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Silvester auf dem Vorplatz des Kölner Kölner Domes. Hier kam es zu sexuellen Übergriffen von Frauen.

© dpa

Nach und vor den Kölner Krawallen: In der Haftanstalt des Hasses

Die Schriftstellerin Mona Eltahawy prangert in ihrem Buch "Warum hasst ihr uns so?" sexuelle Gewalt in der islamischen Welt an.

Von Caroline Fetscher

Ausbruch aus untragbaren, unerträglichen Zuständen: Das war das Versprechen des arabischen Frühlings, der 2010 in Tunesien und Ägypten begann. Aber, sagt Mona Eltahawy, es war nur ein halber Aufbruch. Die Hälfte der Bevölkerung fehlte. „Es ging nur um Männer“, erklärt die 1967 in Port Said in Ägypten geborene Journalistin in ihrem Buch mit Manifestcharakter (Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt. Piper, München 2015, 202 S., 16,99 €). Der englische Originaltitel „Headscarves and Hymens: Why the Middle East Needs a Sexual Revolution“ impliziert nicht Männer als Adressaten einer bangen Frage, sondern benennt zwei Fixpunkte der einengenden Entwürfe von Weiblichkeit, „Kopftücher“ und „Jungfernhäutchen“.

Aktuell ist Eltahawys Appell nicht erst seit den Kölner Krawallen an Silvester, bei denen über hundert Frauen von Männern belästigt und bestohlen wurden. Ihr Blick richtet sich zwar primär auf die unvollendete Umwälzung in der islamisch geprägten Welt, doch auch weit darüber hinaus. Die Autorin fordert gleiche kulturelle und juristische Rechte für die andere Hälfte der Bevölkerung – überall. Auf keinem einzigen Kontinent gebe es bisher eine „postfeministische“ Situation, sagte sie in einem Interview, sondern global nur graduelle Unterschiede der Diskriminierung.

Mit Verve prangert Mona Eltahawy, Tochter eines Arztehepaars, „traditionelle“ Grausamkeit gegen Frauen an. Sie schildert die erzwungenen Hochzeiten, die rituelle Verstümmelung der Genitalien kleiner Mädchen, die Situation von Frauen in Saudi-Arabien, die ohne männlichen Vormund – und sei es der minderjährige Sohn – nicht aus dem Haus dürfen, das Fernhalten der Frauen von Bildung und politischer Partizipation.

Wirksame Veränderung werde es in arabischen Gesellschaften erst geben, sagt Eltahawy, die einen Teil ihrer Schulzeit in Saudi-Arabien verbrachte, wenn „wir erkennen, dass die Frauenfeindlichkeit des Staates, der Straße und in den Familien miteinander verbunden sind.“ 2012 wurde die Aufklärerin von „Newsweek“ zu den „150 mutigsten Frauen der Welt“ gezählt. Im November 2011 brachen ägyptische Polizisten ihr den linken Arm und die rechte Hand. Als sie daraufhin Klage erhob ,wurde diese abgewiesen. Sabotieren lässt Eltahawy ihre Arbeit nicht, die sie von Kairo und New York aus fortsetzt.

Die Fakten sind erdrückend. Laut einer Uno-Studie von 2013 geben mehr als 99 Prozent der Mädchen und Frauen in Ägypten an, auf der Straße sexuell belästigt worden zu sein. Eltahawy erklärt: „Wir arabischen Frauen leben in einer Kultur, die uns grundsätzlich feindlich gegenübersteht und die geprägt ist von der Verachtung der Männer. Sie hassen uns nicht etwa wegen unserer Freiheiten, wie es das abgedroschene amerikanische Klischee nach 9/11 gerne hätte. Wir haben keine Freiheiten, weil sie uns hassen.“

Betroffen vom Schisma der Geschlechter, vom „misogynen Gott“ (Eltahawy), sind, wäre hinzuzufügen, gleichwohl auch die Männer. Wird eine Frau zwangsverheiratet, ergeht es deren Ehemann ja ebenso. Wird ein Mädchen durch Beschneidung verstümmelt, ist auch ihr späterer Partner mit den traumatischen Folgen konfrontiert. Das komplexe System aus Angst, Aggression, Lustfeindlichkeit, Schuldgefühlen, das gesamte Gefüge der Machtbeziehungen betrifft beide Geschlechter – und wird teils von beiden erhalten, etwa von Müttern, die darauf insistieren, ihre Töchter der Folter der Beschneidung zu unterwerfen.

Männern werden jedoch kompensatorische Entlastungen gestattet. Sie können Aggressionen abreagieren – an Frauen, Kindern, Untergebenen, „Ungläubigen“. Suchen Frauen Freiheit, Sichtbarkeit, ihre eigene Stimme, provozieren sie Kontrolle und Gewalt. Väter, Brüder, Söhne, Ehemänner sind mitgefangen in dieser Haftanstalt des Hasses. Erkennen Männer das, beschleunigt sich der gesellschaftliche Wandel. Solange sie sich dessen nicht bewusst sein wollen, bleiben Frauen auf die Solidarität ihrer Geschlechtsgenossinnen angewiesen. Das war bisher in patriarchalen Strukturen – fast – immer der Fall.

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