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Der etwas andere Action-Film: "Chronicle": Die Super-Jungs

Wenn der Legoturm sich von selber baut und Autos per Telepathie über die Leitplanke sausen:Joshua Tranks Kino-Debüt „Chronicle“ erzählt intelligent und spannend von drei Teenagern mit Zauberkräften.

Superhelden retten Menschen und bekämpfen das Böse. So ist das nun einmal im Comic und im Kino. Aber was würde ein stinknormaler Mensch in unserer ganz gewöhnlichen Realität mit solch übernatürlichen Fähigkeiten anfangen?

Mit dieser Frage befasst sich Joshua Tranks erfrischendes Debüt „Chronicle“ anhand von drei amerikanischen Teenagern. Nach einer Party entdecken Andrew (Dane DeHaan), Matt (Alex Russell) und Steve (Michael B. Jordan) auf einer Lichtung im nahen Wald ein tiefes Loch in der Erde. In ihrer Besoffenheit stürzen sie sich hinein und stoßen am Ende eines Höhlengangs auf einen riesigen Kristall, der ungeheuer außerirdisch vor sich hinstrahlt. Nach dem Kontakt mit der seltsamen Materie verfügen die drei über telekinetische Fähigkeiten, mit denen sie etwa Lego-Häuser zusammenbauen können, ohne die Steine anzufassen.

Zunächst tun die Jugendlichen mit den neu gewonnenen Kräften genau das, was Jungs in ihrem Alter tun: Sie spielen damit und stellen größtmöglichen Unsinn an. Im Supermarkt erschrecken sie ein Kind mit einem schwebenden Teddybären, lassen Einkaufswagen führerlos durch die Gänge treiben und parken das Auto einer Kundin mit purer Willenskraft um. Langsam steigern sich die Superkräfte und erlauben erste Flugmanöver und schließlich sogar ein Footballspiel hoch über den Wolken.

So unbeschwert lebt das Kumpel-Trio den Traum unbegrenzter Kraft und Freiheit. Doch als Andrew aus einer Laune heraus einen Wagen, der laut hupend hinter ihnen herfährt, durch die Leitplanke rasen lässt, sind die Spaßgrenzen erreicht. Regeln werden aufgestellt, aber gerade für Andrew, aus dessen Videokameraperspektive die meisten Geschehnisse erzählt werden, ist die Versuchung zum Machtmissbrauch groß. In der Schule war er stets ein Außenseiter, den man gefahrlos verprügeln konnte, und auch zu Hause schlägt der arbeitslose Vater immer wieder zu, während die schwer kranke Mutter, vom amerikanischen Gesundheitssystem im Stich gelassen, dahinsiecht. Für Andrew wird die Kamera das Mittel zur Dokumentation seines Elends und seiner wachsenden Kräfte, aber auch zum Instrument, mit dem er zwischen sich und dem Rest der Welt Distanz herstellt. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die geballte Wut des erniedrigten Teenagers mit aller Supermacht aus ihm herausbricht.

Mit „Chronicle“ haben der Regisseur und sein Drehbuchautor Max Landis – beide noch in ihren Zwanzigern – einen sehr zeitgemäßen Superheldenfilm gedreht. Das liegt nicht nur am RealityTouch, der durch Handkamera-Aufnahmen entsteht, sondern auch an den Dialogen, die dicht am Jugendalltag entlang formuliert wurden – und an einer Vielzahl von genau konstruierten Details, die die Geschichte fest im Hier und Jetzt verankern. Seinen besonderen Charme entwickelt der Film dadurch, dass er zunächst wie ein Amateurvideo aussieht, in das sich die zahlreichen Spezialeffekte organisch einfügen, so dass das Unfassbare visuell völlig selbstverständlich wirkt. Was als narzisstisches Selbstporträt beginnt und ins Terrain der High-School-Komödie wechselt, mündet in ein wüstes Finale. Dazwischen ist Zeit für Plato- und Schopenhauerzitate und einen intelligenten Diskurs über männliche Allmachtsfantasien. Dabei sorgen die hervorragenden Jungschauspieler – vor allem Dane DeHaan als gepeinigter Teenager – dafür, dass man auch über manch holpriger Genrestrecke nie den Kontakt zu den glaubwürdigen Figuren verliert.

In 15 Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar SonyCenter

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