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Literatur: Nicht nur Uschi-Obermaierisierung

Theorie und Praxis der Studentenbewegung: Fichter und Lönnendonker über den SDS, Jutta Ditfurth über Ulrike Meinhof

Die Feiern zum 40. Geburtstag der 68er haben gerade erst angefangen, da sind schon Ermüdungserscheinungen im Streit über die Bedeutung dieses Jahres zu erkennen. Autoren wie Götz Aly spitzen ihre Thesen bis an die Schmerzgrenze zu, damit das Publikum überhaupt noch etwas spürt. Mitmacher wie Rainer Langhans kommen mit ihren WG-Schlafzimmererinnerungen. Es gibt, wenn man so will, eine Uschi- Obermaierisierung des Epochenjahrs: Nur starke Auftritte erregen noch Aufmerksamkeit.

Altmodisch, gehaltvoll und nachhaltig erscheint auf diesem vollgepackten Markt der steilen Thesen und gepflegten Eitelkeiten die kleine Geschichte des SDS von Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker. Hier geht es, ganz unspektakulär, um die langen Entwicklungslinien, die Prägung und das Kräftemessen politischer Generationen. Die beiden Autoren haben die erste Gesamtdarstellung des kleinen, aber schlagkräftigen Studentenverbandes 1977 vorgelegt – die neue Auflage ist eine stark überarbeitete und zeitgemäße Fassung, die noch mehr Substanz hat als die erste Fassung.

Ohne Fotos kommt heute nicht mal ein so sachlich-historisches Werk mehr aus. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen, dass 1968, ironisch gesagt, als das Jahr des Wasserwerfers in die bundesdeutsche Geschichte eingehen kann. Das wäre die Art von Etikettierung, mit der von links kommende Politikwissenschaftler wie Fichter und Lönnendonker nichts anfangen können – und gegen die sie anschreiben. Für sie ist 1968 nicht allein aus einem Generationenkonflikt zu erklären – die Kinder der Nazis gegen ihre Väter. Dafür schätzen die Autoren die Kraft von Ideen viel zu hoch und, ihrem Vorwort zufolge, auch die Bedeutung von Organisationsformen. Von großer Bedeutung war nach ihrer Überzeugung, dass der SDS sich aus anfänglicher Nähe zur Sozialdemokratie gewissermaßen autonom entwickelte.

Am Anfang, im Jahr 1946, standen linke Antikommunisten wie Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler. In den 50er Jahren lockerten dann undogmatische Linke die Beziehungen zur Sozialdemokratie. Es begann der „lange Marsch nach links“, wie Fichter und Lönnendonker schreiben. Auf diesem Marsch lagen Konflikte wie der um die Remilitarisierung der Bundesrepublik, die antimilitaristische Paulskirchenbewegung, Streit über den Umgang mit Kommunisten – und Theoriedebatten, die man sich in ihrer Abgehobenheit heute nur noch schwer vorstellen kann.

Auf dem Höhe- und kurz vor dem Endpunkt seiner Entwicklung war der SDS eine politische Kraft eigener Art: An seiner Spitze stand mit Rudi Dutschke ein Charismatiker, seine 2000 Mitglieder bundesweit verfügten über ein Arsenal an Thesen und politischen Theorien, mit dem sie jede Debatte zu beherrschen und die Republik umbauen zu können glaubten. Bis Dutschke dann schwer verletzt auf dem Kurfürstendamm lag.

Das alles stellen Fichter und Lönnendonker sachlich, mit viel Sinn für Theorie, Debatte und die Kraft von Ideen dar. Wer von dieser kleinen Geschichte, die auch eine politkulturelle Darstellung der pubertierenden Bundesrepublik ist, etwas haben will, muss sich auf diese Sichtweise, auf die Kraft der Ideen einlassen. Im Leben der Ulrike Meinhof findet sich enorm viel von dieser linken Ideengeschichte. Aufgeschrieben hat sie nun auch Jutta Ditfurth, früher mal die grüne Fundamentalistin, heute Frankfurter Stadtverordnete für „ÖkoLinX-Antirassistische Liste“.

Es ist ein seltsames Buch geworden in seiner Zurückgenommenheit. Von Jutta Ditfurth, die keinem Streit aus dem Weg geht, hätte man ein Vorwort erwartet, indem sie niedermacht, was über die Meinhof bislang zu lesen war und begründet, warum sie „die“ Biographie dieser interessanten, aber auch grausamen Frau zu schreiben für nötig befand. Nichts davon. Und auch die Passagen, in der eine Biographin oder ein Biograph kaum anders kann als Anteil nehmen am Schicksal seiner Hauptperson, wirken als habe sich die wuchtige Linke Ditfurth selbst zensiert.

Die Meinhof auf den Weg in den Untergrund, die Journalistin, die zur Terroristin wird, die Mutter, die ihre Kinder verlässt, die Ideologin in der Aufeinandersetzung mit der starken Frau an der Seite von Andreas Baader, die Einsame in der Isolationshaft – akribisch beschreibt Jutta Ditfurth das alles und fast sehnt man sich nach ein paar persönlichen Bemerkungen, die dem Leser diese komplizierte, harte, rätselhafte Ulrike Meinhof so nahe bringen, wie es zum Beispiel Alois Prinz in seiner „Lebensgeschichte“ geschafft hat. Ditfurths Meinhof hingegen bleibt hinter dickem Glas.

Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie. Ullstein Verlag, Berlin 2007. 479 Seiten, 22,90 Euro.

Tilman P. Fichter, Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke. Klartext Verlag, Essen 2007. 255 Seiten, 15,95 Euro.

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