zum Hauptinhalt

Kultur: Harlekins Heimkehr

Er war der große Malerfürst der DDR – und seine Leidenschaft galt Italiens alten Meistern. Zum Tod von Werner Tübke

Wir hatten ihn noch einmal treffen wollen, Anfang Mai in Bad Frankenhausen. Zum 75. Geburtstag des Malers Werner Tübke am 30. Juli 2004 hatte ihm das kleine, an sein Riesenpanorama angegliederte Museum eine Jubiläumsausstellung ausgerichtet. Der Maler selbst, seit längerem schwer krank und an den Rollstuhl gefesselt, hatte sein Kommen zugesagt, dann aber aus Krankheitsgründen kurzfristig absagen müssen. Er hätte an der Eröffnung wohl seine Freude gehabt: Bewunderung, Ehrfurcht, Zuneigung sprachen aus jeder Rede.

„Werner Tübke – Faszination Mittelmeer“ ist eine Ausstellung, die alle Stärken und Schwächen des wohl bedeutendsten, sicher aber eigenwilligsten und originellsten DDR-Künstlers und Mitbegründers der Leipziger Schule zeigt. Eine Wanderausstellung der Galleria del Levante hatte Tübke 1971 erstmals nach Italien gebracht, die erste in einer langen Reihe von Reisen: nach Sizilien, Ischia, Capri oder an den Gardasee. Die in Bad Frankenhausen gezeigten Bilder beweisen, wie stark Italien, das italienische Licht, die Begegnung mit dem Klassizismus, aber auch mit dem einfachen Landleben den Leipziger Maler prägten.

Hier malte einer, der mit fast manischer Konsequenz alles Zeitgenössische aus seinen Bildern fern hielt. Die Ölgemälde, vor allem aber die Vielzahl von Aquarellen und Zeichnungen feiern die malerischen Städtchen, eindrucksvollen Gebirgslandschaften, Olivenhaine und die überbordende Vegetation des südlichen Landstrichs. Armut, Bauernelend, Industrialisierung finden nur in den frühen Italienbildern ihren Niederschlag, die noch dem Neorealimus verhaftet scheinen.

Eine Flucht in die Welt des Schönen? Ein trotziges Augenverschließen vor der gesellschaftlichen Realität, ein anachronistisches Festhalten am Malstil der guten alten Zeit? Man tut Werner Tübke Unrecht, wenn man ihn für einen schwärmerischen Romantiker hält. Sein bekanntestes Italienbild, das „Porträt eines sizilianischen Großgrundbesitzers mit Marionetten“ von 1972 aus der Dresdner Galerie Neue Meister, zeigt im Stil von Giorgione oder Tizian einen eleganten jungen Herrn vor sizilianischer Landschaft. Elegant ja, aber auch blasiert, oberflächlich, parasitär: Dieser Jüngling in seinen weißen Hosen und mit weißem Windspiel an der Seite ist nicht mehr als eine Marionette, eine Puppe, wie die Marionetten, die ihn, an ihren Fäden aufgehängt, umgeben. Die ironische Brechung aus der Distanz der Jahrhunderte: Auch das ist Tübke eigen.

Marionetten, Puppen, Karnevalsfiguren: Nicht umsonst ist es die Figur des Harlekins, in der der Maler sich selbst immer wieder in die Werke integriert. Es ist die Position des Außenseiters, des Hofnarren, aber auch des kritischen Beobachters, auf der Tübke immer beharrt hat, auch gegenüber dem Versuch, ihn wegen lukrativer Staatsaufträge zum Staatskünstler, zum „Hofmaler“ abzustempeln.

Und gewiss: Dem sozialistischen Realismus stehen seine Bilder in ihrer Verehrung der alten Meister denkbar fern. Propagandistisch verwertbar sind seine skurrilen, verschlüsselten, anspielungsreichen Werke nur in den seltensten Fällen. Im Gegenteil: Es ist ein Karneval, ein Maskenfest, aber auch immer ein zutiefst pessimistischer Totentanz auf den Trümmern der Zivilisation, den Werner Tübke inszeniert. Voller Bewunderung für die Meisterschaft der Vorfahren, aber gleichzeitig durchdrungen von dem melancholischen Bewusstsein, dass diese Blüte der Zivilisation längst vorbei ist, abgelöst durch eine barbarischere Epoche.

Die hat er, deutlicher, obsessiver als jeder andere, in seiner – elf Bilder und unzählige Aquarelle und Zeichnungen umfassenden – allegorischen Bilderfolge „Lebenserinnungen des Dr. jur. Schulze“ geschildert, die in der Höllenmanier eines Hieronymus Bosch den Werdegang eines deutschen Juristen, Faschisten und Schreibtischtäters schildert: Vielpersonenbilder in altmeisterlicher Manier, die mit bonbonbuntem Gewimmel und zahlreichen Anspielungen Unrecht, Parteizwang und Unrechtsjustiz anprangern. Parallelen zu den Machtverhältnissen in der DDR konnte da jeder Betrachter selbst ziehen, auch noch in Peter-Klaus Schusters Ausstellung zur Jahrtausendwende im Alten Museum Berlin, bei der die „Lebenserinnerungen“ einen Höhepunkt bildeten.

Angesichts solcher Werke liegt der Vorwurf des Staatskünstlers fern, der von Bildtiteln wie „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ oder „Die Vision kommunistischen Lebens“ gleichwohl provoziert werden konnte. Sicher, sein Lebenswerk, das Bauernkriegspanorama im thüringischen Bad Frankenhausen, war ein Lieblingsprojekt Erich Honeckers. Mehr als zwölf Jahre, von 1976 bis 1987, malte Tübke mit seinen Schülern an dem 14 Meter hohen und 123 Meter langen Rundumpanorama, das fast 3000 Figuren versammelt. Diese Herkulesarbeit habe, beklagt Tübkes Frau und Mitarbeiterin Brigitte, die Gesundheit des Malers endgültig untergraben: 1987 erlitt er bei der Arbeit einen Kreislaufzusammenbruch. Die Vollendung des Werks ließ er sich dennoch nicht nehmen.

Eine Feier des heroischen Bauernaufstands gegenüber der drückenden Junkerherrschaft des 16. Jahrhunderts ist das Panorama trotz Staatsauftrag nicht geworden. Es verherrlicht, wenn überhaupt, eher eine Niederlage: 1525 wurden die von dem Reformator Thomas Müntzer angeführten aufständischen Bauern bei Bad Frankenhausen von einem Landsknechtsheer vernichtend geschlagen. So ist das Panorama ein monumentales, apokalyptisches Welttheater von Leben und Tod, Krieg und Folter, Glauben und Reformation. Im Wechsel zwischen Brueghel’schen Sittenbildern und Porträts prominenter Zeitgenossen wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach oder Martin Luther flicht Tübke gleich mehrere Memento mori ein, einen triumphierenden Tod mit Stundenglas oder, wiederholt, den spöttisch beobachtenden Harlekin. Die versammelte DDR-Spitze blieb, verärgert, der feierlichen Einweihung fern – der Publikumsandrang in Bad Frankenhausen ist bis heute ungebrochen. Rund 100000 Besucher finden jährlich in das kleine Nest am Fuße des Kyffhäuser genau wie nach Clausthal-Zellerfeld, wo in der St. Salvatorkirche Tübkes letztes großes Werk zu sehen ist: ein achtteiliger Flügelaltar aus der Mitte der Neunzigerjahre.

Es hätte nicht sein letztes sein sollen: Der unermüdliche Maler hatte trotz Krankheit noch große Pläne, wollte auch bald noch einmal nach Italien fahren. Auf die Frage des „FAZ“-Fragebogens: „Was ist für Sie das größte Unglück?“ hat er einmal geantwortet: „Dass ich nicht bis in alle Ewigkeit weiterarbeiten kann.“ Nun ist Werner Tübke zwei Monate vor seinem 75. Geburtstag in einem Leipziger Krankenhaus gestorben – sechs Wochen nach seinem Leipziger Kollegen Wolfgang Mattheuer.

GEBOREN

am 30. Juli 1929 in Schönebeck (Elbe), wird Tübke 1945 als Sechzehnjähriger von der Schulbank weg verhaftet und verbringt zehn Monate in Folterhaft.

1946/47

absolviert er eine Malerlehre in Schönebeck. 1947 geht er zum Studium an die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, deren Rektor er ab 1973 ist.

HAUPTWERKE

Bekannt wird Tübke mit Wandtafeln, die er 1958 für das Interhotel Astoria in Leipzig malt. Weitere Hauptwerke sind

„Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (1960/61), „Arbeiterklasse und Intelligenz“ (1973) und das Bauernkriegspanorama

in Frankenhausen

(1976 bis 1987).

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false