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Himmlisches Drama. El Grecos „Immaculata Oballe“ aus dem Jahr 1613 zeigt Mariä Empfängnis.

© David Blázquez, Parroquia de San Nicolas de Bari, Toledo

Die Ausstellung "El Siglo de Oro" in der Gemäldegalerie: Aus Spaniens Goldenem Zeitalter

El Greco, Velazquez, Zurbarán: „El Siglo de Oro“, die grandiose Sommerausstellung der Berliner Gemäldegalerie, feiert Spaniens Blüte im 17. Jahrhundert - und die europäische Zusammenarbeit.

Ganz großes Kino. Blitze durchzucken die Nacht, beleuchten dramatisch die Dunkelheit. Engel mit schweren, schwarzen Flügeln schweben herbei und umtanzen mit ihren Instrumenten die künftige Muttergottes, die gerade dem Heiligen Geist in Gestalt einer Taube entgegenfährt. Die Unbefleckte Empfängnis in vertikalem Cinemascope mit gloriosen Farben, knalligem Blau, grellem Rot und kräftigem Gelb.

El Greco reißt in seinem 3,48 mal 1,74 Meter großen Monumentalbild „Immaculata Oballe“, das eher dem Typus Mariä Himmelfahrt gleicht, den Betrachter gleich mit in die Höhe und bedient sich dabei eines Tricks. Die Füße des unteren Engels befinden sich noch vor dem Blumenstillleben am unteren Bildrand, der die Sphäre des Betrachters markiert. Willkommen in der Welt der Glaubenseiferer und exaltierten Katholiken, willkommen bei den Heiligen und Königen, willkommen im Goldenen Zeitalter Spaniens.

Die Berliner Gemäldegalerie hat mit der Sommerausstellung „El Siglo de Oro“ ihren großen Auftritt. Nach der Botticelli-Schau wird erneut die riesige Wandelhalle bespielt, durch geschickt eingezogene Stellwände für einem grandiosen Parcours präpariert. Damit auch die Außenwelt von diesem Kraftakt der Staatlichen Museen erfährt, steht auf dem Dach des Kulturforums ein riesiger goldener Reifen, das Ausstellungssignet. Was hilft’s. Er müsste noch größer sein, denn auf dem Vorplatz fragen zwei herumirrende Touristinnen, wo denn die „pinacoteca“ sei. Einfach nur geradeaus. Der Gemäldegalerie möchte man einen Erfolg wünschen wie vor fünf Jahren ihre meistbesuchte Ausstellung „Gesichter der Renaissance“, die allerdings auf der Museumsinsel in Mitte zu sehen war.

Blick in die Ausstellung
Blick in die Ausstellung

© epd

„El Siglo de Oro“ nimmt es allemal mit ihr auf. Erneut werden Bilder und Skulpturen aufgefahren, dass einem Sehen und Hören vergeht. In der gemeinsam mit dem Prado erarbeiteten Schau kommen spektakuläre Leihgaben aus allen großen Häusern Europas zusammen, die staunen machen: 135 Werke aus über sechzig öffentlichen und privaten Sammlungen. Der Louvre in Paris, das Rijksmuseum Amsterdam, das Wiener Kunsthistorische Museum, das Statens Museum in Kopenhagen beteiligen sich und liefern damit eine Demonstration europäischer Zusammenarbeit, deren bittere Notwendigkeit in diesen Tagen wieder deutlich wird. Denn zu den Bilderreisen gehören Zollerklärungen, Frachtbestimmungen, freies Geleit für Expediteure, die das Reglement der EU erleichtert. Auch britische Sammlungen gaben großzügig Werke; welche Folgen hier der Brexit hat, wird man sehen, auch für die Forschung, die Kuratoren. Ohne einander geht es eigentlich nicht. „El Siglo de Oro“ führt zwar den spanischen Barock vor, gesammelt aber wird international.

Umso mehr erstaunt, dass Spaniens Goldenes Zeitalter außerhalb des Landes bislang keine Würdigung fand. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren zeigt das Berliner Kupferstichkabinett in einem Saal wieder seine hervorragenden Bestände an Zeichnungen jener Zeit. Gewiss, den großen Meistern El Greco, Murillo, Velázquez, Zurbarán wurden Einzelausstellungen gewidmet, zusammen waren sie jedoch nie zu sehen, schon gar nicht mit weniger bekannten Künstlern des Landes.

„El Siglo de Oro“ leistet Nachholarbeit und erinnert gleich im Entree daran, dass Spanien einst eine Weltmacht war, die sich auf fünf Kontinenten ausgebreitet hatte. Das erklärt die Sammellust, die Bildergier ihrer Könige, die Bestätigung nicht nur als militärische Herrscher und wirtschaftliche Potentaten suchten, sondern auch durch Kunst Selbstdarstellung betrieben. Philipp IV. soll seinen Palast mit mehr Gemälden gefüllt haben als ganz Paris damals besaß, wie Zeitzeugen damals berichteten.

Gläserne Tränen fließen das Antlitz der Heiligen hinab

Der gleichen Mittel, der Malerei und Skulptur, bediente sich auch die Kirche, um gegenreformatorische Propaganda zu betreiben: Da fließen gläserne Tränen das Antlitz der Heiligen herab, strömt das Blut plastisch aus den Wunden des Gekreuzigten, der zum Greifen nah aufgebahrt liegt, besitzen die biblischen Darsteller höchst realistische Züge, als wären sie Menschen von nebenan. Hingebungsvoll umarmt etwa bei Francisco Ribalta der Heilige Franziskus den Gekreuzigten, als trennte sie nicht Zeit und Raum. „El Siglo de Oro“ liefert ein Wechselbad der Gefühle, mal wird höfische Grandezza, mal Seelenpein gespielt. Die Ausstellung überzeugt jedoch nicht durch Emotionalität, sondern durch ihre kluge Inszenierung, die von dem Besucher, der zwischen den verschiedenen Städten, Schulen, Künstlerclans hin- und herspringen muss, einiges abverlangt.

Den Zeitgenossen selbst stellte sich „El Siglo de Oro“ gar nicht so gülden dar, vielmehr empfanden sie es als „eisern“, wie Miguel de Cervantes im „Don Quijote“ seinen Ritter von der traurigen Gestalt sagen lässt. Das 17. Jahrhundert war für Spanien eine Epoche der Verwerfungen, das Weltreich bröckelte, die Künste allerdings blühten. Mit dem importierten Edelmetall aus Übersee ließ sich noch zahlen, das höfische Zeremoniell verlangte weiterhin nach Formen der Repräsentation. So war es eine konsequente Folge, dass die anfänglich aufstrebenden Städte Córdoba, Granada, Valencia gegenüber dem immer stärker zentralistischen Madrid an Bedeutung verloren. Die Schau versucht die Entwicklung der verschiedenen Orte aufzuzeigen, den Barock in Kastilien, Andalusien, Valencia miteinander zu vergleichen, was sich nicht immer für den Betrachter erschließt.

Auch bisher weniger bekannte Künstler werden gewürdigt

Himmlisches Drama. El Grecos „Immaculata Oballe“ aus dem Jahr 1613 zeigt Mariä Empfängnis.
Himmlisches Drama. El Grecos „Immaculata Oballe“ aus dem Jahr 1613 zeigt Mariä Empfängnis.

© David Blázquez, Parroquia de San Nicolas de Bari, Toledo

Der besondere Reiz der Ausstellung aber besteht darin, dass nicht nur die Stars zur Geltung kommen, sondern auch Künstler gewürdigt werden, die hier bislang wenig bekannt waren. Gerade bei den Bildhauern sind Entdeckungen zu machen wie Gregorio Fernández, von dem der so lebensnahe, aufgebahrte Christus stammt und der eine Kreuztragung schuf, die in ihrer Expressivität wie echtes Theater wirkt. Oder Luisa Ignacia Roldán, deren kleiner, für eine Privatkapelle entstandener Jesus wirklich erbarmungswürdig aussieht. Die Evozierung von Empathie mit dem Gekreuzigten funktioniert auch Jahrhunderte später noch. Und doch entfaltet die Schauwand mit den nebeneinander gehängten Monumentalformaten von Zurbarán die größte Wirkung, allein dafür lohnt es zu kommen: links die heilige Margareta von Antiochien, eine junge Dame mit grimmigem Blick, die einen Drachen wie ein Hündchen an der Leine führt, in der Mitte der heilige Franziskus, dessen glasige Augen gen Himmel gerichtet sind, und rechts das Knabenbildnis von Don Alonso Verdugo de Albornoz mit Brustpanzer, das aus dem Besitz der Staatlichen Museen stammt.

Dank Wilhelm von Bode, der früh spanische Kunst zu kaufen begann, befinden sich in den Beständen der Gemäldegalerie und Skulpturensammlung zahlreiche bedeutende Werke. Sie bilden die Grundlage der Ausstellung und bescheren Bernd Lindemann, dem im August in den Ruhestand scheidenden Direktor des Museums, eine bravouröse Abschiedsausstellung, wenn er sich auch nicht mehr allein im Erfolg sonnen kann. Sein Nachfolger, Generaldirektor Michael Eissenhauer, der die Gemäldegalerie dann in Personalunion mit den Staatlichen Museen führt, hat bereits die Geschäfte übernommen. Das kommt vor, zumal bei Hausberufungen. Ähnlich erlebte es Chris Dercon, noch Direktor der Tate Modern und ab nächstes Jahr Intendant der Berliner Volksbühne, den die bisherige Sammlungsleiterin Frances Morris ablöst. Bei der Übergabe des neuen Tate-Flügels von Herzog & de Meuron, der nicht zuletzt durch Dercons Öffnung des Hauses für ein breiteres Publikum zustande kam, blieb er unerwähnt.

Gregorio Fernández: Gang zum Kalvarienberg, um 1610
Gregorio Fernández: Gang zum Kalvarienberg, um 1610

© epd

„El Siglo de Oro“ berichtet auf eindrucksvolle Weise davon, wie Herrscher in Erinnerung behalten wollen, wie eine Epoche im Nachhinein zumindest künstlerisch als glückhaft erscheint. Spanien erlebte einen Boom der Kunst, auch weil es sich Einflüssen öffnete: Rubens weilte ein Zeit lang als Diplomat in Madrid und schuf für den Palast Buen Retiro sowie das vor Madrid gelegene Jagdschloss Torre de la Parada die Dekoration, Tizian wurde als Hofmaler berufen, Dürers Grafiken zirkulierten auch in Spanien und fanden ihren Niederschlag in den Kompositionen dortiger Maler etwa bei der Darstellung der Dreifaltigkeit von Luis Tristán, ein Schüler El Grecos.

Manche Querverbindung liegt geradezu bildhaft auf der Hand. Neben dem Selbstporträt von Tizian, der seine Rechte auf einen Tisch im Vordergrund stützt, hängt Riberas „Vision des Belsazar“: eine Hand zeigt auf das Menetekel, die an der Wand erscheinende Schrift. Der Austausch unter den Künstlern fand immer schon statt. Und so eröffnen sich plötzlich Querverbindungen zwischen den Stillleben der spanischen Künstler und ihren niederländischen Nachbarn, die ihr eigenes Goldenes Zeitalter nach der Befreiung von Spanien erlebten, taucht hinter den Kartenspielern Antonio Pugas bereits das künftige Motiv Cézannes auf. Trotz Blüte spürten die Künstler sehr genau, wie fragil all die Pracht war. Antonio de Pereda y Salgados „Allegorie der Vergänglichkeit“ zeigt auf einem Tisch Totenschädel, erloschene Kerze und Sanduhr vereint. „Nil omni“, „Alles ist nichts“ steht in die Tischplatte eingraviert. Doch das ist schön.

Gemäldegalerie, Kulturforum, 1. 7. bis 30. 10.; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa / So 11– 18 Uhr. Katalog (Hirmer Verlag) 39 €. Infos: www.elsiglodeoro.de

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