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Oberton-Crossover. Probe mit Mitgliedern des Urban-Yodeling-Chors.

© Kai-Uwe Heinrich

Jodelei: Holleri du dödel di

Sie sind zwischen 30 und Mitte 60, ein paar Schweizer und Bayern sind darunter, aber auch viele aus Regionen jenseits des Weißwurscht-Äquators. Trampolinspringen mit der Stimme: Ingrid Hammer gibt in Berlin Jodelunterricht. Jetzt tritt ihre Gruppe beim Naturtonfestival auf.

An diesem Abend gibt es einen Raucheggischen und einen Rinnegger, einen Summersberger, einen Muotathaler und ein Appenzeller Zäuerli. Für die Stimmbänder und für die Nachbarschaft. Die Männer und Frauen – mehr Frauen – bilden einen Kreis und stoßen aus ihren Kehlen urige Töne. Sie jodeln. Mitten in einem Schöneberger Klassenzimmer, ihrem Probenraum. Die Fenster sind offen, wahrscheinlich hört man die starken Stimmen über alle Straßentäler und Dachgebirge hinweg.

Die Gruppe probt für ihren großen Auftritt beim 1. Berliner Naturtonfestival (Sonntag, 29.5., 19 Uhr, Zwölf-Apostel- Kirche). Da kommen die Schweizer Kollegen von Natur Pur in die deutsche Hauptstadt. Sie stammen aus dem Muotathal, einer Region, in der das Jodeln noch auf eine sehr urtümliche Weise gepflegt wird. Selbst den übrigen Schweizern klingt das etwas schräg. Außerdem tritt das Berliner Alphornorchester zusammen mit dem Basler Balthasar Streiff auf, der für seine Experimente mit dem Instrument bekannt wurde. Es werden Workshops und ein Symposium angeboten. In der Walpurgisnacht, also in der Nacht zum 1. Mai, trifft man sich zum gemeinsamen Aufstieg auf den Spandauer Hahneberg. Aber vor allem geht es darum, die Jodel-Szene Berlins vorzustellen. Und die ist vielfältig.

Eine ihrer Protagonistinnen ist Ingrid Hammer, jene Frau, die im Kreis ihres Urban-Yodeling-Chors steht und Sätze sagt wie: „Eine 70 Jahre alte Gesangslehrerin hat mal zu mir gesagt, Sie dürfen ja aus allen Löchern singen, Frau Hammer, nur nicht aus dem Mund.“ Oh ja, Jodeln ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Töne klingen, als würden sie vor den Mündern vor sich hergetragen. „Wenn’s in den Ohren kitzelt, dann ist es richtig“, sagt Ingrid Hammer, eine Grazerin, die seit 30 Jahren in Berlin lebt und sich ihren Dialekt bewahrt hat. Wenn sie selbst in den mehrstimmigen Gesang mit Vorjodlern, Haupt- und Nebenstimme einsetzt, dann wirft sie ihren Kopf nach hinten, die Nase zieht sich ein bisschen kraus und die Füße stampfen auf. Dann schaukelt ihr langer Zopf. Hammer leitet nicht nur den Chor, sie gibt Kurse, jodelt im Trio La vache qui crie und der Formation Transalpin.

Alle werden beim Naturtonfestival auftreten. Als Naturtöne bezeichnet man Obertöne, die über jedem Grundton mitschwingen. Legt man sie in eine Reihe hintereinander, ergibt sich daraus die Naturtonreihe. Alphörner klingen naturtönig, Jodler können das auch. Für europäische Ohren hörst sich das häufig ziemlich schräg an. Wir sind an die wohltemperierte Stimmung gewöhnt, wie sie etwa das Klavier vorgibt.

Ingrid Hammer selbst hat das Jodeln von einer mongolischen Sängerin gelernt. Dabei gibt es in der Familie sogar professionelle Jodler, die Laufnitztaler Sänger. Aber erst aus der Distanz, auf der Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksformen kehrte die Regisseurin und Schauspielerin zurück zu ihren Wurzeln. Inzwischen ist sie eine gefragte Lehrerin. So unterrichtet sie unter anderem am Konservatorium in Winterthur.

„Bitte das ‚I’ weniger schrill singen“, fordert Hammer ihre Gruppe auf, „etwas steirischer.“ Sie meint: dunkler, erdiger. Wenn es ums Jodelnlernen geht, ist die Österreicherin sehr genau, da müssen die Nuancen schon authentisch sein. Viele Stücke entnimmt sie einem Gesangsbuch des Musikethnologen Josef Pommer, der Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals die vielen mündlich überlieferten „444 Jodler und Juchezer aus der Steiermark und dem Steirisch-Österreichischen Grenzgebiete“ niedergeschrieben hatte. Mit La vache qui crie und Transalpin pflegt Ingrid Hammer dagegen Crossover. Da gibt es elektronische Loops, gehackstückelte Dialekt-Phrasen und Ausflüge in alle möglichen Regionen der Welt. Denn gejodelt wird seit Urzeiten nicht nur im Alpenraum. Berge braucht es dazu nicht. Nur viele Vokale, zwischen denen man den Überschlag von Kopf- und Bruststimme macht. Ingrid Hammer vergleicht das mit Trampolinspringen.

„Joik“, so heißt der Jodler bei den Samen, der Urbevölkerung Lapplands: „Hej jo lei la le jo la“, singt der Urban-Yodeling-Chor in Schöneberg. Es klingt heiterer und knatschiger als die alpenländischen Jodler – und wie bei allen Obertongesängen seltsam berührend archaisch. Was man mit der Stimme alles machen kann! In Zentralafrika jodeln die Pygmäen vor der Jagd und vor dem Honigsammeln, um die Geister der Tiere und Insekten zu besänftigen. In Palästina wird bei Hochzeitsvorbereitungen eine Art Jodler angestimmt, während die Braut angekleidet wird und der Bräutigam rasiert. Auf Hawaii stimmen junge Männer unter den Fenstern ihrer Angebeteten einen Obertongesang an, so lange, bis ihnen geöffnet wird.

Auch in Georgien wird gejodelt, dort nennt man das Krimantschuli-Gesänge. „In Georgien bedeutet Singen immer Gemeinschaft“, erklärt Ingrid Hammer. Zum Beispiel sängen die Männer häufig mit den Armen ineinander gehakt, so spüren sie die Körper der anderen. Das Jodeln versetzt den Körper in besondere Schwingung. Das merkt man auch im Berliner Probenraum, bei manchen Klängen vibrieren sogar die Stühle im Raum. Was für eine Power. Ingrid Hammer würde gerne einmal in einer wissenschaftlichen Studie untersuchen lassen, was für Hirnströme das Jodeln auslöst. Sie ist sich nämlich sicher: „Jodeln euphorisiert.“

Das ist es auch, was die meisten Berliner Jodler hierher zieht. Sie sind zwischen 30 und Mitte 60, ein paar Schweizer und Bayern sind darunter, aber auch viele, die aus Regionen jenseits des Weißwurscht-Äquators stammen und Jodeln früher einfach nur volkstümelnd fanden, Alm-Öhi-Kitsch. Einige haben den Schweizer Dokumentarfilm „Heimatklänge“ gesehen, in dem der Regisseur Stefan Schwietert drei traditionelle und experimentelle Stimmkünstler porträtiert. Sie sagen, das habe alles verändert. „Jodeln ist einfach entspannend!“, „Jodeln macht gute Laune!“, „Der ganze Körper wird gelüftet!“ Eine Frau fügt noch hinzu: „Da habe ich was Eigenes. Da habe ich mein Jodel-Diplom.“ Frau Hoppenstedt lässt grüßen. Alle lachen. Bevor mal wieder jemand einen doofen Witz mit Loriot und seiner Jodel-Schule macht („Holleri du dödel di / Diri diri dödel du“) übernimmt das die Gruppe schon selbst.

1. Berliner Naturtonfestival. Fr, 27.4. bis Mo, 30.4., Infos: www.transalpin-web.de oder www.berliner-alphornorchester.de

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