zum Hauptinhalt
Michel Leclerc

© Michaël Crotto

Interview: „Keine Angst vor Vermischung“

Regisseur Michel Leclerc über die Dreharbeiten zu "Der Name der Leute", über Nacktheit auf dem Set und politische Provokationen.

Monsieur Leclerc, der plakativste Effekt Ihres Films ist der freizügige Umgang mit Sexualität und Nacktheit. Fällt ziemlich auf in unserem prüden Zeitalter.

Allerdings. Viele Zuschauer sind schockiert über die Nacktszenen und äußern sich entsprechend in Internet-Kommentaren. Ich finde nichts Schockierendes dran.

In einer Straßenszene zeigt sich Hauptdarstellerin Sara Forestier völlig nackt. Die Passanten waren bestimmt Statisten.

Nein, die waren echt. Wir haben früh am Morgen gedreht und mussten nicht mal die Straße sperren. Erst hatte ich Angst, die Sache führt zu Pöbeleien, aber es kam anders. Wenn man nackt ordentlich flott unterwegs ist, dann sind die Leute bloß baff. Probieren Sie’s aus, gehen Sie mal nackt zur Arbeit! Bei der Metro-Szene hatten wir zwar Statisten im Waggon, aber ein regulärer Zug kam durch, und die Leute reagierten genauso. Die Szene war die erste, die wir überhaupt drehten, Sara wollte es so. Sie meinte, okay, dann haben mich alle schon mal nackt gesehen, das nimmt die Spannung raus. Ihre Leichtigkeit war ansteckend, diese überhaupt nicht vulgäre Abwesenheit von Scham.

Wenn ein Regisseur weibliche Nacktheit zeigt, ist der Macho-Vorwurf nicht weit.

Ich habe den Film mit meiner Lebensgefährtin Baya Kasmi geschrieben, und wenn wir beide den Film zeigen, dann ist davon nie die Rede. Die Bahia, die Sara Forestier spielt, ist eine selbstbewusste Feministin, sie weiß genau, wo sie hin will im Leben. Ich bin selber Feminist, die Bücher von Simone de Beauvoir zum Beispiel haben mich schon früh geprägt.

Bahia schläft mit konservativen Typen, um sie politisch umzudrehen. In den Siebzigern, als es „Make love, not war“ hieß, ging es um Sex zwischen Gleichgesinnten. Hat Ihre Idee nicht etwas Prostitutives?

Nun, wir autorisieren uns zur Fantasie. Zugleich steckt in Bahia, bei allem Spaß an der Komödie, auch Dunkleres. Sie wurde als Kind missbraucht, und aus einem Strafimpuls heraus nennt sie sich selber eine Hure. Dabei macht sie ihre Reize nicht zu Geld. Sie ist eine Idealistin.

In Ihrem Film frappiert die Lust an der Attacke auf politisch korrekte Denkmuster. Zum Beispiel bei den jüdischen und arabischen Wurzeln Ihrer Hauptfiguren: Zwischen Kolonialismus und Schoah scheint es keinen Unterschied zu geben.

Wir setzen das nicht gleich, wir erzählen die Geschichte zweier Familien. Was Baya Kasmi und mich in den letzten Jahren in Frankreich zunehmend nervt, das ist der Wettbewerb, wer mehr gelitten hat: die einen unter dem Algerienkrieg oder die anderen unter der Schoah. Wir halten dagegen: Jeder hat seine Leiden, seine Tabus. Die Nachkommen derer, die tatsächlich gelitten haben, haben aber kein Recht, auf dem Opferstatus zu beharren und daraus Forderungen abzuleiten. Sie sollten lieber mahnen, dass sich solche Sachen nicht wiederholen.

„Die Wurzeln, die sind uns egal“, heißt es einmal. Eine Utopie ?

Der Film ist komplexer. Die Figuren reden durchaus über ihre Wurzeln. Sie pfeifen erst drauf, wenn andere sie als Waffe benutzen und sagen: Du hast dieselben Wurzeln wie ich, also bist du mein Bruder. Das ist dumm und sogar gefährlich.

Ein anderer provokanter Satz lautet: „Die Zukunft gehört den Bastarden.“

Ein Scherz, klar. Aber der Satz bedeutet: Man soll keine Angst haben, sich zu vermischen. In Frankreich lernen wir bereits in der Schule, wir stammen von den Galliern ab. Das ist ein Fantasma. Es gibt heute keinen einzigen Franzosen, dessen Vorfahren ausschließlich Gallier sind.

Sie haben Lionel Jospin, den früheren sozialistischen Premier, für eine ausführliche Szene gewonnen. Wie ging das?

Ganz einfach, wir haben ihm das Drehbuch geschickt. Erst fand er es sehr seltsam und meldete sich sehr knapp vor Drehstart. Als er erkannte, dass wir keinen zynischen Film über die Politik drehen, war er dabei. Dass wir uns lustig machen, störte ihn nicht. Dafür hat er genug Selbstironie.

Man nennt Sie manchmal einen französischen Woody Allen. Sie spielen ziemlich offen mit dieser Referenz.

Woody Allen nimmt eigene Obsessionen und Ängste zum Ausgangspunkt und bricht von dort ins Imaginäre auf. Darin finde ich mich wieder, auch im Humor als Mittel der Distanzierung. Aber ich bin wohl wesentlich politischer als er.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala. Michel Leclerc ist Drehbuchautor und Regisseur. Sein Debüt war die Groteske „J’invente rien“ (2006). Für das Script zu „Der Name der Leute“ erhielt er im Februar einen César.

Zur Startseite