johan Christian Clausen Dahls Gewitterwolken über Dresden.

© SMB, Nationalgalerie, Andreas Kilger, Sammlung Christoph Müller

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