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Schöpft aus ihren Erinnerungen: Ziska Riemann.

© Uwe Schwarze

Perspektive: Endlich erwachsen

Comiczeichnerin, Musikerin, Filmemacherin: Ziska Riemann debütiert mit "Lollipop Monster" in der PERSPEKTIVE.

Alles eine Frage des Brunnens. Hier ist er aus Plastik, plätschert leise und steht auf der Fensterbank. Selbstredend weit genug von der Tür zum Flur entfernt, so dass das positive Qi nicht hinausströmen und kein Feng-Shui-Experte sich darob die Haare raufen kann. Die pummelige Figur, die oben auf dem Brunnen lächelnd die Beine verknotet und Geldkrüge ins Wasser leert, ist Lakshmi, die Hindu-Göttin für Glück und Reichtum.

Nicht, dass Ziska Riemann tatsächlich daran glaubt. Aber schaden kann es ja nicht. „Es heißt doch: Geld muss fließen“, sagt die 39-Jährige schmunzelnd über den Glücksbrunnen, den sie im Verdacht hat, etwas mit ihrem Erfolg zu tun zu haben. Zumindest war einmal die Pumpe verstopft, da lief es eine Weile mal schlechter.

Im Moment läuft es wieder spitze. Ziska Riemann, dunkelhaarig und schmal, mit glänzenden Augen und Charlotte-Gainsbourg-Lächeln, Drehbuchautorin, Comiczeichnerin, Musikerin, Ex-Hippiekind, Ex-Treberin-aus-Leidenschaft und Tochter eines freigeistigen Künstlerpaares, hat gerade ihren ersten abendfüllenden Spielfilm als Regisseurin inszeniert. Das Drehbuch hat sie zusammen mit ihrer langjährigen Freundin, der Musikerin und Moderatorin Luci van Org geschrieben. „’Lollipop Monster’ ist ja unsere Geschichte“, sagt Ziska, die Luci – unter deren bürgerlichen Namen – noch aus der Schulzeit kennt.

Es ist eine Geschichte über die Freundschaft zweier Außenseiterinnen, im Film heißen sie Ari und Oona und werden von Jella Haase und Sarah Horváth gespielt. Aris Mutter trägt Blümchenmuster und Zöpfe und behandelt ihre hormongesteuerten Halbwüchsigen wie Kindergartenkids, Oonas Familie besteht aus übertoleranten, drogenaffinen Künstlern. Die beiden aus unterschiedlichen Gründen traumatisierten Mädchen – Selbstmord des Vaters bei Oona, realitätsfremde Mutter bei Ari – finden sich über ihre gemeinsame Vorliebe für eine fiktive deutsche Visual-Trash-Punkband. In einem wilden Pubertäts-Auf-und-Ab schwänzen, rauchen, kichern, weinen und lieben die beiden fortan gemeinsam. Bis zum blutigen Ende in einer Gartenlaube.

„Lollipop Monster“, der mit seinen Comic- und Videoclip-Anleihen und der überzeichneten Coming-of-Age-Story eine Gegenposition zur Kargheit der Berliner Schule einnimmt, hat in der Reihe Perspektive Deutsches Kino Premiere. „Der Film handelt davon, was passiert wäre, wenn Luci und ich die ganze Jugend zusammen verbracht hätten“, erklärt Ziska, während sie in ihrer hellen Schöneberger Wohnung den Tee aufgießt. „Wir haben autobiografische Szenen gesammelt“, und natürlich viel dazuerfunden und dramatisiert. „Aber vor allem geht es um die Sprachlosigkeit in beiden Familien, darum, dass sich die Gefühle einfach entladen müssen.“

„Ich hätte den Film als Teenager geliebt“, sagt Ziska, frei von jeglicher Eitelkeit. Sie hat, sowohl als Comiczeichnerin, die vor allem durch die „Ziska & Seyfried“-Bände bekannt wurde, als auch als Musikerin und Autorin, das Mädchensein nie vergessen. Auch, wenn sie inzwischen schon eine gute Weile erwachsen ist, neben vielen Comicveröffentlichungen eine Heilpraktikerausbildung hinter sich hat, vor mehr als zehn Jahren ein Stipendium der Drehbuchwerkstatt München bekam, den Tankred-Dorst-Preis für ihr Drehbuch „Die Hunde sind schuld“ gleich dazu, und davor bereits einen Preis für ihr allererstes Langfilm-Drehbuch „Ich bin aufgewacht und hab gesehn“.

Jener Zustand zwischen Fisch und Fleisch, dieses streit-, tränen- und emotionsintensive Sich-Loslösen vom Elternhaus, ist längst vorbei. Doch „man schöpft aus den Erinnerungen“, sagt sie und erzählt, wie sie als Jugendliche mal eine Ratte totschlagen musste, weil das Tier sonst elendig verreckt wäre. Das half ihr beim Schreiben am letzten Akt des neuen Films. Auch den „Mann im Baum“ gab es tatsächlich: Der Vater einer Mitschülerin hatte sich direkt neben dem Schulhof erhängt. Das haben sowohl Ziska als auch Luci mitbekommen – und nie vergessen.

Ziska kocht noch einen Tee, von der Küche aus kann man ins Büro schauen, wo ihr Freund, ein Musikredakteur und Produzent, am Rechner arbeitet. Man glaubt Ziska, dass sie sich aus purer Freude am Erinnern, am Kreieren und Erzählen in all ihren Disziplinen ausdrückt – und nicht, weil sie nur auf den Erfolg schaut. Auf den kommerziellen schon mal gar nicht. Wozu hat sie schließlich den Brunnen. Jenni Zylka

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