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Kultur: Der Hintergrundprominente

Klaus Eschen schrieb als Anwalt und Fotograf Zeitgeschichte. Jetzt wird sein Vater Fritz als Fotokünstler wiederentdeckt

Klaus Eschen ist Jurist, ein Anwalt der deutschen Zeitgeschichte, dazu auch Fotograf – von Kindesaugen an. Denn sein Vater Fritz Eschen war bis 1933 einer der besten Fotoreporter Berlins, wurde von den Nazis verfolgt, überlebte und hatte wieder Erfolg, doch nach seinem plötzlichen Tod 1964 war sein Name lange Zeit nur noch Kennern vertraut. Am kommenden Wochenende steht im Postfuhramt bei C/O Berlin nun die Ausstellung „Fritz Eschen: Berlin unterm Notdach. 1945–1955“ bevor. Und der Sohn?

Klaus Eschen könnte man gut als den geborenen Hintergrundprominenten bezeichnen. Als Schüler während der 50er Jahre hielt er in seiner Freizeit dem Vater manchmal das Licht, wenn der Willy Brandt im Schöneberger Rathaus, den amerikanischen Literaturnobelpreisträger John Steinbeck auf Berlin-Besuch oder Theatergrößen wie Elisabeth Flickenschildt und Martin Held porträtierte.

Im Herbst 2009 sah man Klaus Eschen auch im Kino. „Die Anwälte“, das war eine spannende Dokumentation über die früheren RAF-Verteidiger Horst Mahler, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily – und bei den Aufnahmen aus den wilden Zeiten des Studentenprotests und der ersten Gerichtsprozesse gegen Radikale und angebliche oder tatsächliche Terroristen erschien ungenannt immer wieder auch ein junger Anwalt mit früh gelichtetem Haar. Das war Klaus Eschen.

Die Rampen-Rhetoriker vor Gericht waren seine Partner. Klaus Eschen ist über vieles im Bilde, aber er liebt es, nicht selber immer im Bild zu sein, nach vorne zu drängen. Mit Mahler und Ströbele hatte er, kaum 30 Jahre alt, 1969 in Berlin das „Sozialistische Anwaltskollektiv“ gegründet. Man residierte mit dem von empörten Anwohnern mehrfach beschmierten Schild der Sozialistischen Societät im bürgerlichen Wilmersdorf, beim Fasanenplatz. Heute liegt bei Eschen zu Hause, einer Charlottenburger Altbauwohnung unweit der Schaubühne, das kleine Blechschild der berühmt-berüchtigten Firma im Bücherregal, vor Gesetzestexten und meterweise Literatur zur jüngeren deutschen Geschichte. Eschen selber hat ein Buch über den NS-Unrechtsstaat geschrieben, und das Schicksal der eigenen Familie hat auch sein Engagement geprägt.

Nach früher Erinnerung an den Vater gefragt, erzählt er: „Ich war vier, als mein Vater 1943 Zwangsarbeit bei der Reichsbahn leisten musste und ich ihn einmal mit meinem älteren Bruder zusammen am Lehrter Bahnhof abgeholt habe. Da kam er uns in einer Eisenbahnerkluft entgegen.“ Fritz Eschen, 1900 in Berlin geboren, war Jude. Mit seiner nichtjüdischen Frau Gertrude hatte er die Söhne Thomas und Klaus. „1943 ließ uns unsere Mutter erstmals allein. Mein Vater war von der SS abgeholt worden, doch meine Mutter ging mit vielen anderen Frauen in die Rosenstraße, um gegen die Verhaftung ihrer Ehemänner zu demonstrieren.“

Dieser später berühmt gewordene einzige öffentliche Protest gegen die Deportation von Juden in Deutschland rettete Fritz Eschen das Leben. „Ich habe das damals nicht verstehen können, weiß aber, dass mein Vater einige Tage später stark abgemagert und unrasiert zurückkam. So hatte ich ihn noch nie gesehen.“ Klaus Eschens Bruder Thomas starb 1944 mit neun Jahren an einer Blinddarmentzündung, weil der Arzt sich weigerte ein „halb jüdisches Mischlingskind“ ins Krankenhaus einzuweisen.

Klaus Eschen bewahrt noch die handliche Rollei, mit der sein Vater ab Ende der 20er Jahre als Fotoreporter gearbeitet hatte. Ab 1933 erhielt Fritz Eschen Berufsverbot. Bis dahin war er mit Straßenszenen oder Prominentenportäts, vom alten Maler Max Liebermann bis zum jungen Filmstar Heinz Rühman, in Zeitungen und Zeitschriften präsent. Die Rollei übernahm pro forma seine Frau: „Denn ein Jude durfte keine Kamera mehr besitzen“. Fritz Eschen konnte ab 1933 nur noch Privataufträge annehmen, doch bis 1939 habe er gelegentlich unterm Decknamen „Linden“ veröffentlicht.

„Er war ein Chronist und Feuilletonist, ein Flaneur mit der Kamera.“ Das wird man in der Ausstellung „Berlin unterm Notdach“ demnächst bei C/O Berlin und in dem gleichnamigen Fritz-Eschen-Band im Leipziger Lehmstedt Verlag entdecken können. Der Sohn findet es „schade, dass heute die journalistische Qualität der Fotografie etwas in den Hintergrund tritt und Fotografie sehr forciert als Kunst behandelt wird“. Neben einem Bücherstapel zieht er ein paar wunderbare Originale des Vaters hervor, Porträts von Otto Suhr und Ernst Reuter, vom Philosophen Karl Jaspers, dem Physiker Werner Heisenberg oder der Künstlerin Renée Sintenis. „Für mich sind das gute Fotos, für den Kunsthandel wären es ,Vintage Prints’“, meint Eschen mit leiser Ironie.

Klaus Eschen bekam seinen ersten Fotoapparat, eine Agfa-Box, 1950 mit zehn. Als Schüler und Student verdiente er sich später Geld mit Reisefotos unter anderem in der „Hör zu“, bekam sogar Preise und wurde vor zehn Jahren einmal im Willy-Brandt-Haus zusammen mit seinem Vater ausgestellt. Klaus Eschens längst vergriffener eigener Bildband über Berlin 1960–1970 (im Jovis Verlag) zeigt die Stadt im Umbruch, schwarz-weiß, ruinös oder ein bisschen glamourös – etwa die neue Philharmonie im Dunst und Niemandsland beim Potsdamer Platz. Und seinen Vater, der den Aufbruch nach dem Zusammenbruch, das Nichtmehr und Nochnicht festgehalten hat wie sonst nur ein Friedrich Seidenstücker oder Henry Ries, nennt er als fotografischen Zeitzeugen einen „Anachronisten der Zukunft“.

Die Erfahrungen seiner Familie, die während der Studentenrevolte bestärkte Erkenntnis, dass man „in Justiz und Gesellschaft noch gegen das braune Erbe ankämpfen musste“, bewogen Klaus Eschen, 1967 Anwalt statt Berufsfotograf zu werden. Bis 2000 war er acht Jahre auch Berliner Verfassungsrichter, erst vor zwei Jahren, mit 70, hat er seine Anwaltszulassung zurückgegeben – und fotografiert wieder. Nun hauptsächlich in Farbe, aber „nur auf Film“, nicht digital. Er hat unter anderem ein Projekt, bei dem es um Berliner Ringbahnhöfe geht.

Klaus Eschen ist ein Mann von leisem, gebildetem Witz, den zugleich ein tieferer Lebensernst grundiert. Über die Exkollegen des 1979 aufgelösten „Sozialistischen Anwaltkollektivs“, über den heutigen Grünen-Politiker Ströbele und den zum mehrfach verurteilten Neo-Nazi gewandelten Horst Mahler, will er nicht öffentlich sprechen, das „gebietet der Anstand“. Er sagt nur: „Wir beide, Ströbele und ich, haben in seiner besten Zeit von Mahler viel gelernt.“ Die spätere Abirrung Mahlers, „der immer ein Außenseiter sein wollte“, sei eine andere Geschichte. Doch den Film „Die Anwälte“, in dem Mahler ein Rätsel und er im Hintergrund bleibt, fand er sehr gelungen.

Die Fotoausstellung „Fritz Eschen – Berlin unterm Notdach“ ist ab 7. Mai bei C/O Berlin im Postfuhramt zu sehen.

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