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Laura Méritt.

© Polly Fannlaf

Laura Meritt im Interview: "Rein, Raus, Spritz ist Blödsinn"

Morgen wird in Berlin der "PorYes Award Europe" verliehen. Ins Leben gerufen hat ihn Laura Meritt. Ein Gespräch über feministische Sexfilme, Porno als Aufklärungsmedieum und das Durchbrechen von Sterotypen.

Frau Méritt, herzlichen Glückwunsch zu den 5. PorYes-Awards. Der feministische Pornofilmpreis wird seit 2009 vergeben. Wie waren denn damals die Reaktionen in Berlin?
Es gab auf jeden Fall eine große Offenheit dafür. Die Medien haben sehr stark darüber berichtet. Alle fragten sich, ob Frauen überhaupt Pornos schauen. Und was denn Feminismus mit Porno zu tun hat. Man musste einige ideologische Konstrukte abbauen. Die Öffentlichkeit war sehr überrascht, aber angenehm überrascht. Bis heute ist das die häufigste Reaktion auf unserer Vorhaben: Das ist ja wirklich etwas Neues und Spannendes.

In den achtziger Jahren startete Alice Schwarzer die PorNo-Kampagne, die in Deutschland ein Gesetz gegen Pornografie erwirken wollte. Steht PorYes im Widerspruch dazu?
Wir sehen uns eigentlich in einer Schwesternschaft. Mit der Analyse der PorNo-Kampagne stimmen wir überein. Zum Beispiel, dass 95 Prozent des Mainstream-Pornos diskriminierend sind. Sexismus und Rassismus ist alltäglich. Wir widersprechen aber bei der Lösung dieses Problems und setzen uns für andere Bilder ein, wir wollen über den Porno Sexualität verändern. Wir fragen nach: Wer bestimmt denn, wie das auszusehen hat? Für die Antwort darauf wollen wir Anregungen geben, wie das positiv gestaltet werden könnte.

Was sind denn Ihre Kriterien für einen alternativen Gegenentwurf zur Mainstream-Pornografie?
Die Kriterien für feministische Pornografie sind die, die wir auch für das gesellschaftliche Leben einfordern. Das erste Stichwort ist Vielfalt. Die Lust von allen Beteiligten soll zu sehen sein. Aber auch neue Kameraperspektiven, alle möglichen Geschlechter und Körperformen sollten vertreten sein. Das zweite Kriterium ist Konsens. Alle Beteiligten vor der Kamera sollen vorher klären, was sie machen wollen und wie weit es gehen soll. Und drittens ist es Fairness. Gute Arbeitsbedingungen, Achtsamkeit, Versorgung und angemessene Bezahlung für die Darstellenden.

Stichwort Konsens. Der Fall Weinstein hat sexuellen Missbrauch in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Betrifft das Thema auch ihre Arbeit?
Der Fall Weinstein zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, grundlegende Aufklärung zu leisten. Gerade Männer dürfen lernen, wie Konsens hergestellt wird, wie Fragen und auch Nachfragen geht und wie ich im wertschätzenden Kontakt mit dem Gegenüber stehe. Konsensfindung sollte in der Schule gelehrt werden, fächerübergreifend.

Sie wollen mit Ihrem Gütesiegel die gesellschaftliche Konditionierung in der Sexualität durchbrechen. Lassen sich Konsumenten denn auf die neuen Formen des Pornos ein?
Das ist natürlich ein Prozess und geht nicht von heute auf morgen. Vor allem müssen wir dabei selbstkritisch bleiben. Der Schlüssel ist in meinen Augen der Austausch. Das Reden über die Sexualität. Wir alle haben Stereotype und Konditionierungen im Kopf, wenn es um Sex geht. Ein Beispiel aus unseren Salons beim Feminist Porn Watching ist die Geschlechterzuschreibung. Da wird gefragt: Ist das ein Mann oder eine Frau oder was? Wir wollen solche Annäherungen ermöglichen und nicht beschämen, daher machen wir Angebote, die den Blick verändern können.

Wie reagieren denn „traditionelle“, meist männliche Konsumenten auf alternative, queere und feministische Pornografie?
Unser Zielpublikum ist nicht nur das queer-feministische Milieu. Wir wollten immer aus der Subkultur raus. Wir denken groß und da gehören die Jungs natürlich mit rein. Die reagieren gut darauf. Wir wollen ja auch die Männer von ihrem Leistungsdruck befreien. Rein, Raus, Spritz? Das ist einfach Blödsinn! Es ist nach wie vor so, das die Mehrheit der Porno-Konsumenten männlich ist. Das ist ja das schöne daran: So erreicht man sie mit der Botschaft. Auch Männer sind einfach dankbar, dass sie mal was anderes vorgesetzt kriegen.

Kommen Ihre Botschaften im Mainstream der Pornoindustrie an?
Auf jeden Fall. Das Oberflächlichste, was geschieht, ist, dass die Wörter übernommen werden. Beispielweise Begriffe wie „frauenfreundliche Pornos" oder „sexpositiv". Queere Pornostars werden immer mehr vom Mainstream angefragt. Aber es gibt noch viel Reibung: Die queere Darstellerin Jiz Lee wurde einmal eingeladen, sollte sich aber für den Dreh die Beine rasieren. Die hat sich natürlich geweigert. Ein anderes Beispiel ist Petra Joy, die Sexfantasien aus der weiblichen Perspektive massenkompatibel gemacht hat. Selbst der Tatort setzt sich mittlerweile mit der Thematik auseinander. Da hat sich was getan, und das war auch dringend notwendig, schließlich ist Pornografie Lebensrealität von uns allen.

Sie sehen Porno also auch als Mittel der Aufklärung, quasi als Bildungsmedium?
Klar. Unsere Angebote wachsen immer mehr und die Veranstaltungen platzen aus allen Nähten. Wir werden im Alltag doch alle ständig konfrontiert mit einer Sexualität, die eigentlich niemand mehr will. Vor allem die jungen Leute fragen: Gibt es da nichts anderes? Der Mainstream-Porno, der die Hauptaufklärungsquelle für junge Menschen ist, und das staatliche Aufklärungsangebot versagen. Wir greifen diesen Bildungsauftrag auf und sagen: Wissen ist sexy!

Und wie nimmt die feministische Szene ihren Ansatz auf? Gibt es immer noch Streit?
Nein, gibt es nicht. Selbst jene, die mal gegen unseren Ansatz waren, erkennen unsere Arbeit an und sagen: Das, was ihr macht, ist toll. Wir betonen aber auch immer wieder: Mit Zensur ist eine feministische Veränderung nicht zu erreichen.

Ist Berlin eine Hochburg für alternative Pornografie?
Tatsächlich hat sich Berlin wieder dahin entwickelt. Es ist wirklich eine Sexmetropole geworden. Früher war es San Francisco oder New York. Nach Berlin kommen heute viele von außerhalb. Es gab hier immer eine unglaubliche Toleranz. Wenn ich mir andere Städte im Vergleich anschaue, ist Berlin ein toller Spielplatz. Man kann hier sein wie man möchte, und das gilt auch für Pornografie.

Im Jahr 2025 werden Sie den 10. PorYes-Award ausrichten. Was wünschen Sie sich bis dahin?
Dass wir das Olympiastadion füllen! (lacht) Ich wünsche mir, dass der Mainstream eine größere Vielfalt bringt und nicht mehr diese Kategorien hat wie "Mann", "Frau", "behaart", "rasiert" und so weiter. Faire Arbeitsbedingungen in der Pornoindustrie sollten zum Standard werden. Und dass mehr über Sexualität geredet wird: Was wir wollen und was wir nicht wollen. In der Sexspielzeugindustrie hat sich sehr viel in so schneller Zeit geändert in Bezug auf weibliche Bedürfnisse. Ich bin da sehr positiv gestimmt. Der Bildersturm hat gerade erst begonnen!

Das PorYes-Festival läuft bis zum 23. Oktober – neben der Preisverleihung finden Diskussionsrunden und Workshops statt. Mehr Infos unter: www.poryes.de

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