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Experiment: Virus-Schlacht

Sars, Aids, Schweinegrippe und Finanzpest: Wie zwölf Tote in Mexiko die globalisierte Welt erschüttern – ein epidemisches Zeitalter.

Es ist zwar nur eine Theorie, aber eine sehr gute. Leider ist sie unbewiesen. Das „Zeit“-Magazin versuchte vor zehn Jahren, Stanley Milgrams „Small World“- Hypothese zu belegen. Danach sollen zwei beliebige Menschen auf der Erde über maximal sechs Ecken miteinander „bekannt“ sein. Aber die Kette, die in sechs Schritten von einem Berliner Falafelverkäufer über jeweils einander kennende Zwischenpersonen zu Marlon Brando führen sollte, brach immer wieder ab. Mal hatte ein vielbeschäftigter New Yorker Staranwalt angeblich keine Zeit, sich mit dem Hollywoodschauspieler in Verbindung zu setzen. Mal meldete sich ein Filmproduzent nicht zurück. Was nicht gegen die Überlegung selbst spricht. „Six degrees of separation“ ist ohnehin kein mathematisches Problem, dessen Beweiskraft von einer sauber durchgeführten Lösung abhängt. Sondern Ausdruck einer Welt, die gelernt hat, sich von außen zu betrachten.

So besticht dieses Experiment durch seine Strukturidee. Die globalisierte Welt organisiert sich oder meint zumindest, ihre Abhängigkeiten nach demselben Schema zu organisieren. Ob Handelsbeziehungen, Verkehrswege, soziale Foren oder Mechanismen der Werbewirtschaft: Der Weltinnenraum ist zu einem überschaubaren Netzwerk aus „persönlichen“ Kontakten geworden. Sein wichtigster Protagonist ist das Virus.

„Man kann sagen, dass von diesem Augenblick an die Pest uns alle betraf“, hält Albert Camus in seinem Romanklassiker „Die Pest“ den Augenblick fest, da wegen der im nordafrikanischen Oran ausgebrochenen Seuche die Stadttore geschlossen werden. Niemand kommt mehr hinaus, nur noch Lebensmittel und Priester hinein. Camus nutzt dieses Bild der in Quarantäne Gefangenen, um die „unter dem Getrenntsein stöhnenden Dinge“ zu beschreiben. Aber diese Art von Abkapselung ist eine überkommene Vorstellung davon, wie Epidemien in die Welt gelangen und welchen Effekt sie haben.

Welche Tore sollten heutzutage geschlossen werden? Es ist ein Signum der Gegenwart, dass kleine, lokale Ursachen sofort globale Wirkung entfalten. Aids und Sars haben gelehrt, wie rasant sich Krankheiten über den Erdball verstreuen, sofern Menschen intimeren Kontakt zueinander haben. Wenn auch in Seuchenthrillern wie „Outbreak“ davon erzählt wird, dass die Proliferation der Erreger durch drakonische kryptofaschistische Militärstrategien lokalisiert werden kann, zwingen uns Viren eine andere Realität auf. Sie sind ein Erfolgsmodell, zerstörerisch natürlich, aber auch Vorbild wegen ihrer Art, sich mit rasender Geschwindigkeit durch das Internet zu fressen, Barrieren zu ignorieren, sozial-virtuelle Gemeinschaften wie Facebook, StudiVZ, Myspace, Flickr zu infiltrieren und Menschen, die einander nur als Online-Existenz kennen, durch einen Hype aneinander zu binden. Viren sind das Gegenbild zur Schwarm-Intelligenz, die im postindustriellen Kapitalismus die Macht des Einzelnen durch das Verhalten eines Superorganismus ersetzt. Erfolg als Weg des geringsten Widerstands.

Aber das Netz ist als Organisationsform eine paranoide Struktur. Und Grippewellen wie die jetzt diagnostizierte Schweinegrippe, für die die Weltgesundheitsorganisation WHO die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen hat, zeigen das besonders deutlich. Dass zwölf offiziell gezählte Tote in Mexiko in keinem Verhältnis zu dem Aufwand stehen, der zur Eindämmung der befürchteten Pandemie betrieben wird, tut nichts zur Sache. Die gegenwärtige Panikstimmung illustriert vielmehr, wie sehr das epidemische Zeitalter das Denken beherrscht. Gerade jetzt, im Schatten der Finanzkrise, tritt das Muster der Epidemie als Unfähigkeit von Systemen, sich selbst zu regulieren, besonders deutlich zutage. Denn auch der Kollaps des Bankenwesens gleicht einer Virusinfektion, die von Geldinstitut zu Geldinstitut weitergetragen worden ist und nach einer gewissen Inkubationszeit immer mehr Opfer fordert. Auch hier wurden unsichtbare Parasiten in einem Ausmaß in die Blutbahn der Wirtschaft eingeschleust, dass nur noch heftigste Gegenmaßnahmen von außen helfen. Aber solche Missverhältnisse gehören zur epidemischen Struktur dazu. Umso mehr, wenn das Bedrohungsszenario geeignet ist, die Angst des Menschen vor dem Mitmenschen zu schüren.

Da gibt es etwas Böses in uns, von dem wir vielleicht nicht einmal wissen, das sich unserer Körper nur bedient, um an die Herrschaft zu gelangen – aus dieser tief sitzenden Angst vor dem Fremden, das in uns ist und dem wir als Brutstätte dienen, beziehen Horrorspektakel wie „Invasion of the Body Snatchers“, „Nosferatu“ oder die „Alien“-Filme ihren Kitzel. Tatsächlich schwingt in der gegenwärtigen Schweinegrippe das Unbehagen mit, dass der Krankheitserreger eine für verlässlich gehaltene Zivilisationsgrenze geknackt, sich also noch einmal anders globalisiert hat. Er ist vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Eine Perspektive, vor der bei der Vogelgrippe nur gewarnt worden war, bei BSE (Rinderwahnsinn) allerdings schon mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ein Link zum menschlichen Erbgut hergestellt wurde.

Am weitesten hat die Idee des Viralen die Filmtrilogie „Matrix“ getrieben, wo der von Keanu Reeves verkörperte Held zum Virus in einem automatisiert-virtuellen System mutiert. Die Gegenmaßnahmen, die es gegen ihn und ein kleines Häuflein anderer widerständiger Menschen ergreift, rufen ein Computerprogramm namens „Agent Smith“ auf den Plan. Dieser Klonkrieger, der sich beliebig zu vermehren weiß und immer er mehr gesunde Programme in seinen Kampf hineinzieht, entwickelt die Widerspenstigkeit, die man auch Antibiotika nachsagt. So ist das System bald mehr mit der Abwehr des von ihm selbst initiierten Killerprogramms beschäftigt als mit dem Eindringling.

Die menschliche Fantasie hat sich schon immer von Seuchen und Plagen herausgefordert gefühlt. „Wir fürchten uns mehr vor der Unsicherheit als vor der Gefahr.“ Dieser Satz Bertrand Russells trifft die diffuse Gemengelage, die auch Deutsche derzeit massenhaft in die Apotheken strömen lässt, um sich mit Tamiflu einzudecken. Aber dahinter steckt mehr. Denn auch das Reden über Epidemien hat etwas Epidemisches.

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