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Bühnen-Ahnen. Thomas Langhoff, DT-Intendant von 1991 bis 2001, auf dem Theatervorplatz vor der Büste seines Vaters, Leiter des Hauses von 1946 bis 1963.

© IMAGO

Michael Eberths Tagebücher: Entlarvung einer Lebenslüge

Das Deutsche Theater galt als Ort der kulturellen Einheit Deutschlands. Michael Eberths Wendezeit-Tagebücher zeichnen ein Bild der Spannungen - auch mit dem Intendanten Thomas Langhoff.

Das Buch heißt „Einheit“, aber pünktlich zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung erzählt es von erstaunlicher Zwietracht. Es ist das überaus spannend zu lesende Tagebuch, das der Berliner Autor und Theatermann Michael Eberth vom 1. Januar 1990 bis zum 31. Dezember 1996 geführt hat – anfangs noch als Dramaturg bei Claus Peymann am Wiener Burgtheater, dann ab Herbst 1991 als Chefdramaturg des Deutschen Theaters Berlin. Eberth war der Kopf neben und Freund von Thomas Langhoff, dem Regisseur und damals gefeierten Nachwende-Intendanten. „Einheit“ erzählt nun das Zerbrechen jener Freundschaft – und vieler Illusionen im Deutschen (und oftmals auch deutschen) Theater.

Über das Bühnengeschehen und den Blick hinter die Kulissen hinaus steht es für ein Stück deutscher Kulturgeschichte, auch für die Zerstörung von Legenden. Denn kaum gab es die neue deutsche Einheit, da dachten viele: Mit dem Staat, mit der Verwaltung und vor allem der Wirtschaft wird das bis zu den gemeinsam blühenden Landschaften wohl noch dauern. Aber in der Literatur und vor allem im Theater schien die Vereinigung über alle sonstigen Grenzen hinweg fast eine Selbstverständlichkeit zu sein. Es gab die gemeinsame Sprache und das identische System der öffentlich subventionierten Stadt- und Staatstheaters – als Ausdruck der Kulturnation.

Thomas Langhoff galt als Vorbote der neuen Zeit

Ganz schnell stand hierfür als Symbol auch eine Bühne bereit. Ohnehin prangt schon der Name „Deutsches Theater“ überm Portal. Das einstige Haus des großen, von den Nazis vertriebenen Max Reinhardt, in der Mitte der wieder werdenden Hauptstadt gelegen, war ab Anfang der 1990er Jahre ein neuer Mittelpunkt des vereinigten Berlin. Die große West-Staatsbühne, das Schiller-Theater, kriselte und wurde bald sparpanisch geschlossen. Die Schaubühne am Kurfürstendamm galt als reine West-Sache, während Castorfs Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz sich als furiose Ost-Bühne verstand. Und das Berliner Ensemble war, von Solitären wie Heiner Müllers legendärer „Arturo Ui“-Inszenierung abgesehen, allein wegen Brechts Nachruhm ein Touristenziel.

Aber „das Deutsche“, das DT, sollte das erste gesamtdeutsche Stadtstaatstheater sein. Ein Ort für Künstler aus beiden politischen Himmelsrichtungen. Und im Publikum saßen neben den (zunächst weniger gewordenen) treuen Ost-Besuchern plötzlich die Zehlendorfer, Schöneberger und Charlottenburger. Das freilich betraf nur die Oberfläche.

Michael Eberth, 1943 am Bodensee geboren, war von Peymann noch vor Berlin gewarnt worden („Lebensfehler!“). Doch Thomas Langhoff, der Sohn des einst vor den Nazis als Kommunist ins Schweizer Exil geflohenen, später von der DDR- Macht geschassten und gedemütigten früheren DT-Intendanten Wolfgang Langhoff, schien als neuer Chef des Hauses der Vorbote einer neuen Zeit zu sein. Er löste den Interimsintendanten Dieter Mann ab, den verdienten, heute noch viel im Fernsehen beschäftigten Schauspieler (und ehemaligen SED-Kader). Langhoff warb sogleich um Eberth. Der war Langhoffs Produktionsdramaturg bei dessen gefeierten Inszenierungen im Westen gewesen, an den Münchner Kammerspielen, an der Wiener Burg oder bei den Salzburger Festspielen.

In Wien hat Eberth 1990 das Gefühl, weit weg vom historischen Aufbruch zu sein. Im Januar ’91 raten ihm Heiner Müller und die Ostberliner Regisseurin Ruth Berghaus in einer Wiener Kneipe zu, ans DT zu gehen. Thomas Langhoff, ein eher unintellektueller Emphatiker und Instinktregisseur (mit hohem Kunsthandwerksverstand), brauche „geistige Führung“.

Konflikten weicht Thomas Langhoff aus

Bühnen-Ahnen. Thomas Langhoff, DT-Intendant von 1991 bis 2001, auf dem Theatervorplatz vor der Büste seines Vaters, Leiter des Hauses von 1946 bis 1963.
Bühnen-Ahnen. Thomas Langhoff, DT-Intendant von 1991 bis 2001, auf dem Theatervorplatz vor der Büste seines Vaters, Leiter des Hauses von 1946 bis 1963.

© IMAGO

Es ist der Beginn eines schleichenden Desasters. Denn die Theaterszene blieb hinter den Kulissen, nicht nur in Berlin, lange noch zweigeteilt. DDR-Künstler wie Manfred Krug, Katharina Thalbach, Angelica Domröse, Einar Schleef oder Jürgen Gosch waren schon vor dem Mauerfall in den Westen gegangen, der brillante, empfindliche Ulrich Mühe verließ das DT 1990 noch vor Langhoffs Intendanz. Die Gebliebenen aber hielten mit Stolz und Trotz zusammen. Die Besten von ihnen hatten das kulturhistorische Verdienst, in den Endjahren der DDR auf den – gegenüber anderen Medien weniger stark zensierten – Bühnen schon kritische Fanale gegen Stalinismus, Versteinerung, Funktionärsherrschaft gesetzt zu haben. Andere wie Heiner Müller, Alexander Lang oder auch Thomas Langhoff, die sich zuvor bereits in beiden deutschen Welten bewegen konnten, wollten nun noch mal nachträglich ihre Ostverbundenheit beweisen.

Das hieß, dass Langhoff das altverschworene DT-Ensemble mitsamt der teilweise ideologisch belasteteten Dramaturgie zusammenhielt und auch weiter bestärkte – nicht nur in seiner verklärenden Selbsteinschätzung, „das beste der Welt“ zu sein. Eberth beschreibt ein Klima, in dem die hinzugekommenen Wessis (eine Minderheit von Akteuren wie Ignaz Kirchner, Michael Maertens oder Carla Hagen) als seelenduselige Weicheier verachtet werden, während das übrige Haus ganz auf die postbrechtische Kaltzeichnung von Menschen als Masken setzt – oder sich, wenn es psychologisch, politisch, ästhetisch zum Schwur kommen sollte, in die Ironie flüchtet. Langhoff weicht dabei, laut Eberths Notizen, auch als Regisseur in allen Konfliktfällen aus.

So stammt schon zu Langhoffs Eröffnungsinszenierung – Kleists „Käthchen von Heilbronn“ im Herbst 1991 – der erste Teil des Programmhefts von der Ost-Dramaturgin Eva Walch, die zweite Hälfte von ihrem West-Chef Michael Eberth. „Wird das erste Zwei-Welten-Heft in der Geschichte des deutschen Stadttheaters“, heißt es dazu.

Anwälte prüften das Buch vor Erscheinen auf Persönlichkeitsrechte

Zur Lebenslüge dieser „Einheit“ gehöre, schreibt Eberth, auch der Umgang mit den Stasi-Aktivitäten, in die Mitglieder des Hauses verwickelt waren. Langhoff, selber integer und zerquält, beschied Eberth: „Sei nicht so neugierig.“ Vorwürfe betrafen sogar die Verwaltungschefin und Stellvertreterin Langhoffs, die erst nach Eberths eigener Kündigung angesichts klarer Beweise als Ex-IM nicht mehr zu halten war. Der Berliner Alexander Verlag, in dem „Einheit“ jetzt erscheint, hat das Buch übrigens von Anwälten prüfen lassen. Eberth sagt, man habe nur wenig aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen gestrichen.

Thomas Langhoff ist 2012 an Krebs gestorben. Ob das DT auch seine Krebszelle war und was er seinem einstigen Freund und Kollegen erwidert hätte, wissen wir nicht. Nach Erfahrungen, die Theaterbeobachter in den 90er Jahren in und mit dem DT machen konnten, spricht viel für einen erheblichen Wahrheitsgehalt. Auch ist der Ton des Buchs nie respektlos eifernd. Vieles ist in der Analyse von Personen, Stücken, Aufführungen, Zeitumständen glänzend formuliert, und bei aller Anschaulichkeit und sprühender Intelligenz (die nicht immer ganz uneitel wirkt), schont Eberth sich selber nicht.

Eberth vernachlässigt seine Tochter

Wie bei ihm mit den Jahren das Verständnis für die Verhärtungen oder auch maskierten Versehrungen seiner von der „Regimezeit“ gezeichneten Ostkollegen zunimmt, so wächst seine eigene Verzweiflung. „Einheit“ ist das Zeugnis eines skrupulös selbstreflexiven (West-)Intellektuellen. Er sieht, wie die an der Frankfurter Schule (Adorno & Co.) oder an der ästhetischen Sensibilität seines Freundes Botho Strauß geschärften Instrumente gegenüber einer völlig anderen geistigen, biografischen Erfahrungswelt stumpf werden. Eberth über die Diskussionen mit seinen DT-Kollegen: „Sie erleben das, was von mir kommt, als ein an keine Wirklichkeit gebundenes Schwadronieren.“

Es hat was von Kafka: Der Chefdramaturg aus dem Westen erhält – Mitte der Neunziger! – kein Durchwahltelefon, er muss jedes Ferngespräch anmelden, jeder Brief an ihn geht erst durch die Hände der Verwaltungsdirektorin (der Ex-Stasimitarbeiterin). Es folgt die eigene seelische Verbunkerung. Eberths Beziehung mit der Schauspielerin Lena Stolze geht in die Brüche, er vernachlässigt, wie aufgefressen vom Theater, die gemeinsame Tochter, nennt das selber „ein Verbrechen“.

Am Ende, kurz vor der Kündigung, entdeckt er den noch unbekannten Jungregisseur Thomas Ostermeier, vermittelt ihm Stücke wie „Shoppen und Ficken“ und erfindet die legendäre „Baracke“ des DT. Dann ist Eberth weg. Das Buch bleibt so: eine Entzauberung. Aber spürbar ist zugleich die Sehnsucht nach dem Zauber, nach glückhafter Einheit.

Michael Eberth: Einheit. Berliner Theatertagebücher 1991 – 96. Alexander Verlag, Berlin. 343 Seiten, 24,90 €

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