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Kultur: Freiheit, Einheit, Mauersprung

Ostdeutsche Kunst: eine US-Wanderausstellung

Berlin, Alexanderplatz, 1987: Auf der Treppe unter dem Fernsehturm posiert eine FDJ-Gruppe in ihren Blauhemden. Daneben ein Foto vom selben Ort 2001: Ein jugendlicher Skater nimmt die Stufen in kühnem Sprung. Von der Freien Deutschen Jugend zur individuellen Freiheit Jugendlicher – so viel kann der Fall einer Mauer verändern.

Neugierig betrachten die Amerikaner die Bilder der Ausstellung „Breakthrough! 20 Years After German Unification“ in der Edison Place Gallery in Washington. Einige Meter neben den Alexanderplatz-Bildern nehmen Sowjetsoldaten 1984 vor dem Fürstenzug in Dresden Haltung an, vor dem größten auf Porzellankacheln gemalten Bild der Erde. Das Foto daneben zeigt japanische Touristen bunt durcheinander vor demselben Hintergrund 2005. Es sind ironische und einprägsame Kontraste, die der Fotograf Harald Hauswald eingefangen hat. Da bedarf es keiner langen Erklärungen, selbst jenseits des Ozeans.

„Wie grau die DDR doch war“, sagt eine Besucherin. Ihr Begleiter deutet auf ein anderes Foto: „Hat Bruce Springsteen wirklich 1988 in Ostberlin gespielt?“ Ja, sagt Hauswald, vor 185 000 Menschen. „Viele sangen laut mit, einige schwenkten amerikanische Fähnchen zu ,Born in the USA’. Das hat die Stasi mächtig geärgert.“

An der Wand gegenüber hängen Gemälde von Reinhard Stangl. Aus einem dunklem Hintergrund schiebt sich hell leuchtend das unversperrte Brandenburger Tor hervor. In seiner Friedrichstraße verwandelt sich der vorüberfließende Verkehr in dezentes Schwarz-Rot-Gold.

Zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit reisen die Kunstwerke zehn regimekritischer Maler, Bildhauer und Fotografen durch zehn US-Städte – und überall sind einige der Künstler dabei. An jedem Präsentationsort gehört der persönliche Austausch mit Schulen und Bürgervereinen zum Projekt. Alle zehn Künstler sind in der DDR aufgewachsen, acht von ihnen waren in den Westen ausgereist: die Maler Peter Herrmann, Thomas Klingenstein, Wolfgang Petrick, Frank Rödel, Inge Schmidt, Reinhard Stangl, Robert Weber und der Bildhauer Hans Scheib. Die Fotografen Gerald Adam Hahn und Harald Hauswald blieben bis zum Ende in der DDR.

Den Anstoß zu „Breakthrough!“ gab der Amerikaner Jeff Thinnes. Von 1990 bis 1993 war der Jurist Vizedirektor des Aspen-Instituts Berlin. Er lernte viele ostdeutsche Künstler kennen und war beeindruckt von ihren Kämpfen mit der DDR-Obrigkeit. Heute ist er Inhaber einer Wirtschaftsberatungsfirma. „Die jungen Amerikaner halten die Freiheit für etwas Selbstverständliches. Sie machen sich nicht klar, wie schnell sie bedroht sein kann“, sagt er.

Auf der Reise durch die USA hat die Ausstellung vielfältige Debatten ausgelöst. Im frommen „Bible Belt“ betrachteten die Besucher die Bilder vom Rockkonzert langmähniger Jugendlicher 1988 in der Zionskirche mit Verwunderung. Darf man Gotteshäuser für nichtreligiöse Zwecke nutzen? In Nashville, Tennessee, diskutierten Veteranen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und ostdeutsche Künstler mit Schülern ihre Erfahrungen mit staatlicher Repression und fanden Gemeinsamkeiten, erzählt Hauswald bewegt. Zugleich war es ein Lehrbeispiel, wie unterschiedlich konkurrierende Systeme eine Freiheitsbewegung in ihrer Selbstdarstellung nutzen, ergänzt Thinnes. Im Westen galten die Protestmärsche, die am Ende zur Gleichstellung der Afroamerikaner führten, als Beleg für die Macht der Redefreiheit. In der DDR dagegen wurden sie als Beleg dafür angeführt, dass in den kapitalistischen Ländern eine repressive Diktatur herrscht. In San Antonio, der nächsten Station, wird die Mauer im Mittelpunkt stehen. Und in Texas liegt das Grenzthema nahe, wegen der Grenze zu Mexiko und der illegalen Migranten.

Nicht alle kommen mit der Freiheit zurecht, die Wende kennt auch Verlierer. Das zeigt Inge Schmidts Gemälde „Herzlich willkommen“. Es dominieren warme Farbtöne, aber das Auge des Betrachters wird auf eine Person gezogen, die rücklings von der Mauer fällt. Sie findet keinen Halt. Christoph von Marschall

Infos: www.breakthroughart.org

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