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Bildung für alle. 1960 konnten weltweit 60 Prozent aller Menschen lesen und schreiben, 2016 waren es 85 Prozent. Das ist eine der vielen Statistiken, mit denen Mingels sein Buch grundiert.

© dpa/Eva-Maria Krafczyk

"Früher war alles schlechter" von Guido Mingels: Fortschritt sichtbar machen

Es geht voran - doch viele Verbesserungen in der Welt finden kaum Beachtung. Der Journalist Guido Mingels hat ein Buch wider den Kulturpessimismus geschrieben. Voller Zahlen, Fakten und Grafiken.

Von Caroline Fetscher

An die beste aller möglichen Welten glaubt wohl kaum noch jemand. Umso weniger daran, dass wir Zeitgenossen aktuell in einer leben. Sardonisch hatte Voltaire mit „Candide“ schon 1759 naiv frommen Optimismus verabschiedet. Mit der Französischen Revolution spross die Hoffnung auf das Etablieren gerechter Staatlichkeit für alle Citoyens, auf das Ende adliger wie klerikaler Privilegien. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden und vermehrten sich Demokratien mit Wahlrecht und Bildung für alle, Wissenschaft und Verwaltung im Dienst der Allgemeinheit.

Zur besten aller Welten wird der Abstand weiter groß bleiben, sie bleibt Fiktion, eschatologischer Wunsch. Denn wer wollte festlegen, wann sie erreicht wäre? Immerhin, die Welt ist staunenswert besser geworden, vor allem viel besser als das subjektive Empfinden, Hand in Hand mit der medialen Repräsentation der Zustände, nahezulegen scheint.

Das Ziel ist Ermutigung

Der Schweizer Journalist Guido Mingels hat 2016 jede Woche im „Spiegel“ eine Statistik veröffentlicht, die mit den besten aller Daten die verbesserte Welt dokumentiert. Als kleines Buch mit großen Zahlen sind die gesammelten Fakten wider den Kulturpessimismus nun herausgekommen – das beste aller Buchgeschenke für Pessimisten und Ängstliche. Man müsse, so Mingels „das ganze Gebäude betrachten, nicht nur den Riss in der Mauer.“ 1960 konnten weltweit 60 Prozent aller Menschen lesen und schreiben, 2016 waren es 85 Prozent. Um 1850 starb jedes zweite (!) Kind vor dem fünften Lebensjahr. 2015 nur jedes 250. Kind. Flüsse waren vor 25 Jahren so verdreckt, dass das Schwimmen verboten werden musste. Inzwischen haben 98 Prozent der Gewässer in Deutschland Badequalität. Die Jugendkriminalität geht – entgegen dem allgemeinen Vorurteil – stetig zurück. 1962 hielten 85 Prozent der Eltern in Deutschland Gewalt in der Erziehung für legitim, heute sind es noch acht Prozent. Und: Seit 1945 nimmt trotz vieler bewaffneter Konflikte die Anzahl der Kriegstoten ab.

Mehr als 50 ästhetisch klug gestaltete Grafiken zu erklärenden Texten versammelt der Band. Mingels will jedoch nicht bagatellisieren, sondern aufklären. Sein Ziel ist nicht die Entwarnung angesichts von Klimawandel, Waffenhandel oder Terror – selbst wenn Statistiken nachweisen, dass so gut wie alle Terrorgruppen aller Zeiten scheiterten. Ziel ist Ermutigung. Während im Alltagsgerede „Weltverbesserer“ und „Gutmenschen“ denunziert werden, beweist die Historie, dass sinnvoller Einsatz lohnt, für Demokratie, Bildung, Menschenrechte, in der Gesundheitsforschung oder im Umweltschutz.

Warum aber wird Fortschritt weniger wahrgenommen als Nachrichten über Katastrophen? Ganz einfach: Medial unbeachtet bleiben vor allem „Zwischenresultate langsamer Prozesse“, konstatiert Mingels. Dass Millionen Kinder in Tansania oder Brasilien zur Schule gehen, produziert keine Schlagzeile, auch nicht der Rückgang von Epidemien.

Andere Studien stützen seine Befunde

Mingels kontramediale Datensammlung stützt die Befunde anderer Optimisten, so die des Evolutionsbiologen Steven Pinker, der 2011 mit „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“ seine Studie zum Rückgang der Gewalt in der Geschichte publizierte. Auch der kalifornische Neurowissenschaftler Steven R. Quartz veröffentlicht ähnliche Thesen (etwa auf der Website www.edge.org). Und eben stellte der Soziologe und Psychoanalytiker Martin Dornes seine Thesen zur wachsenden Gesundung der Gesellschaft vor („Macht der Kapitalismus depressiv? Über seelische Gesundheit und Krankheit in modernen Gesellschaften.“ S. Fischer, 2017, 160 S, € 15,99).

Schwer erfassbar bei alledem scheint der Rückgang von antisozialen und irrationalen Vorstellungen, Aberglauben und Sündenbocksuche. Wo sie nur durch Rationalisierungen eingedämmt sind, droht die Wiederkehr des Verdrängten. Anzeichen dafür könnte die Zunahme des religiösen Fundamentalismus und der Massenkonsum von „Fantasy“-Stoffen in der Unterhaltungsindustrie sein. Gleichwohl, unbestritten ist: Es geht voran.

Guido Mingels. Früher war alles schlechter. Warum es uns trotz Kriegen, Krankheiten und Katastrophen immer besser geht. DVA, München, 2017 124 S., 14,99 €.

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