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Klaus Lederer, Berliner Politiker und Parteivorsitzender der Linken.

© Kay Nietfeld/dpa

Kulturpolitik in Berlin: Lederer: Berlin braucht ein eigenständiges Kulturressort

Linken-Vorsitzender Klaus Lederer fordert einen kulturpolitischen Neustart in Berlin. Der muss die Herausforderungen der wachsenden Stadt kulturell gerecht werden.

Seit zehn Jahren wird Kulturpolitik in Berlin vom Regierenden Bürgermeister quasi mitgemacht. Chefsache nennt sich diese kulturelle Nebentätigkeit im Roten Rathaus. Sie hat unbestritten dem Kulturhaushalt gutgetan. Eine Kulturpolitik jedoch, die sich allein auf steigende Etats und die reibungsarme Verwaltung des Status quo konzentriert, wird der Bedeutung von Kultur für die Entwicklung Berlins bei Weitem nicht gerecht. Von fragwürdigen Personalentscheidungen wie an der Volksbühne und dem ebenso kultur- wie stillosen Umgang mit Frank Castorf ganz zu schweigen.

Der letzte Kultursenator mit praktiziertem Gestaltungsanspruch war Thomas Flierl. Unter seiner Regie und gewaltigem Spardruck sind in der ersten rot-roten Legislatur mit der Opernstiftung, dem Gedenkkonzept Berliner Mauer und dem Hebbel am Ufer als Ankerinstitution der freien Szene kulturpolitische Entscheidungen getroffen worden, die Berlins Kulturlandschaft nach wie vor prägen.

Heute stehen wir vor den Herausforderungen einer wachsenden Stadt. Um diesen Herausforderungen auch kulturell gerecht zu werden, braucht es einen kulturpolitischen Neustart. Es geht nicht allein darum, die reichhaltige Berliner Kulturlandschaft mit ihren Theatern, Opern, Museen, Orchestern und Gedenkstätten zu pflegen, Intendanten zu berufen oder für die freie Szene mehr Geld und passende Förderinstrumente zu finden.

Berlin braucht eine integrierende Kulturpolitik, die auf soziale Herausforderungen reagiert, den Metropolencharakter der Gesamtstadt ebenso im Blick hat wie die kulturelle Basis in den Bezirken. Eine solche, die Kultur über das eigene Ressort hinausdenkt, sie auch strukturell mit Themen wie Bildung, Integration, Stadtentwicklung oder Kreativwirtschaft verknüpft.

Kultur ist Arbeit und die hat ihren Preis

Eine solche Kulturpolitik verlangt in einer wachsenden Stadt sicher auch wachsende Ressourcen und ist im Nebenjob eben nicht zu machen. Man verringert den Legitimationsdruck, der auf Kulturpolitik und Kunstförderung lastet, nicht dadurch, dass die Chefin oder der Chef Kultur mitmacht. Vielmehr ist es nötig, dass Kultur und Kunst für alle Berlinerinnen und Berliner ganz selbstverständlich im Alltag erlebbar und erfahrbar sind, in all ihren Ausprägungen.

Kultur ist Arbeit. Arbeit hat auch in der Kultur ihren Preis. Wenn in Theatern und Museen – auch wegen des Mindestlohns – die Kosten steigen, kann das nicht durch Outsourcing, Tarifflucht oder weniger Programm ausgeglichen werden, sondern nur durch Zuschüsse. Wer als Künstlerin oder Künstler freischaffend tätig ist, trägt oft ein hohes soziales Risiko. Wir können in Berlin Bundesgesetze wie Hartz IV, die gerade Freischaffende getroffen haben, nicht außer Kraft setzen. Aber wir können zumindest in den Phasen, da diese Künstlerinnen und Künstler im öffentlichen Auftrag arbeiten, dafür sorgen, dass in der Künstlerförderung existenzsichernde Mindesthonorare gelten und dass, wer in öffentlichen Räumen eine Ausstellung gestaltet, dafür auch bezahlt wird.

Die größte kulturpolitische Herausforderung in einer Stadt wie Berlin, die rasant wächst und – auch durch den Zuzug geflüchteter Menschen – immer vielfältiger wird, ist es, Teilhabe und Zugänge zur Kultur zu fördern. Das fängt damit an, Räume für Kunst zu sichern. Hier ist in jüngster Zeit einiges passiert. Nicht zuletzt, weil es starke zivilgesellschaftliche Impulse gibt. Was fehlt, ist eine strukturelle politische Verbindung von Stadtentwicklung und Kultur, die diese und andere Impulse aufnimmt, sie in Politik und Verwaltungshandeln übersetzt.

Alle Berliner sollen sich Kultur leisten können

Teilhabe heißt aber auch, dafür zu sorgen, dass alle Berliner unabhängig vom Geldbeutel Zugang zu den kulturellen Angeboten haben, die wir uns gemeinschaftlich leisten. Das Drei-Euro-Ticket, unter Rot-Rot eingeführt, ist inzwischen eine gute, ausbaufähige Praxis in vielen Kultureinrichtungen Berlins. Aber auch andere Modelle, die Teilhabe am kulturellen Leben unserer Stadt ermöglichen, sollten politische Unterstützung erfahren.

Wer an Kultur teilhaben will, braucht Wissen und muss Erfahrung mit Kunst sammeln können. In Berlin gibt es seit 2008 einen Fonds, der jedes Jahr zwei Millionen Euro für Projekte der kulturellen Bildung auslobt. Hier entwickeln Künstlerinnen und Künstler gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen künstlerische Projekte aller Art. Der Projektfonds ist wichtig für Berlin und sollte mit der steigenden Nachfrage Schritt halten können.

Aber die gute Absicht wird kultur- und bildungspolitisch zur Farce, wenn gleichzeitig in den Schulen der Musik- und Kunstunterricht ausfällt und die Bezirke ihr Angebot in den Musikschulen oder Bibliotheken runterfahren, weil die dafür notwendigen Mittel fehlen. Dieser Weg führt ins kultur- und bildungspolitische Abseits. Deshalb sollten die für Kultur und Bildung zuständigen Senatsmitglieder gemeinsam einen genauen Blick auf kulturelle Bildung in den Schulen haben. Gleichzeitig muss eine integrative Kulturpolitik den Bezirken kulturelle Gestaltungsmöglichkeit zurückgeben. Das gilt erst recht angesichts der Geflüchteten, die in unsere Stadt kommen und von denen viele bleiben werden. Damit kommt das Thema kulturelle Diversität mit Nachdruck auf die politische Agenda.

Die Bezirke brauchen eine kulturelle Mindestausstattung

Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass jeder Berliner Bezirk eine Großstadt für sich ist, dann sind die finanziellen Ansätze für bezirkliche Kulturarbeit lächerlich gering. Hier muss strukturell umgesteuert werden, eine kulturelle Mindestausstattung in den Bezirken garantiert werden, ohne die bezirkliche Autonomie auszuhebeln. Die Absurditäten, zu denen die Bildung „kultureller Produkte“ im Rahmen der bezirklichen Kosten- und Leistungsrechnung führt, sind jedem Bezirkskulturpolitiker bekannt. Der Senat kann sich hier nicht länger mit Verweis auf die politische Autonomie der Bezirke einen schlanken Fuß machen. Als erstes Signal sollte im kommenden Haushalt der Bezirkskulturfonds verdoppelt werden, um so die freie Szene auch auf kommunaler Ebene zu stärken.

Auch thematisch muss ein eigenständiges Kulturressort breiter aufgestellt sein als bisher. Auf die Bereiche Stadtentwicklung und Bildung habe ich bereits verwiesen. In beiden Fällen braucht es strukturelle Verbindungen, die sicherstellen, dass kulturelle Belange nicht unter den Tisch fallen. Ein Zusammenlegen der Ressorts halte ich nicht für sinnvoll, weil dann allein wegen der Größenunterschiede die Gefahr besteht, dass Kultur zum Anhängsel mutiert.

Ein eigenständiges Kulturressort muss die Entwicklung der Künste abbilden

Vor allem aber sollte ein eigenständiges Kulturressort die Entwicklung in den Künsten selbst stärker abbilden. Wohin gehören neue Medien, Film und Musik, wenn nicht zur Kultur? Dass ein Musicboard mit seiner Förderung außerhalb des Kulturressorts agiert, hat keine fachlichen, sondern allein machtpolitische Gründe. Gleiches ließe sich von der Filmförderung und dem Medienboard sagen.

Wenn wir uns anschauen, wie fließend in der künstlerisch-kreativen Praxis die Grenzen von (zweckfreier) Kunstproduktion und (erwerbsorientierter) Kreativwirtschaft geworden sind, wie stiefmütterlich die kleinteilige Kreativwirtschaft im Wirtschaftsressort behandelt wird, dann sind auch die Bereiche wie Design, Mode oder Verlage in einem gemeinsamen Kultur- und Kreativressort zukünftig besser aufgehoben.

Das dafür zuständige Senatsmitglied sollte dann konsequenterweise aber auch mit darüber entscheiden, wie sich die Kulturstadt Berlin nach außen präsentiert.

Die Chefsache Kultur hätte Potenzial gehabt, wenn die Chefs in den vergangenen zehn Jahren Kultur konsequent als Querschnittsaufgabe verstanden hätten. Das ist nicht passiert. Und war vielleicht auch nicht möglich. Jetzt braucht Berlin einen kulturpolitischen Neustart. Einen Neustart, der die Kultur in den Rang hebt, den die Künstler und Kreativen sich selbst und der Stadt lange schon erarbeitet und verdient haben!

Klaus Lederer ist Berliner Landesvorsitzender der Partei Die Linke.

Klaus Lederer

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