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Kultur: Die Farbe Khaki

Militarisierte Gesellschaft: Wie die Kultur der Gewalt den Irak seit Jahrzehnten ruiniert

Als ich 2003, kurz nach der US-Invasion, meine Heimatstadt Bagdad besuchte, begab ich mich dort auf die Suche nach Literatur aus der Zeit des Saddam-Regimes. Ich wollte wissen, was für Bücher zwischen 1980 und 2003 geschrieben worden waren, um darüber selbst ein Buch zu schreiben. Lange musste ich nicht suchen, schon im ersten Buchladen traf ich einen hilfsbereiten Händler. Ich erklärte ihm, ich suche nach Lyrik und Prosa, die für Saddam verfasst worden sei. Der Buchhändler grinste breit: „Hast du einen Lastwagen dabei?“ Ich verstand nicht gleich. Da sagte er: „Ich habe den Keller voll bis oben hin mit solchem Zeug!“

Diese Werke über Saddam Hussein und seine Kriege sind Teil eines langen Prozesses der Militarisierung des öffentlichen Lebens, der im Irak das Ende der Zivilisation und den Beginn der Barbarei einläutete. Der Prozess begann Anfang der achtziger Jahre: Damals heftete Saddam Hussein im irakischen Fernsehen einem alten Mann einen Orden an die Brust. Der Grund: Der Mann hatte seinen Sohn getötet, weil der nicht in den Krieg ziehen wollte. Gesetzlich war es nun möglich, aus Patriotismus den eigenen Sohn zu ermorden.

Die tägliche Gewalt im Irak, die wir seit 2003 im Fernsehen sehen, ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie ist Teil eines langen Prozesses, der mit dem Irak-Iran-Krieg seinen Anfang nahm. 1980 beschloss die irakische Regierung, dass dieser Krieg nicht mehr nur an der Front stattfinden solle, sondern auch in den Schulen und auf den Straßen. Die Militarisierung des Lebens war das höchste Prinzip der Baath-Partei und ihres Führers. So wurde im Laufe der Jahre eine Kultur der Gewalt fest im Bewusstsein der irakischen Gesellschaft – und in ihrem Unterbewusstsein.

Jeder Iraker musste den Umgang mit Waffen erlernen. Neben der regulären Armee gründete die Regierung eine „Kinderarmee“, eine „Jugendarmee“ und eine „Volksarmee“. Im Fernsehen lief täglich die Sendung „Der Führer im Herzen der Dichter“, in der ein bekannter Poet in kakhifarbener Militärkleidung auftrat und Gedichte über den Krieg und den Führer rezitierte. Vor den Gebetsrufen lief fünf mal am Tag die Sendung „Bilder von der Front“, in der Gefallene gezeigt wurden, begleitet von der furchterregenden Stimme des palästinensischen Dichters Adib Naser, gefolgt von mehrstündigen Ansprachen Saddams. Während dieses und aller folgenden Kriege regierte im Irak die Baath-Ideologie, es gab öffentliche Hinrichtungen, Abschiebungen von Schiiten als „unreiner irakischer Rasse“, Verhaftungen politischer Gegner. Das Land kannte fast nur noch eine Farbe: Khaki, die Farbe des Militärs.

„1980 bedeutete das Ende einer oberflächlichen Modernisierung der Literatur“, schrieb 2004 der irakische Dichter Najm Wali. In Wahrheit war es nicht nur das Ende der Literatur, sondern der gesamten modernen Kultur im Irak. Unter Saddam wurden zwei Arten von Kunst unterschieden: auf der einen Seite die, die das politische System bediente, auf der anderen Seite Exilkunst, die als „Verrat“ betrachtet wurde. Die Regierung öffnete ihre Mediennur der ersten Sorte. Und fast alle großen Intellektuellen der arabischen Welt sahen in den achtziger Jahren Saddam als Symbol des Zusammenhalts der arabischen Nation. Selten in der Literaturgeschichte dürfte es so viele Gedichte und Lieder für eine einzige Person gegeben haben. Ich allein habe fast eine Million Gedichte gezählt, die vom Heiligen Führer und seinem Krieg sprechen. Zur Veranschaulichung hier einige Irak-Verse des tunesischen Dichters Ali Dob: „Das ist ein Land, das anderen Ländern nicht gleicht. Die Mauern sind khaki. Die Milch der Kindheit ist khaki. Und auch ich bin khaki geworden. O, ihr Dichter der Prophezeiung! Dieses Land ist rein!“

Viele Dichter und Schriftsteller erklärten sich zudem öffentlich zu Soldaten Saddams. Im Dezember 1985 etwa unterzeichneten mehr als 1000 arabische Autoren beim „Al Marbid“-Literaturfest im südirakischen Basra ein Manifest folgenden Inhalts: „Unser Führer! Wir, die arabischen Dichter und Schriftsteller, reinigen uns im Wasser deines Sieges.“ Fast alle Unterzeichner sind heute große Fische der arabischen Literaturszene. Bis heute hat keiner von ihnen erklärt, warum er derartige Manifeste unterzeichnet hat. Damit möchte ich nicht einzelne Künstler angreifen – ich kritisiere eine vom „Khakismus“ geprägte Kulturlandschaft.

Die drei wichtigsten Inhalte der irakischen Staatskunst waren das Lob des Märtyrers, des Soldaten und des Führers. Der Dichter Abd Al Amer Maala etwa schreibt: „Wir verbiegen das Kreuz, wählen das Martyrium, das jüngste Gericht und die Auferstehung. Die Toten werden auferweckt und die Türen aller Fragen verschlossen. Der Fluss von Blut klammert sich an das Himmelreich, das wir durch Schlachten errichten.“ Und der irakische Dichter Abd Al Wahd beschreibt die Aufgabe der Intellektuellen in einem Gedicht, das er den Soldaten widmet: „Wir folgen euch, um Köpfe abzuschneiden, wir tragen euer Licht und marschieren.“

Diese Intellektuellen begnügten sich nicht damit, für die Regierung zu dichten, sie begannen sogar, alle anderen Formen von Kultur zu bekämpfen. Diese Strategie beschrieb 1985 die kuwaitische Dichterin Suad Al Sabah: „Der Dichter, den wir wollen, muss wie ein Soldat an der Front sein. Gedichte, die nicht nach Blut und Schießpulver riechen, sind verdorbene Gedichte. Der kompromissbereite Dichter ist wie ein Soldat, der von der Front flieht. Wir müssen ihn verfolgen und seine Gedichte verbrennen.“ Die Dichter des „Khakismus“ machten sich zu Scharfrichtern. So schrieb der ägyptische Dichter Muchtar Al Nady 1999 in einem an Saddam gerichteten Gedicht: „Hacke den Verrätern im Exil die Köpfe ab und schicke sie per Post an ihre Herren zurück.“

Es gibt zahlreiche Ursachen für die andauernde Gewalt im Irak: die arabischen, diktatorisch regierten Nachbarländer, die Angst vor einem demokratischen Irak haben; alte iranische und türkische Interessen im Irak; die islamischen Paramilitärs. Nicht zuletzt spielt die seltsame Demokratie eine Rolle, die die US-Truppen mit Panzern und Maschinengewehren realisieren wollen, die zahllosen Fehler der irakischen Regierung und der im Weißen Haus. Die Ursachen sind zahlreich, aber die Gewalt-Kultur, die von 1980 bis 2003 aufgebaut wurde, ist entscheidend dafür verantwortlich, dass bis heute kein Ende der Gewalt abzusehen ist. Der „Kakhismus“ ist keineswegs vorbei. Bei den islamischen Gruppierungen treibt er sogar neue Blüten: Die alten Inhalte werden mit ähnlichem Wortschatz wiederbelebt, die Wiederbewaffnung der irakischen Armee wird von unzähligen Gedichten und Liedern begleitet. Patriotische, mörderische Intellektuelle sind auch im neuen Irak zu finden: A. Al Hassan zum Beispiel, ein ehemaliger „Dichter des Führers Saddam“, der sich heute als „Dichter des Führers Muqtada“ bezeichnet.

Die Diktatur und der Khakismus haben nicht nur das irakische Land ruiniert, sondern auch die irakische Seele. Die Werte und Normen der militärischen Erziehung prägen bis heute das Verhalten der Menschen. Ein Neuanfang ist im Irak nicht absehbar, weil die alten Werte der Baath-Partei immer noch präsent sind. Und die militärische Demokratie, die mit Panzern gekommen ist, war das Letzte, was dem Irak noch gefehlt hat. Das Land braucht eine neue Kultur, braucht Menschen, die mit Wörtern wie „Leben“ und „Liebe“ umgehen können. Die US-Regierung und ihre irakischen Polit-Lieblinge jedoch, aber auch Al Qaida und die islamischen Militärgruppierungen aus dem Ausland haben nur Soldaten, Bomben, Raketen und Massaker im Marschgepäck. Sir bringen eine neue militärische Kultur – einen neuen „Khakismus“.

Abbas Khider, 1973 in Bagdad geboren, lebt als Schriftsteller in München. Sein Buch „Khakismus – Intellektuelle Verbrechen im Irak“ erschien 2005 auf Arabisch im Kölner Al-Kamel Verlag.

Abbas Khider

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