zum Hauptinhalt
Sängerin und Autorin Dotschy Reinhardt.

© G.U.Hauth

Dotschy Reinhardt: Du musst dich wehren

Dotschy Reinhardt ist Jazzsängerin und Autorin. In ihrem Buch "Everybody's Gypsy" macht sie sich auf die Spur von Klischees. Eine Begegnung.

Wachsamkeit ist wichtig. Zum Beispiel auf dem Wochenmarkt am Hackeschen Markt. Dotschy Reinhardt kauft dort gern bei einer freundlichen Biobäuerin ein, die den hier manchmal anzutreffenden Roma-Kindern immer Äpfel schenkt. Allerdings traut Reinhardt dem Frieden nicht so recht. Sie sieht, wie abfällig viele Passanten auf die Kinder und deren Mutter schauen. „Wenn die Familie angegriffen würde, wäre ich sofort da, um zu helfen“, sagt die Jazzsängerin und Autorin, die selbst Sinteza ist.

Bisher musste sie das glücklicherweise noch nie tun. Dennoch bleibt Reinhardt in Alarmbereitschaft, denn sie hat gute Antennen dafür, wie die Stimmung gegenüber Sinti und Roma gerade ist. Was diese Antennen derzeit wahrnehmen, löst ein „mulmiges Gefühl“ bei ihr aus. „Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin, aber ich bin diesmal extra wählen gegangen, weil ich gemerkt habe, da ist etwas“, sagt sie. Dieses Etwas lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Beispielsweise wenn man sich die Stimmenzuwächse für rechte und rechtsradikale Parteien bei der Europawahl ansieht oder die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten „Mitte-Studie“ der Universität Leipzig.

Demnach erfahren rechtsextreme Positionen in Deutschland zwar insgesamt weniger Zustimmung, dafür ist die Ablehnung bestimmter Gruppen wie der Asylbewerber oder Sinti und Roma gewachsen. So ist laut der repräsentativen Studie mehr als die Hälfte der Deutschen der Meinung, dass Sinti und Roma dazu neigen zu klauen. Und 47 Prozent finden, dass Angehörige dieser Gruppe aus den Innenstädten verbannt werden sollen.

Dotschy Reinhardt lebt seit über zehn Jahren in Berlin, inzwischen mitten in Mitte, wo auch das Gespräch stattfindet. Die 38-Jährige überraschen solche Ergebnisse nicht. Für deren Zustandekommen sind in ihren Augen auch die Medien verantwortlich, die immer wieder die gleichen Problemgeschichten in reißerischem Ton verbreiten. „Ein reicher, krimineller Rom ist in solchen Beiträgen natürlich sofort ein ,Clan-Chef’“, sagt sie.

Ähnlich undifferenziert geht es häufig in Talkshows zu. Dotschy Reinhardt erinnert sich an eine Runde bei Anne Will zum Thema „Betteln, schnorren, Spenden sammeln – wird unser Mitleid ausgenutzt?“, zu der sie eingeladen wurde. Sie lehnte ab, weil sie sich als falsche Ansprechpartnerin empfand – schließlich ist sie Musikerin, hat seit 2006 drei Alben veröffentlicht, zahlreiche Konzerte gegeben. Beim Anschauen der Sendung, in der dann kein Sinti oder Rom zu Gast war, bereute sie ihren Entschluss. Niemand widersprach den dort geäußerten Vorurteilen. Deshalb sagt Dotschy Reinhard seither immer zu, wenn sie gefragt wird. Sie sieht sich allerdings nicht als Sprachrohr ihrer Minderheit: „Da gibt es gelehrtere, politischere, versiertere Menschen als mich. Aber was ich tun kann, tue ich.“ Dazu gehört auch Schreiben.

Gerade ist ihr zweites Buch „Everybody’s Gypsy. Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt“ erschienen. Darin kann man die Anekdote mit der Anne-Will-Sendung nachlesen und erfährt, wie es Reinhardt bei anderen Auftritten erging. In erster Linie ist das Buch jedoch ein Streifzug durch die aktuelle Popkultur, in der der Begriff „Gypsy“ zu einer Art Modewort avanciert ist. Reinhardt fiel auf, dass die damit bezeichneten Produkte oft kaum etwas mit der Kultur der Sinti und Roma zu tun haben, sondern nur Klischees reproduzieren: die „Zigeuner“ als feuriges, musikalisches und zwielichtiges Vagabundenvolk.

Per Mail fetzt sich Dotschy Reinhardt mit dem Rapper Marteria

Sängerin und Autorin Dotschy Reinhardt.
Sängerin und Autorin Dotschy Reinhardt.

© G.U.Hauth

Reinhardt findet zahlreiche Beispiele für derartige Darstellungen etwa in Computerspielen wie „The Tower of Secrets – A Gypsy’s Tale“, sie scannt Filme wie „Snatch“ oder „Sherlock Holmes“ auf Gypsy-Klischees und wundert sich über Songs von Shakira und Lady Gaga. Sie sieht darin eine Missachtung ihrer Traditionen – durch Verklärung. Besonders abstoßend findet sie das Gypsy-Label in der Kleidervermarktung. „Einerseits will man uns nicht als Nachbarn haben, aber die ,Gypsy Nude’ auf dem T-Shirt holt man raus, wenn man mal wieder böses Mädchen spielen will. Nicht zu vergessen den ,Gypsy-Rock’, die ,Gypsy Boxer Shorts und die ,Gypsy Panties’“, schreibt sie.

Dotschy Reinhardt ist eine kämpferische Person von zarter Gestalt. Sie sieht sich als Teil einer neuen Sinti-Generation, die – anders als die von der Nazizeit traumatisierten Älteren – nicht in Abschottung verharrt, sondern sich wehrt. So berichtet Reinhardt in ihrem Buch, wie sie Protestanrufe macht und Beschwerdemails schreibt. Etwa wenn es um das Z-Wort geht, das sie als rassistische Fremdbezeichnung ablehnt. Sie fetzt sich mit dem Berliner Rapper Marteria, wenn der mit seinem Alter Ego Marsimoto die Zeile „ein waschechter Zigeuner ist ein dreckiger Gauner“ verwendet und legt sich mit der Lebensmittelfirma Knorr wegen deren „Zigeuner-Sauce“ an – beide Male übrigens erfolglos. Nicht böse gemeint. Haben wir schon immer so gemacht. Das sind die schlappen Standard-Abwehrargumente.

Doch Dotschy Reinhardt, die vor allem mit Jazz und Bossa Nova bekannt wurde und weitläufig mit dem legendären Gitarristen Django Reinhardt verwandt ist, nennt in „Everybody’s Gypsy“ auch viele positive Fälle. Maggi führt anders als Knorr keine „Zigeuner“-Produkte mehr, sondern verkauft jetzt „Pikante Sauce“ und „Geschnetzeltes mit Paprika“. Geht doch. Genauso in der Musikbranche.

Hier stellt Reinhardt die Berliner Band Rotfront vor oder das Plattenlabel Asphalt Tango, das viele Roma- Bands – darunter die bekannte Fanfare Ciocarlia – unter Vertrag hat. Sie lotet immer wieder die Grenzen zwischen authentischer Repräsentation und klischeehafter Aneignung aus – echte Basisarbeit.

Dotschy Reinhardt ist in einem kleinen Ort in der Nähe von Ravensburg aufgewachsen. Als sie in die Schule kam, konnte sie zunächst nur Romanes und wurde oft gehänselt. „Ich war immer exotisch“, sagt sie. Auch mit ihrem Musikgeschmack – ihre Helden heißen Frank Sinatra, Sergio Mendes, Elis Regina und Sarah Vaughan – eine Außenseiterin. In ihrem ersten Buch „Gypsy. Die Geschichte einer großen Familie“ erzählte sie, wie sie, unterstützt von Verwandten wie der Sängerin Kitty Winter, ihre Musikleidenschaft pflegte und selber zu singen begann. Erst auf lokalen Schlagerfesten, dann immer professioneller. Schließlich zog sie nach Berlin zu ihrem Mann David Rose, der ebenfalls Sänger ist. Zunächst fühlte sie sich einsam, doch dann setzte sie alles daran, ihr erstes Album „Sprinkled Eyes“ herauszubringen – und war angekommen.

In ihrem patchworkartig angelegten neuen Buch, das auch Interviews mit Kollegen und Erlebnisberichte versammelt, ist ihr Ton mal persönlich, mal humorvoll, mal betont sachlich. Kurz blickt die Autorin zudem in die Geschichte der Sinti und Roma zurück, die vor etwa 1500 Jahren aus Nordwestindien nach Europa kamen. Die Region fasziniert Reinhardt schon lange. Auf ihrem dritten, stark von indischer Musik beeinflussten Album „Pani Sindhu“ konnte man das vor zwei Jahren erstmals hören.

Der Titel bedeutet „Das Wasser des Sindhu“. Der auch Indus genannte Fluss fließt unter anderem durch das pakistanische Sindh, die Region, aus der die Sinti stammen. Für Reinhardt eine Sehnsuchtsgegend. „Diese Frage: Wie es da eigentlich aussieht, hatte ich schon immer in mir“, sagt sie. Inzwischen weiß sie es, denn einige Tage nach dem Gespräch bricht sie zu einer Paktistanreise auf. Mit ihrer vierköpfigen Band tritt sie in Lahore und Karachi auf und wird mit Musikern aus Sindh in ein Studio gehen. Sie ist gespannt, ob sie mit den Kollegen vielleicht auch ein paar Worte wechseln kann. Die Sprachen Urdu und Romanes sind nämlich verwandt.

Dotschy Reinhardt: Everybody’s Gypsy. Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt. Metrolit, Berlin 2014. 221 S., 17,99 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false