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© JMB/ Privatbesitz

Buch zur NS-Raubkunst: Ein Krimi ohne Happy End

Zwielichtige Geschäfte, dubiose Zwischenhändler, geheime Orte: Der Journalist Stefan Koldehoff hat ein Buch über das Geschäft mit der NS-Raubkunst geschrieben - ein Thema, das den Kunsthandel bis heute prägt.

Krimireife Szenen: Ein Kölner Parkhaus, in dem der NS-Kriegsverbrecher Albert Speer regelmäßig seinen Wagen parkt, um um die Ecke beim Kunsthaus Lempertz persönlich seine Bilder zur Versteigerung abzuliefern, rund 20 bis 30 insgesamt. Gezahlt wird bar, vor Zeugen, eine Unterschrift wird nicht geleistet.

Oder ein Safe in einer Züricher Bank, wo seit Jahrzehnten die Raubkunst des NS-Kunsthändlers Bruno Lohse lagert. Die rechtmäßige Erbin, Gisela Fischer, wird just in dem Moment, in dem das Versteck aufzufliegen droht, erpresst – und zwar von einem amerikanischen Kunsthistoriker, der selbst ein kritisches Buch über Raubkunst geschrieben hat.

Und zuletzt: Konrad Adenauer lässt sich für seine private Sammlung im Wohnhaus in Rhöndorf in den Fünfzigern von Heinz Kisters beraten – einem Unternehmer und Kunsthändler, der schon zwischen 1941 und 1944 Geschäfte mit dem Wallraf-Richartz-Museum gemacht hatte. Mehrere Bilder erweisen sich im Nachhinein als Fälschungen, einige als Raubkunst.

Eine allgemeiner Unwille, zu sehr nachzufragen, prägt Verkäufer wie Käufer zum Teil noch jetzt

Zwielichtige Geschäfte, dubiose Zwischenhändler, geheime Orte – das ist das Klima im deutschen Kunsthandel nicht nur der Nachkriegszeit. Eine allgemeine Amnesie, ein Unwille, zu sehr nachzufragen, prägt Verkäufer wie Käufer, zum Teil bis in die Jetztzeit. Provenienzen sind, bei Versteigerungen und im Kunsthandel, zu lange Zeit nicht gefragt. Noch immer begegnen Rechercheure bei diesem Thema Widerstand und Anfeindungen von Seiten der betroffenen Häuser.

Das Thema Raubkunst ist spätestens seit der Berliner Kirchner-Debatte im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Die zentrale Rolle, die der Kunsthandel bei diesen Transaktionen spielte, war indes bislang noch nicht umfassend erforscht – weder von den Galeristen und Häusern selbst, die eine Aufarbeitung ihrer Vorgeschichte bis heute nicht geleistet haben, noch von Museumsseite. Nur wenn ein strittiges Werk auftaucht oder gar vor der Versteigerung wieder zurückgezogen werden muss, gibt es kurzfristige Unruhe. Eine dauerhafte Lösung, wie eine Selbstverpflichtung der deutschen Auktionshäuser, steht bis heute aus.

Der Raubkunstexperte Stefan Koldehoff, der zuletzt mit seinem Bericht über die Welfenschatz-Restitutionsforderung für Aufsehen gesorgt hat, hat nun das heiße Eisen angefasst und in einem Buch umfassend die Rolle des Kunsthandels beim Geschäft mit NS-Raubgut behandelt. Die Fälle sind die gleichen, die man aus anderen Veröffentlichungen wie dem Buch von Melissa Müller und Monika Tatzkow „Verlorene Bilder, verlorene Leben“ und aus der exzellenten Ausstellung „Raub und Restitution“ der Jüdischen Museen von Berlin und Frankfurt kennt: Leo Bendel und sein Spitzweg im Kanzleramt, die Unternehmerfamilie Hess und ihr Kirchner, Gisela Fischer und ihr Pissarro, Walther Silberstein und sein Corinth, die „Sumpflegende“ und die Erben von Sophie Lissitzky-Küppers, die sich mit der Stadt München streiten.

Der Fokus liegt auf den Händlern

Doch der Fokus ist diesmal eindeutig ein anderer. Es geht um die Händler, die zur NS-Zeit ihr gutes Geschäft mit den gestohlenen Schätzen machten und oft nach dem Krieg ohne große Einschränkungen weiterverdienen durften. Kleine Fische wie Wilhelm Ettle, ein Frankfurter Maler und überzeugter Nationalsozialist, der sich seit 1939 auf den Kunsthandel mit jüdischem Raubgut spezialisiert. Aber auch Groß- und Überzeugungstäter wie Bruno Lohse und Karl Haberstock, die sich als Lieferanten für Hitlers „Führermuseum“ in Linz verdingten. Und dann gibt es die Nachkriegsprofiteure wie die Amerikanerin Charlotte Weidler, die Bestände von Paul Westheim nach 1945 keineswegs zurückgibt, sondern auf eigene Rechnung verkauft. Oder Albert Daberkow und Peter Böhmer, die die aus „Entartete Kunst“-Beständen zusammengekaufte Sammlung von Bernhard Boehmer mit kräftigen Preisforderungen zum Kauf anbieten.

Doch im Zentrum stehen die Auktionshäuser, die bis heute erfolgreich praktizieren: Das Kunsthaus Lempertz, das 1937 die Sammlung des Düsseldorfer Galeristen Max Stern zwangsversteigert und siebzig Jahre später bereit ist, einen damals versteigerten Franz Xaver Winterhalter erneut anzubieten. Oder der Unternehmer Roman Norbert Ketterer, der 1943 beginnt, Kunst aufzukaufen, und nach dem Krieg beim Aufbau seines Stuttgarter Kunstkabinetts sich von den NSKunsthistorikern Wilhelm Rüdiger und Wilhelm Friedrich Arntz beraten lässt – pikanterweise besonders bei expressionistischer Kunst, die von den Nationalsozialisten verfemt wurde. Aber auch bei der Berliner Villa Grisebach tauchten noch Mitte der Neunziger Bilder zum Verkauf auf, die sich im Nachhinein als Raubkunst erwiesen, Max Liebermanns „Kohlfeld im Wannseegarten“ noch im Herbst 2005. Das Bild aus dem Besitz des Dresdners Victor von Klemperer ist im Werkverzeichnis mit der Provenienz „Daberkow, Bad Homburg (1954)“ genannt. Über Albert Daberkow verfolgt Koldehoff das Bild zu Bernhard Boehmer zurück.

Der wahre Umfang ist immer noch nicht genug erforscht

Schmutzige Wäsche. Dass Koldehoff bei seinen Recherchen „heftigen Reaktionen der betroffenen Unternehmen“ begegnete, wie er im Nachwort schreibt, verwundert kaum. Es ist ein ausgesprochen unappetitliches Kapitel. Der wahre Umfang des nationalsozialistischen Kunstraubs ist immer noch nicht genug erforscht. Regisseur Michael Verhoeven hat mit seinem Film „Menschliches Versagen“ 2008 die Maschinerie von Raub, Verfolgung und Enteignung, die vom Rembrandt bis zum Tafelservice und dem Wohnzimmerschrank den gesamten Lebensbereich umfasste, beleuchtet. Hier waren viele Täter am Werk.

Die Schicksale jüdischer Sammler, die mit ihren hochkarätigen Kollektionen das kulturelle Fundament des Kaiserreichs und der Weimarer Republik bildeten, mögen nach und nach wieder in Erinnerung rücken. Die kriminellen Praktiken derjenigen, die im Grau- und Dunkelbereich agierten und bis in die Bundesrepublik hinein Profit mit Raubkunst machten, kann auch Stefan Koldehoff nur ansatzweise aufdecken. Es ist eigentlich auch nicht seine Aufgabe. Doch das Netz aus Vergessen und Verschweigen deckt bis heute.

— Stefan Koldehoff: Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst. Eichborn Verlag, Frankfurt 2009, 288 S., 22,95 €.

Christina Tilmann

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