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Der Blick in den Himmel: statt Inspiration sieht man Bomber. Stempelbild des saudischen Künstlers Abdulnasser Gharem aus der Ausstellung "Ricochet".

© Abdulnasser Gharem

Interview mit Abdulnasser Gharem: Kunst als Alternative zum Terrorismus

Kunst statt Dschihad? Freiräume in der Diktatur? Ein Interview mit dem saudischen Künstler Adbulnasser Gharem.

Herr Gharem, in Saudi-Arabien können Sie ihre Kunst nicht zeigen. Im Westen und in den Nachbarländern schon. Oft sieht man filigrane, ornamentale Bilder von Ihnen, die mit Stempeln gemacht sind. Was bedeutet das?
Ich war 23 Jahre lang beim saudischen Militär, als Oberstleutnant nutzte ich sehr viele Stempel. Stempel sind Kontrollinstrumente. Sie sind wie Waffen, die den Willen, die Ziele und die Kreativität von Menschen zerstören. Ich begann Stempel für meine Bilder zu verwenden, um eigene Themen anzusprechen. Ich habe die Bilder auch schon in Berlin gezeigt. Die Menschen können sich damit identifizieren, sie kennen das Problem der Bürokratie.

Wie ist die Situation für Künstler in Saudi-Arabien?
Kunst wird hier nicht ernst genommen. Es gibt keine Kunstausbildung in der Schule, keine Hochschulen, kaum Galerien, sogar Bücher sind ein Problem. Wenn sie hier in einen Buchladen gehen, ist er voll mit religiöser Literatur, selbst wenn sie sich nicht dafür interessieren - es gibt keine Alternative. Außerdem dauert es Monate bis man die Erlaubnis bekommt eine Ausstellung zu machen. Und wenn die Genehmigung da ist, wird ein Großteil der Werke abgelehnt. Es macht keinen Sinn hier eine Ausstellung auf die Beine zu stellen. Sie verschwenden nur Zeit und Energie.

Bilderverbot: Schaufensterpuppen mit Kopf dürfen in Saudi-Arabien nicht verwendet werden. Der Künstler Abdulnasser Gharem schmuggelte für diese Aktzeichen-Aktion ein Plastik-Modell ins Land.
Bilderverbot: Schaufensterpuppen mit Kopf dürfen in Saudi-Arabien nicht verwendet werden. Der Künstler Abdulnasser Gharem schmuggelte für diese Aktzeichen-Aktion ein Plastik-Modell ins Land.

© Gharem Studio

Gibt es Kunstausstellungen in Riad?
Nein, hier gibt es nichts. Zeitgenössische, kritische Kunst findet hier nicht statt.

Was kann auswärtige Kulturpolitik Ihrer Meinung nach tun?
Wir brauchen Austausch, ausländische Künstler, die zu uns kommen und saudische Künstler, die ins Ausland gehen. Wir müssen die Menschen miteinander ins Gespräch bringen, direkt, ohne dass Politik und Medien dazwischen stehen. Die Vorstellungen, die die Deutschen von Saudi-Arabien haben, stammen aus den Medien. Unsere Bilder von Deutschland kommen aus der Moschee. Das ist schrecklich. Die Menschen müssen sich von Land zu Land, von Kultur zu Kultur bewegen können, ganz real, nur so können sie lernen, sich zu verstehen.

Sie haben in Riad ein Studio eingerichtet, in dem sie junge Künstler ausbilden. Wie kann man sich das vorstellen?
Es hat ewig gedauert, bis wir passende Räume gefunden haben. Im Normalfall kann man hier kein Atelier einrichten, weil die Nachbarn das nicht tolerieren. Unser Haus steht allein, es ist eine alte Villa mit großem Garten. Wir haben ein Fotostudio, Gruppenräume, eine Bibliothek, ein Modeatelier, einen Raum für Konzerte. Montags kommen die Modeschüler, dienstags die Musiker. Wir haben auch elf Studenten, die täglich kommen. Die haben sich mittlerweile als Künstler etabliert und wir stellen gemeinsam aus.

Was sind die Themen der jungen Künstler?
Die Position von Frauen, Kontrolle durch Religion, Bürokratie, wie die Medien uns repräsentieren, Wohlstand ohne Wachstum, Ignoranz in der Gesellschaft, philosophische Fragen. Das wichtigste bei allen Themen ist, dass wir unsere eigenen Schlüsse ziehen.

Es heißt, Sie sehen Kunst als Alternative zum Terrorismus.
Ich glaube, dass man nur mit Kunst die dunklen Stellen im kollektiven Bewusstsein erreichen kann. Mit Kunst kann man Vorstellungen, Ideen und Konzepte verändern. Junge Menschen haben viel Energie, und sie wissen nicht, wie sie diese Energie einsetzen sollen. Wenn sie keine Möglichkeit haben, sich auszudrücken und Gedanken frei zu äußern, wenden sie sich geheimen Organisationen zu. Bei uns im Studio können sie zumindest frei sprechen.

Der saudische Künstler Abdulnasser Gharem.
Der saudische Künstler Abdulnasser Gharem.

© Abdulnasser Gharem

Wie kommen Sie mit den jungen Leuten in Kontakt?
Das läuft alles über soziale Medien wie Facebook, Twitter, Snapchat. So tauschen wir uns hier aus. Mittlerweile weiß auch die Regierung über das Studio Bescheid. Und sie tolerieren es. Ich möchte den Beweis liefern, dass man die Jugendlichen damit erreichen kann. Mein Ziel ist es, solche Orte auch in vielen anderen Städten in Saudi-Arabien zu etablieren. Ich habe nichts gegen Museen. Aber im Moment brauchen wir kein Museum, sondern Räume, wo junge Frauen und Männer sich austauschen, gemeinsam Projekte entwickeln, diskutieren können. Für Sie in Deutschland mag das trivial klingen, aber das gibt es hier nicht.

Wie sind Sie selbst zur Kunst gekommen?
Ich war schon in der Schule gut im Zeichnen. Während meiner Zeit in der Armee hatte ich irgendwann das Gefühl, etwas sagen, mich als Individuum ausdrücken zu wollen. Ich fand, Kunst sei die beste Möglichkeit dafür. Die saudische Kultur ist geprägt von der Schrift, vom Koran, von der Sunna. Die Menschen hier sind nicht an Bilder gewöhnt. Man kann große Probleme bekommen, wenn man seine Meinung in einem Text ausdrückt, für Bilder oder Videos kann man nicht so leicht verurteilt werden. Sie sind fiktional, die Interpretation vielschichtig.

Arbeiten Sie noch beim Militär?
Nein, ich habe im vergangenen Jahr gekündigt.

Sie arbeiten oft performativ, draußen auf den Straßen. Sie machten Installationen in den Abrisshäusern der Bewohner von Jizan, eine der ärmsten Gegenden Saudi Arabiens. Im Südwesten des Landes haben sie eine seit vielen Jahren zerstörte Brücke über und über mit dem Schriftzug „al-siraat“ (der Weg) gesprüht. Wie hat das Publikum auf diese Aktionen reagiert?
Bei meinen Performances haben die Menschen viele Bilder gemacht und diese ins Internet gestellt. Die Aufmerksamkeit kam so viel schneller als es in einer Galerie möglich gewesen wäre. Galerien wenden sich nur an ein bestimmtes Publikum. Über eine Performance auf der Straße erreiche ich ganz andere Bevölkerungsschichten und wenn diese die Bilder im Internet verbreiten, zieht es nochmal andere Kreise. Das war ein guter Weg, um mit der Kunst zu beginnen. Die ersten Performances machte ich 2003. Die Menschen erinnern sich bis heute an diese Arbeiten.

Sie machen nicht nur Kunstwerke, sondern viel mehr. Was tun Sie?
Wir laden Wissenschaftler aus dem Ausland ein, die Vorträge halten. Wir zeigen saudische Filme, z.B. in den ausländischen Botschaften. Es gibt hier kein Kino. Im Moment bereiten wir auch eine einjährige Tour durch Amerika vor. Das ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür. Es gibt so viele falsche Informationen und Missverständnisse über das, was im Mittleren Osten passiert. In diesen Zeiten müssen Menschen direkt miteinander sprechen, ohne Politik, ohne Medien. In Amerika planen wir Ausstellungen in Colleges und in Museen, auch Diskussionsveranstaltungen.

Welche Künstler kommen mit nach Amerika?
Das bin nicht nur ich alleine. In Saudi-Arabien gibt es eine große YouTube-Bewegung. Die Menschen haben keine andere Möglichkeit, als ihre Kunst im Internet zu zeigen. Auf die Amerika-Tour kommen Internet-Künstler aus ganz Saudi-Arabien mit, Künstler aus der jungen und der älteren Generation und viele Frauen. Weibliche Künstler haben das größte Gewicht in der Show. Wir brauchen das. Saudische Frauen machen gute Kunst, sie sind klug, aber es ist Ihnen unmöglich sich in Ihrer Heimat zu präsentieren.

Abdulnasser Gharems Skulptur "Message/Messenger" von 2011 brachte mehr als 800.000 Dollar bei einer Auktion.
Abdulnasser Gharems Skulptur "Message/Messenger" von 2011 brachte mehr als 800.000 Dollar bei einer Auktion.

© Abdulnasser Gharem

Wie organisieren Sie dieses Austauschprojekt?
Wir werden von den Botschaften verschiedener Ländern unterstützt, der amerikanischen oder auch der deutschen Botschaft.  Sie unterstützen uns z.B. in Bezug auf die Visa. Es ist viel zu tun, ich arbeite jetzt seit acht Monaten an dieser Show.

Sie sind auch auf dem Kunstmarkt sehr erfolgreich. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Meine erste Arbeit „Message/Messenger“ wurde bei einer Auktion in Dubai für 842.000 Dollar verkauft. Ich habe das Geld für ein Weiterbildungsprogramm für saudische junge Frauen und Männer gespendet. Die Einnahmen aus dem Kunstmarkt geben mir die Freiheit, meine Ideen umzusetzen, meine Mission ist es, junge Künstler zu unterstützen.  Es gibt viel Kreativität in diesem Land. Kunst könnte ihnen Hoffnung geben.

Forum „Menschen Bewegen“, 13.-15.4., kostenlose Anmeldung und Programm: www.menschenbewegen2016.de

Weitere Artikel zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite.

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