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Literaturnobelpreisträger Mo Yan.

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Update

Literaturnobelpreis 2012: Überraschungserfolg für Mo Yan

In seiner Heimat ist der chinesische Nobelpreisträger Mo Yan umstritten. Der 57-Jährige wird zwar trotz seiner Kritik an sozialen Missständen verehrt. Bürgerrechtler übten hingegen Kritik an der Auszeichnung.

Der chinesische Schriftsteller Mo Yan wird in diesem Jahr mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt. Der 57-Jährige verbinde „mit halluzinatorischem Realismus Volksmärchen, Geschichte und Zeitgenössisches“, hieß es am Donnerstag in der Begründung der Jury in Stockholm. Der Autor von „Das rote Kornfeld“ wird trotz seiner Kritik an sozialen Missständen auch in seiner Heimat als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart verehrt. Der Autor gilt zwar oft als staatstreu, umgeht aber auch immer wieder geschickt die Zensur im kommunistischen China. Mo Yan reagierte „überglücklich und erschrocken“, wie Staatsmedien berichteten.

Kurz nach der Bekanntgabe ging die Diskussion über den Preisträger los. Bei chinesischen Intellektuellen sind die Reaktionen auf die Ehrung von Mo Yan mit dem Literaturnobelpreis sehr gemischt ausgefallen. Der Autor und kritische Blogger Han Han sagte, die Auszeichnung sei „eine Ehre für chinesische Schriftsteller“. Der chinesische Autor und Bürgerrechtler Yu Jie übte hingegen scharfe Kritik. „Ich denke, der Nobelpreis sollte an niemanden verliehen werden, der Mao Zedong lobt, egal wie populär sein Werk ist“, schrieb Yu Jie, der in diesem Jahr in die USA emigriert war, auf der Webseite des internationalen Pen-Clubs.

Er verwies darauf, dass Mo Yan bei der Frankfurter Buchmesse mit der offiziellen chinesischen Delegation 2009 den Saal verlassen habe, als regimekritische Autoren an einem Forum teilnehmen wollten. „Das hat gezeigt, dass seine erste Rolle nicht die eines unabhängigen Schriftstellers ist, sondern die eines Schreibers der chinesischen Kommunistischen Partei.“ Yu Jie war im unabhängigen chinesischen Pen-Club aktiv, dem der inhaftierte Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo als Ehrenvorsitzender vorsteht. Hingegen ist Mo Yan der Vizevorsitzende der offiziellen chinesischen Schriftstellervereinigung.

Empört reagierte denn auch der Direktor des Hongkonger Büros des unabhängigen chinesischen Pen-Clubs: „Mo Yan hat wirklich nichts zu sagen“, schrieb Patrick Poon in einem Kommentar im Kurznachrichtendienst Twitter. „Seine Bücher können dazu benutzt werden, um sich das Hinterteil abzuwischen.“

In Deutschland ist der chinesische Autor bisher noch relativ unbekannt. Auch der Buchkritiker Denis Scheck hatte den Literaturnobelpreisträger Mo Yan nicht auf seiner Liste. „Am literarischen Firmament ist ein neuer Fixstern erschienen“, sagte er. „Das ist ein Autor, der uns begleiten wird.“ Auch die Literaturnobelpreisträgerin von 2009, Herta Müller, hatte nicht mit der Auszeichnung für den Chinesen gerechnet. „Er war nicht mein Favorit“, sagte sie auf der Frankfurter Buchmesse. Martin Walser sagte, er halte Mo Yan für „den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters“. Autorin und Kritikerin Elke Heidenreich hält den Literaturnobelpreis für Mo Yan für eine politisch-motivierte Entscheidung aus Stockholm. „Es ist ein politischer Preis. Ich war nicht überrascht“, sagte sie in Frankfurt am Main. Sie glaube nicht, dass Mo Yan ein politisch angepasster Autor sei. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth schrieb: „Mo Yan gehört nicht zu den Künstlern, die in erklärter Opposition zur chinesischen Führung stehen. Doch es gehört zum Respekt gegenüber der Kunst, sie in ihrem Eigensinn wahrzunehmen und zu respektieren.“

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte die Verleihung des Literaturnobelpreises an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan. „Ich freue mich über die Nachricht aus Stockholm und gratuliere dem chinesischen Schriftsteller Mo Yan zur Verleihung des Literaturnobelpreises von Herzen“, sagte Westerwelle am Donnerstag in Peking. Dies sei „ein abermaliger Beleg für China als einer großen Literaturnation“. Westerwelle betonte, mit dem Roman „Das rote Kornfeld“ und vielen anderen Werken habe Mo zahllosen Lesern in China und über die Grenzen seiner Heimat hinaus das Leben in den ländlichen Provinzen veranschaulicht. Ihm sei es gelungen, den schnellen Wandel im modernen China zu beschreiben.

Bei chinesischen Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse hat die Vergabe des Literaturnobelpreises für den Autor Mo Yan Freude ausgelöst. „Wir sind sehr glücklich und stolz über diese Entscheidung“, sagte Zeng Shaomei vom Verlag Peoplès Literature Publishing House in Peking. An einem chinesischen Gemeinschaftsstand wurde auf einem großen Bildschirm ein Porträt des Schriftstellers mit zwei seiner Bücher gezeigt. Mo Yan sei 2009 auf der Buchmesse gewesen, als China Ehrengast gewesen sei, sagte ein Sprecher. Die meisten seiner Werke wurden vom Writers Publishing House und dem Shanghai Literary and Art Publishing House verlegt.

Auch der Berliner Horlemann Verlag hat „mit großer Freude“ auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an den chinesischen Autor reagiert. „Mo Yan kam als armer Bauernsohn aus der chinesischen Provinz. Er hat den Preis wirklich verdient“, sagte Verlagsgeschäftsführer Tim Voß. Er habe sich auf eine neue, fantastische Art und Weise mit der Politik und Gesellschaft seines Landes auseinandergesetzt.

Mo Yan ist ein Künstlername - und bedeutet „Ohne Worte“

Im Horlemann Verlag ist 2009 Mos Roman „Der Überdruss“ erschienen. In dem 800-Seiten-Buch geht es um einen Großgrundbesitzer, der nach seinem Tod als Esel, Stier, Schwein, Hund und Affe auf die Welt zurückkehrt und aus der Perspektive der Tiere das Schicksal seiner früheren Lebensgefährten verfolgt. Mo habe damit grandios die letzten 50 Jahre der stürmischen chinesischen Geschichte aufgearbeitet, sagte Voß. In der Begründung der Jury heißt es: "Mit einer Mischung aus Phantasie und Realität, historischen und sozialen Perspektiven hat Mo Yan eine Welt geschaffen, die in ihrer Komplexität an die in den Werken von William Faulkner und Gabriel García Márquez erinnert“. Außerdem seien Mos Werke in der alten chinesischen Literatur und Erzähltradition verwurzelt. Peter Englund von der Stockholmer Akademie sagte dem schwedischen Fernsehen, in einem Telefonat habe Mo auf die Entscheidung zugleich „überglücklich und verängstigt“ reagiert. Mo hat Romane sowie zahlreiche Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. Trotz der darin enthaltenen Kritik an den sozialen Zuständen in der Volksrepublik China wird er dort hoch geschätzt. Mo ist der erste in der Volksrepublik lebende Chinese, der mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wird. Der im Jahr 2000 ausgezeichnete Chinese Gao Xingjian hatte sich 1997 in Frankreich einbürgern lassen.

Mo Yan ist ein Künstlername, der „Ohne Worte“ bedeutet. Der Autor wurde 1955 als Guan Moye geboren, seine Eltern waren Bauern. Er wuchs in Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong auf. Während Maos Kulturrevolution verließ er im Alter von zwölf Jahren die Schule und arbeitete erst in der Landwirtschaft, später in einer Fabrik. 1976 ging er in die Volksarmee, begann Literatur zu studieren und zu schreiben. Mos erste Kurzgeschichte wurde 1981 in einer Literaturzeitschrift veröffentlicht, sein Durchbruch kam wenige Jahre später mit dem Roman „Der kristallene Rettich“, der das Leben auf dem Land seiner Kindheit beschreibt. In seinen vom Realismus geprägten Werken griff Mo auch immer wieder Ereignisse aus Chinas Vergangenheit auf, wie den Sturz der letzten Kaiserdynastie 1911. Über die Landesgrenzen bekannt wurde Mo durch seinen Roman „Das rote Kornfeld“ von 1987, der unter dem gleichen Titel von dem chinesischen Regisseur Zhang Yimou verfilmt wurde. Der Film wurde 1988 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Vergangenes Jahr hatte die Nobelpreis-Jury mit der Auszeichnung des schwedischen Lyrikers Tomas Tranströner für eine Überraschung gesorgt. In diesem Jahr waren der Japaner Haruki Murakami, aber auch die Kanadierin Alice Munro und der US-Schriftsteller Philip Roth als Favoriten für dem Literatur-Nobelpreis gehandelt worden. Der Nobelpreis für Literatur ist die mit Abstand bedeutendste Auszeichnung für Schriftsteller in der ganzen Welt. Er ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 1,1 Millionen Euro) dotiert und wird seit 1901 mit wenigen Ausnahmen alljährlich von der Schwedischen Akademie im Auftrag der Nobelpreisstiftung vergeben. Derzeit besteht das für Literatur zuständige Nobelpreiskomitee aus fünf Mitgliedern unter dem Vorsitz des schwedischen Schriftstellers Per Wästberg. Verliehen wird der Preis traditionell am Todestag des Stifters Alfred Nobel, am 10. Dezember, vom schwedischen König in Stockholm.

In diesem Jahr wird der Literaturnobelpreis zum 105. Mal vergeben. Vier Mal mussten sich je zwei Autoren das Preisgeld teilen. Zwölf Mal wurde der Literaturnobelpreis an eine Frau vergeben, zuletzt 2009 an die Deutsche Herta Müller. Die erste war 1909 die Schwedin Selma Lagerlöf. Zehn Mal ging die Auszeichnung an deutsche Autoren.

Der jüngste Schriftsteller, der mit dem Literaturnobelpreis bedacht wurde, war 1907 der damals 42-jährige Autor des Dschungelbuchs, Rudyard Kipling. Älteste Preisträgerin war 2007 die Britin Doris Lessing im Alter von 88 Jahren. Zwei Autoren verweigerten die Annahme des Preises: 1958 der „Dr. Schiwago“-Autor Boris Pasternak auf Druck der sowjetischen Behörden und 1964 aus freien Stücken der Philosoph Jean-Paul Sartre, der generell keine Ehrungen akzeptierte.

In den vergangenen Tagen waren bereits die Nobelpreise für Chemie, Physik und Medizin vergeben worden. (dpa, afp)

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