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Der Biograf und sein Gegenstand. Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) mit dem Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen).

© x-filme

"Ich und Kaminski" von Wolfgang Becker: Der eitle Journalist und der alte Maler

"Ich und Kaminski": Wolfgang Beckers dreht eine brillante und böse Mediensatire und arbeitet zwölf Jahre nach seinem Welterfolg mit „Good Bye, Lenin!“ wieder mit Daniel Brühl zusammen.

Es passiert nicht oft, dass in der Besetzungsliste eines frisch ins Kino kommenden Films hinter einem Namen ein Kreuz angefügt werden muss. Nach dem Dreh von „Ich und Kaminski“ sind gleich zwei hochbetagte Darsteller gestorben. Verglichen mit dem titelgebenden Ich namens Sebastian Zöllner, das von Daniel Brühl (37) verkörpert wird, und seinem Gegenpart Manuel Kaminski, den Jesper Christensen (67) spielt, hatten Anne Morneweg und Jacques Herlin kleine Rollen, noch dazu in Rückblenden. Doch ihre Sätze – sie stehen schon so in Daniel Kehlmanns gleichnamiger Romanvorlage – führen unmittelbar in die stille Mitte des reichlich stürmischen Geschehens

Anne Morneweg, bei den Dreharbeiten im Sommer 2013 achtzig Jahre alt, spielt ein einstiges Modell des Malers Kaminski, das dem ehrgeizigen jungen Journalisten Zöllner bei der Recherche zu seiner Malerbiografie einen wertvollen Hinweis gibt. Wesentlich aber ist ihr melancholischer Seitengedanke, wonach „wir nicht wussten, dass man so alt werden kann“. Morneweg ist als Schauspielerin nicht weiter bekannt. Wohl aber widmete ihr die „Süddeutsche Zeitung“ vor einigen Jahren eine Seite Drei, nachdem sie ihrem todkranken Mann, dem Sozialwissenschaftler und Publizisten Claus Koch, zusammen mit einem befreundeten Arzt beim Sterben geholfen hatte

Jacques Herlin, beim „Kaminski“-Dreh 85, hat im französischen Kino und Fernsehen unzählige Nebenrollen gespielt, eine seiner letzten war die eines Benediktinermönchs in einem algerischen Kloster – in Xavier Beauvois’ meisterlichem Spielfilm „Von Menschen und Göttern“ (2010). In „Kaminski und ich“ erinnert er, ein winziger und magerer Galerist mit gewaltigem Appetit auf gutes Essen, Sebastian Zöllner an eine falsche Fährte. Die Fragen nach dem erotischen Vorleben des Malers, bezogen besonders auf eine kurzzeitige Muse namens Thérèse, beantwortet er wegwerfend so: „Das sind doch alles abgeschlossene Geschichten!“ Und fügt an: „In Wirklichkeit gibt es uns nicht mehr. Alter ist etwas Absurdes. Man ist da und auch nicht. Wie ein Geist.“

Kaminski hat sich in die Schweizer Berge zurückgezogen wie einst Rilke

Der freundlich aufmerksame Blick Herlins aus funkelnd hellen Augen: ein großer Moment dieses an tragischen, treffenden, lustigen, auch ein paar albernen Momenten reichen Films. Zugleich kontrastiert er gültig mit der graublassen, wie nebelüberzogenen Iris und Pupille des Malers Kaminski, der als Erblindender Mitte der sechziger Jahre Weltruhm erlangte und sich bald darauf in ein Haus in den Schweizer Bergen zurückzog wie einst Rainer Maria Rilke in sein Schlösschen von Muzot. Nur dass Kaminski, Schüler Matisses und Zeitgenosse Andy Warhols, nach der aus mehreren großformatigen Ölgemälden bestehenden „Blinden Serie“, in der er seine fortschreitende Krankheit eindrucksvoll festhielt, ganz mit dem Arbeiten aufhörte. Ein eigensinniger, ja tyrannischer Greis. Ein Ekel, das seiner Umgebung auf die Nerven geht. Und doch: eine Legende.

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Als Sebastian Zöllner, der eitle Mitarbeiter „mehrerer großer Zeitungen“, mit dem tollen Recherchematerial in der Tasche eines schönen Sommertags wie eine Karikatur von Büchners Lenz „im Gebirg“ zum Kaminski-Hochsitz hinaufkraxelt, begegnet er einem, der scheinbar nur noch dem Tod entgegenlebt. Was Zöllners Hoffnungen unbedingt entspricht: Stirbt Kaminski möglichst kurz vor Drucklegung der epochalen Biografie, ist der Bestseller perfekt! Ja, Zöllner ist so laut wie dumm, so tölpelhaft wie tolldreist, ja, Buch und Film sind eine immer wieder vergnügliche Medien- und Kunstbetriebssatire. Schon früh aber sickert jenes Andere ein, auf dem auch die genannten Sätze der fabelhaften Figuranten Herlin und Morneweg gedeihen: der erbarmungslose Blick des Alters auf sich selbst. Und, besonders erbarmungslos, der alter Künstler: Vom Unbekanntsein über die Berühmtheit geht es unweigerlich ins Vergessenwerden – und das, strafverschärfend, zu Lebzeiten.

In Belgien am Meer kommt es zum grotesk implodierenden Showdown

Für die Berühmtheit Kaminskis inszeniert der Film einen Prolog aus Fotos und Statements prominenter Talking Heads vergangener Jahrzehnte, der als montierter und collagierter Kurzfilm schon grandios für sich funktioniert. Und für das mehrdimensionale Vergessensein gibt es eine späte, sonnige, zugleich total schmerzhafte Szene, in der Geraldine Chaplin, auch sie inzwischen 71, ein fröhlich zerstreutes Monster gibt. Zöllner, eigensüchtig und sensationslüstern wie immer, hat den Grantler Kaminski zu einer Autoreise quer durch Frankreich bis nach Belgien verführt, und in einem netten Häuschen am Meer kommt es zu einem unvergesslichen, grotesk implodierenden Showdown. Eine Gegenüberstellung beim Kaffeetrinken, eine Konfrontation mit Jugend und Gedächtnis, eine letzte grässliche Ernüchterung.

Das muss man erst mal bringen, so einen Film, der sich – gut, es gibt eine finale Streicheleinheit – vor keiner Entzauberung fürchtet. Beliebt jedenfalls will sich Wolfgang Becker, zwölf Jahre nach seinem Hit „Good Bye, Lenin!“, damit bestimmt nicht machen. Schon heißt es allenthalben, „Ich und Kaminski“, eine famose, wenn auch in ihrer Länge eine Spur zu detailgetreue Literaturverfilmung, werde es beim Publikum schwer haben, weil es an Identifikationsfiguren fehle. Seit wann aber ist das ein Kriterium für Qualität – abseits des im Kern stupide linearen und zu allen Epochen unkaputtbaren Heldenfilms, ob analog oder digital? Auch außerhalb des Kinos könnte man angesichts solcher Kategorien den Gesamtkulturladen glatt dichtmachen, bis hin zum Großmaul Faust, der aus purer Wissbegier seine Seele dem – natürlich diabolischen – Mephisto verkauft.

Ergiebiger ist da die Gegenprobe der negativen Identifikation. Dieser Zöllner, den Daniel Brühl köstlich wieselig schmierig mit einer gewissen Restempfindlichkeit fürs Wesentliche spielt, ist ein Medien-Geck, wie er – Hand aufs Notebook – in wohl jedem erfolgsorientierten (Kultur-)Journalisten steckt. Auch die im Film karikierten Kunstbetriebsnudeln dürften die eine oder andere Entsprechung in der Wirklichkeit finden. Die mögliche Folge für „Ich und Kaminski“, ungeachtet brillanter Schauspielerleistungen bis hin in die feinste Nebenrolle, ungeachtet eines sorgfältigen Settings, ungeachtet elegantester Spielereien bei der Verwandlung stiller Gemälde in bewegte Bilder, sogar noch im Abspann? Nennen wir sie ein – zumindest mediales – Rezeptionsproblem.

Wie humor- und liebevoll Wolfgang Becker und seine Produktionsfirma X-Filme den Mikrokosmos dieses Films inszeniert haben, lässt sich übrigens in einer Ausstellung (nach-)betrachten, die bis zum 24. September an der Freitreppe des Bikini-Hauses gegenüber der Berliner Gedächtniskirche zu sehen ist. Die „Kaminski Retrospektive“ zeigt die eindrucksvollen und weniger eindrucksvollen Bilder des großen Unbekannten sowie bedeutsame Fotos aus seinem Leben, zitiert aus einem Nachruf 1995 in „Le Monde“ und bietet, falls Staunen und Sprachlosigkeit des Besuchers überhand nehmen sollten, zum Kaminski-Werk auf großformatigen Tafeln interpretatorische und kuratorische Hilfestellung: „Es war sein Sehen als ein Kaleidoskop der Gegenwart, das der Moderne zu ihrem umfassenden Ausdruck verhalf.“

Besser hätte es auch ein Sebastian Zöllner nicht ausdrücken können.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Blauer Stern Pankow, Cinemaxx, Delphi, FaF, Kant, Kulturbrauerei, Titania Palast, Yorck, Zoo Palast; englisch untertitelte Fassung in den Hackeschen Höfen

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