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Rosine De Dijn: Heikle Passagen mit der Serpa Pinto

Rosine De Dijn über ein Schiff, das Nazis "heim ins Reich" brachte und Tausende Juden vor der Verfolgung rettete.

Rosine De Dijn, Journalistin und Buchautorin, nennt es das Schicksalsschiff. Die Portugiesen, unter deren Flagge es fuhr, nannten es das Heldenschiff, die New York Times das Flüchtlingsschiff schlechthin. Sein wirklicher Name war Serpa Pinto, und unter diesem Namen ist es 15 Jahre über den Atlantik und zuletzt noch zur Olympiade 1952 nach Finnland gefahren, bevor es 1955 in Antwerpen verschrottet wurde. Seine Heldenzeit hatte es in den Jahren 1942–44, als es tausende Flüchtlinge aus Europa in die Freiheit fuhr – und 81 Deutsche „heim ins Reich“. Nur sein Modell ist heute noch in Lissabons Museo de Marinha zu sehen.

Seine Geschichte als Schicksalsschiff oder genauer: die Schicksale seiner Passagiere hat Rosine De Dijn in einem breit recherchierten Bericht wie in einem Roman zusammen- und gegenübergestellt. Man muss es so sagen, denn diese Lebensläufe könnten gegensätzlicher nicht sein, wenn die Serpa Pinto erst die auslandsdeutschen Nationalsozialisten nach Europa brachte, um gleich auf der Rückfahrt europäische Juden auf der Flucht vor Hitler aufzunehmen.

All das ging nicht ab ohne schicksalhafte Zwischenfälle. So wurde die Serpa Pinto 1942 von einem deutschen U-Boot gestoppt, aber als neutrales Schiff dann doch nicht behelligt. Dramatischer war eine zweite Begegnung auf einer späteren Flüchtlingspassage, als ein deutsches U-Boot das Schiff räumen und den Kapitän festsetzen ließ, um die Serpa Pinto zu versenken. Die verängstigten Passagiere trieben bereits in den Rettungsbooten, als aus Berlin die Zerstörungsorder widerrufen wurde. Ein drittes Mal wurde die Serpa Pinto auf dem Weg nach Europa vom amerikanischen State Department gestoppt und 232 Deutsche von Bord geholt, die als Internierte gegen US-Bürger in Deutschland ausgetauscht werden sollten. Die Amerikaner sahen sich bei der Auswahl ihrer eigenen Leute von Deutschland getäuscht und verweigerten die Ausreise.

Tragischer scheiterte ein geplanter Austausch von bis zu 30 000 Juden mit doppelter Staatsangehörigkeit, gültigen Visa und Verbindungen nach Amerika, die Himmler in „Aufenthaltslagern“ – auch Geisellager genannt – unter erträglicheren Bedingungen festhielt als KZ-Häftlinge. Als die Verhandlungen über den Austausch scheiterten, wurden auch sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Dieses Schicksal blieb den rund 7800 Flüchtlingen – meist Juden – erspart, die die Serpa Pinto zwischen 1941 und 1945 auf fünf Atlantiküberquerungen nach New York und Philadelphia brachte. Auf welch abenteuerlichen Wegen sie – meist durch das besetzte Frankreich über Spanien und Portugal – an Bord gelangten, schildert Rosine De Dijn am Beispiel jüdischer Flüchtlinge aus Belgien, die in Amerika überlebten.

Ein Heldenschiff kann man die Serpa Pinto aber vor allem in Gedenken an ihren Kapitän Américo dos Santos nennen, der das für 500 Personen gebaute, oft bis zum Doppelten mit Flüchtlingen und aufgenommenen Schiffbrüchigen überfüllte Schiff sicher durch gefährliche Kriegsgewässer, Unwetter und Zwischenfälle mit U-Booten über den Atlantik steuerte. Dabei musste er manche einsamen Beschlüsse fassen, die ihm sogar 1945 wegen „Eigenmächtigkeiten“ die Suspendierung vom Dienst einbrachten. Spätere Ehrungen durch hohe portugiesische und brasilianische Orden mögen ihn dafür entschädigt haben.

Anders wird man die vier Deutschen, deren Lebensgeschichte die Autorin einflicht, wohl kaum als Helden bezeichnen können. Ihre Familien, Auslandsdeutsche in Brasilien, waren durchweg – wie die überwiegende Mehrheit der Deutschbrasilianer – Sympathisanten und Aktivisten der NSDAP, die bei Kriegsbeginn „heim ins Reich“ wollten. Auch sie sahen sich als Verfolgte, wenn die autoritäre brasilianische Regierung ihre Agitation und Organisationen verboten hatte und sogar den Gebrauch der deutschen Sprache untersagte. Tatsächlich hatten sich die – zum Teil seit hundert Jahren – in Brasilien lebenden Deutschen in ihren Siedlungen mit Namen wie Blumenau, Neu-Berlin, Neu-Breslau oder Neu-Bremen kaum in die brasilianische Gesellschaft integriert und waren weitgehend unter sich geblieben. In ihren deutschsprachigen Zeitungen pflegten sie nicht nur deutsche Kultur, sondern auch die völkische Unkultur des Rassismus und Antisemitismus. So tönte der deutsche „Urwaldbote“ in Blumenau gegen „Judas Wühlarbeiten“ und feierte mit dem Landesleiter der NSDAP Hans Henning von Cossel die „begonnene Umgestaltung Deutschlands durch den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler“.

Von Cossel, der deutsche Konsul Johann Albert Spieweck mit Familie und eine weitere deutsche Familie Buchholtz waren denn auch bei den unter diplomatischem Schutz ausreisenden 81 Landsleuten, die im Mai 1942 mit der Serpa Pinto ihre ziemlich luxuriöse Reise heim ins Reich antraten: „Es fehlte an nichts“, schreibt Rosine De Dijn, „die 14 Tage an Bord waren recht unbeschwert. Bordspiele und lustige Feste vertrieben den Kindern die Langeweile und sorgten für eine spannende Überfahrt.“ Es war die letzte Luxusreise der Serpa Pinto vor ihrer Mission als Flüchtlingsschiff für die Opfer des Nationalsozialismus.

Die Heimkehrer erwartete noch ein Staatsempfang im Frankfurter Römer, bevor sie in die deutsche Kriegswirklichkeit eintauchten und, wie die Spiewecks, bitter enttäuscht wurden. Für Hans Hennig Cossell endete sie in französischer Gefangenschaft, für die Familien Spieweck und Buchholtz mit ihrer Rückkehr nach Brasilien 1947 und 1948: Für die Spiewecks auf einem Kohlendampfer, für Familie Buchholtz per Flugzeug, für dessen Kosten brasilianische Verwandte aufkamen. Über das Schicksal deutscher Juden wollen sie erst nach dem Krieg erfahren haben. „Von Konzentrationslagern wussten wir nur so am Rande“, schrieb Frau Nuna Buchholtz in ihrem Tagebuch, das ihre Tochter Rosine De Dijn zur Verfügung stellte, „und nur, dass Kriegsverbrecher und Juden dort sicher untergebracht waren. Nun darüber wurde schon enorm viel berichtet.“ Nicht genug, wie es scheint.

– Rosine De Dijn:

Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro-Lissabon-New York 1942, Deutsche Verlagsanstalt, München 2009, 270 Seiten, 19,95 Euro.

Hannes Schwenger

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