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Farocki

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Harun Farocki: Von ’68 lernen heißt sehen lernen

Harun Farocki studierte mit Holger Meins und kämpft mit den Mitteln des Films. Sein Werk erscheint jetzt auf DVD. Ein Interview mit dem Regisseur.

Harun Farocki, 1944 in Nový Jicín geboren, ist einer der wichtigsten Essayfilmer Deutschlands. In seinen Arbeiten befasst er sich mit dem Akt des Sehens als politischem Vorgang. So beschäftigt er sich mit Überwachungssystemen oder analysiert die Mechanismen des Kapitalismus. Farocki studierte von 1966 bis 1968 im legendären ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und war von 1974 bis 1984 Redakteur der Zeitschrift Filmkritik. Wichtige Filme: „Etwas wird sichtbar“ (1982), „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“ (1988), „Gefängnisbilder“ (2000). Bei Absolut Medien erscheint nun eine DVD-Box mit 20 Filmen von 1967 bis 2005 (69,90 €).

Herr Farocki, als Ohnesorg 1967 erschossen wurde, waren Sie Student in Berlin ...

... obwohl ich zu der Zeit nicht in Berlin war, sondern in Lateinamerika, wo ich dann in der Bibliothek in Bogota alle Zeitungen gelesen habe, die ich kriegen konnte.

Glauben Sie, dass die nachträgliche Enttarnung von Karl-Heinz Kurras als Stasi-Spitzel auch den Gründungsmythos der 68er-Bewegung beschädigt?

Wer Kurras war, ist ja die eine Sache. Aber es hat ja nicht der Schuss selbst oder seine Intention die wirkliche Empörung ausgelöst. Außer ein paar Wahnsinnigen hat ja niemand geglaubt, dass dieser Schuss auf Ohnesorg ein systematischer Versuch der Obrigkeit war, alle Oppositionellen zu liquidieren. Was damals so eklatant war: Wie aus einer winzigen Esoterikerbewegung – die Antivietnamkriegsbewegung bestand ja in Deutschland aus ein paar tausend SDSlern – eine echte Volksbewegung wurde, diese gesamte neue Linke. Da wurden alle überrannt von Entwicklungen, die keiner vorhergesehen hatte. Wie die Regierung und die Polizei den Tod von Ohnesorg runterspielten und zu verstecken versuchten, dieses erstaunliche Maß an Korruptheit, das hat zu der Empörung geführt.

1967 entstand Ihr Kurzfilm „Die Worte des Vorsitzenden“, der um den Widerspruch kreist, wie aus Worten Waffen werden sollen – und zu Waffen aus Papier werden.

Wenn Waffen aus Papier sind, heißt das nicht, dass sie wirkungslos wären. Die Deutung kann ja auch sein, dass man etwa den Schah besser mit einem Papierpfeil angreift als mit echten Steinen. Aber die meisten publizistischen Taten, und auch das Filmemachen, sind eben nicht wirklich Massenkommunikation, sondern eher ein symbolischer Akt.

Aber Sie und Ihre Kommilitonen an der Berliner Filmhochschule DFFB hatten damals den Anspruch, in der Arbeit so radikal wie möglich zu sein, oder?

Wir hatten all diese holistischen Vorstellungen: Die ganze Welt müsste sich anders organisieren, die Wahrheit müsste anders gesucht und verbreitet werden, in Anlehnung an dieses etwas idealisierte Beispiel aus der Arbeiterbewegung, wo es ja einen riesigen Schulungsbetrieb gab. Deswegen machten wir auch Lehrfilme der politischen Ökonomie im Glauben, dass bald in ganz Deutschland kein Mensch mehr fernsehen würde, sondern alle abends in irgendwelche volkshochschulähnlichen Kurse gehen (lacht).

Erinnern Sie sich an die Reaktionen auf Ihren Film „NICHT löschbares Feuer“, in dem Sie sich zu Beginn eine Zigarette auf der Hand ausdrücken, um einen Begriff von der Wirkung von Napalm zu geben?

Ich weiß noch, dass er auf der Filmwoche in Mannheim nicht gut wegkam, und dann, ein paar Monate später, war der Film plötzlich – wenn auch in kleinem Maßstab – unheimlich anerkannt, der wurde quasi das erste Filmkunstwerk der Bewegung. So wie es Ton Stein Scherben 1972 gelang, mit „Keine Macht für niemand!“ sozusagen die Hymne der Bewegung zu schreiben. Das ist ja auch wieder etwas Symbolisches: Wenn es einer Bewegung gelingt, gesellschaftlich etwas weiter vorzudringen, braucht man auch diese Totems. Peter Schneider erreichte das mit seinem „Lenz“, der wurde das repräsentative Apo-Literaturstück.

Weshalb gibt es bis heute immer wieder Anläufe, die 68er-Errungenschaften zu relativieren?

Erst mal ärgert es die nachkommenden Generationen, dass dieses merkwürdige Datum immer noch das Kulturdatum der Bundesrepublik ist. Darum hat die „FAZ“ ja gehofft, 1989 würde jetzt das neue ’68. Hat aber nicht geklappt. Und dann, denke ich, hat Gerd Koenen in seinem Buch „Das rote Jahrzehnt“ recht, wenn er sagt, dass die klügsten Leute zehn Jahre gearbeitet haben wie die Verrückten, und dann ist kein Satz haltbar – die Bilanz ist schon erschreckend.

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich bin mit 18 von zu Hause abgehauen und habe – nicht als Hippie, das hieß damals noch Beatnik – Traditionsbruch versucht, ging aber gleichzeitig in West-Berlin zur Abendschule und machte mein Abitur nach, daran merkte ich schon, dass es nicht so weit her war mit meinem Umsturzwillen. Dann hatte ich mich gerade so weit resozialisiert, dass ich halb arbeitsfähig geworden war, und schon kam diese Gesamtbewegung und warf wieder alles um. Was überhaupt nicht in meinen Lebensplan passte, weil ja meine Töchter 1968 geboren wurden.

Kam auch deshalb der Weg der Gewalt für Sie nicht in Frage?

Sicher auch. Aber ich glaube, von mir hätte man ohnehin keine Gewalt befürchten müssen, weil ich unbedingt Künstler werden wollte. Selbst wenn ich damals so tat, als sei das eine offene Wahl, hatte ich mich in Wirklichkeit längst biografisch als Filmemacher konditioniert.

Statt sich wie Ihr Kommilitone Holger Meins der RAF anzuschließen, begannen Sie, als Dokumentarist und Essayist an einer „Ästhetik des Widerstands“ zu arbeiten, wie es mal in einer Laudatio hieß.

Das ist vielleicht hochgegriffen. Aber ich und andere, wie Hartmut Bitomsky, glaubten, dass Formbestimmung, Formregeln eine längere Geschichte haben und nicht nur aus gegenwärtigen Absichten herzuleiten sind. Enzensberger schrieb damals: Die größte gegenwärtige Literatur ist Ulrike Meinhofs Kolumne, das fanden wir eben nicht. Darum traten wir auch, etwas provokativ, für den amerikanischen Western ein, und gegen den Italo-Western. Kulturelle Traditionen sind prägender und tiefer gehend, als man sich das in Umbruchzeiten vorstellt.

Sie richten sich gegen „Bilderplattitüden“, etwa auch bei Konzentrationslagern, wie man sie aus gängigen Fernsehdokumentationen kennt. Dagegen setzen Sie eine Aufnahme von Auschwitz aus 7000 Metern Höhe. Was erzählt so ein Bild?

Es gibt so eine naive, vielleicht auch unverschämte Ins-Bild-Setzung, die mit den Lagern passiert. Im zivilen Leben wird ja die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn jemand ermordet wird. Ist ja nicht so, dass jeder die Bilder des Leichnams sehen soll. Anscheinend werden in der Annäherung an die KZs die jüdischen Toten nicht als unsere Toten aufgefasst, denn so verfährt man sonst nur mit feindlichen Toten, es werden nie Bilder der eigenen gezeigt. Da fehlen Achtung und Genauigkeit. Vielleicht ist ein Bild, wo einzelne Menschen nur als Punkte zu erkennen sind, viel imaginativer.

Immer wieder beschäftigen Sie sich mit Verkaufsstrategien: mit der Planung von Shopping-Malls in „Die Schöpfer der Einkaufswelten“, mit einer zähen Verhandlung um Risikokapital in „Nicht ohne Risiko“. Woher rührt dieses Interesse?

In „Nicht ohne Risiko“ zeige ich eine Verhandlung. Denn ich hatte noch nie eine echte Verhandlung im Fernsehen oder im Kino gesehen. Dabei ist die Verhandlung die Essenz des Bürolebens. Der Beischlaf wird öfter gezeigt – wenn über Geld geredet wird, gehen die Türen doch immer zu. Und dabei sind Marktfragen die Hauptantriebskraft unserer Gesellschaft.

Ihr ehemaliger Schüler Christian Petzold, an dessen Drehbüchern Sie oft mitarbeiten, sagte mal, der Mainstream erzähle gegenwärtig oft mehr über die Träume einer Gesellschaft.

Das glaube ich auch. Die Position des opponierenden oder selbstständigen Autors wird geschwächt dadurch, dass der sogenannte Mainstream so stark ist. Das fängt schon damit an, dass der Alltag nicht doof ist: In jedem Milchladen, oder sagen wir Schnapsladen, werden Ideen zur Krise geäußert, da kommt man sich zu Recht als Autor nicht klüger vor. Es ist nicht so wie 1967, als wir dachten: Die anderen blicken alle nicht durch, die sind von Springer verblödet (lacht).

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

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