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Cliff nimmt in „Bewegungen eines nahen Bergs“ von Sebastian Brameshuber Autos auseinander.

© Filmwoche

Duisburger Filmwoche: Magische Maloche

Die erste Duisburger Filmwoche unter neuer Leitung stärkt jüngere und weibliche Stimmen. Auffällig war auch eine spürbare Belebung der Debattenkultur.

Das Berlinale-Forum startet gerade mit Cristina Nord in eine neue Ära. Dafür übernimmt Ex-Forums-Chef Christoph Terhechte das Leipziger Dokfestival. Und die Duisburger Filmwoche hat schon jetzt nach Jahrzehnten mit dem verdienten Prinzipal Werner Ružicka ein neues Führungsduo. Dafür hat sich Gudrun Sommer, Gründerin und Leiterin des parallel zur Filmwoche stattfindenden Kinder- und Jugendfestivals Doxs! mit Christian Koch einen im Kulturmanagement erfahren Partner an die Seite geholt.

Da Filmwoche und Doxs! in Zukunft in gemeinsamer Regie betrieben werden sollen, sicherlich eine gute Maßnahme, um vorzeitigem Kräfteverschleiß vorzubeugen. Dabei sichert Doxs! mit Arbeit an den Schulen der Region nicht nur zukünftiges Interesse am Dokumentarfilm, sondern bringt in Schülervorführungen während der Festivalwoche auch viele Kinder erstmalig in Kontakt mit einem Kino jenseits von Werbung und Popcorn.

Auch Auswahlgremium und Team wurden neu besetzt, was sich im ersten Jahr am deutlichsten durch die Stärkung jüngerer und weiblicher Stimmen bemerkbar machte. Zusätzlich hatte sich das Konzept vom „deutschsprachigen“ Dokumentarfilm in den letzten Jahren schon passend zu den Zeitläufen internationalisiert zu einem in deutschsprachigen Ländern produzierten

Auffällig auch eine spürbare Belebung der Debattenkultur. Denn das herrlich luxuriöse Alleinstellungsmerkmal der Filmwoche war ja von Beginn an die Tatsache, dass nur ein einziger Saal bespielt wird – und, dass jeder der in der Konkurrenz vorgeführten Filme (diesmal 24) in einem etwa einstündigen moderierten Gespräch diskutiert wird. Also ausführliche Einblicke in Konzept und Arbeitsweise statt Q&A-Quickies.

Bäuerliche Wurstproduktion

Aber Jugend und Frausein sind noch kein Programm, die bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte ist es in Duisburger Tradition schon. So standen mit Thomas Heises „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ und Ute Adamczewskis „Zustand und Gelände“ auch hier zwei Arbeiten zentral im Programm, die in ihrer Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte und einem klaren Konzept andernorts schon Bewunderung erregt hatten. Adamczewskis Untersuchung zu den Spuren früher NS-Repression in Sachsen ist gerade erst in Leipzig mit einer Goldenen Taube ausgezeichnet worden.

Ein anderer Schwerpunkt waren – passend im vom Strukturwandel geplagten Ruhrgebiet – sehr unterschiedliche Formen der Arbeit von der bäuerlichen Wurstproduktion bis zum Schaffen von Konzeptkunst. „Taste of Hope“ (Regie: Laura Coppens) begleitet die Überlebenskämpfe einer selbstverwalteten Teefabrik in Südfrankreich zwischen Supermarkt-Verramschung und solidarischem Crowdfunding. „Fleischwochen“ (Regie Joachim Iseni) erforscht die ökonomische und moralische Krise eines österreichischen Familienbetriebs.

Verwitterte Werkhalle in der Steiermark

Auch die beiden Hauptpreisträger beschäftigten sich mit dem Arbeiten unter den prekären Bedingungen der Globalisierung. „Olanda“ von Bernd Schoch (arte-Preis) macht aus der geduldigen Verfolgung der Wege osteuropäischer Pilzsammlerinnen und ihrer Handelsware von den Wäldern der Karpaten bis zur Vorbereitung für den westlichen Feinschmecker-Markt eine ebenso erkenntnis- wie wundersame Reise. „Bewegungen eines nahen Bergs“ (Regie Sebastian Brameshuber, 3sat-Preis) geht in die Steiermark, wo ein ursprünglich aus Nigeria kommender Mann in einer verwitterten Werkhalle die morbiden Überreste der Individualmotorisierung be- und verhandelt. Hier werden Autowracks so gekonnt auseinander genommen wie bei der Bauernfamilie in den „Fleischwochen“ die Schweine, doch beim Verdealen der Restteile und Motorblöcke nach Osteuropa oder Nigeria zeigt Cliff auch jenseits des Handwerklichen die bessere Kompetenz.

Künstlerinnen der feministischen Wiener Avantgarde

Der „magische Materialismus“, den die Jury Brameshubers Film bescheinigte, findet sich ganz anders interpretiert auch in einem bemerkenswerten Film von Christiana Perschon, der mit einer Handvoll Künstlerinnen der feministischen Wiener Avantgarde der späten 60er auf fast experimentelle Art die Dialektik zwischen Material, patriarchalen Kreativitätshindernissen und widerständiger Kunstarbeit verhandelt. Dabei schafft „Sie ist der andere Blick“ mit einer intelligenten Mischung aus Konzept und improvisierender Spontaneität, die Verletzungen von Frauenleben ohne direkte biografische Eröffnungen zu zeigen – und das Kunstmachen ohne die üblichen scheinprivaten Ateliereinblicke. Ein Film, dem man gemeinsam mit seiner jungen klugen Regisseurin noch einen weiten erfolgreichen Weg wünscht. So wie der Filmwoche auch.

Bleibt nur die düstere Frage, warum ausgerechnet Dokumentarfilm-Affine im echten Leben so exzessiv dem Tabak frönen. So wörtlich hätte man das diesjährige Festivalmotto „Wer erstickt, wo wir atmen?“ oftmals lieber nicht genommen.

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