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Nelly Furtado, 33, hat rund 16 Millionen Alben verkauft. Der größte Hit der in Kanada aufgewachsenen Tochter portugiesischer Einwanderer war 2006 die Single „Maneater“, produziert von Timbaland. Jetzt ist mit „The Spirit Indestructible“ (Universal) ihr fünftes Album erschienen.

© Bernardin/Universal

Nelly Furtado im Interview: „Ich singe wie eine Posaune“

Die kanadische R’n’B-Musikerin Nelly Furtado über Pop aus Korea, riesige Ohrringe und ihr neues Album „The Spirit Indestructible“.

Nelly Furtado, 33, hat rund 16 Millionen Alben verkauft. Der größte Hit der in Kanada aufgewachsenen Tochter portugiesischer Einwanderer war 2006 die Single „Maneater“, produziert von Timbaland. Jetzt ist mit „The Spirit Indestructible“ (Universal) ihr fünftes Album erschienen.

Frau Furtado, macht es Sie wütend, wenn überall geschrieben wird, Sie hätten seit sechs Jahren kein Album mehr veröffentlicht – dabei kam 2009 ihr spanischsprachiges Album „Mi Plan“ heraus?

Ach, das macht mich nicht wütend, mir ist klar, dass es getrennte Musikmärkte gibt. Ich habe für „Mi Plan“ sogar einen Latin Grammy gewonnen. Aber Leute, die sich nicht für spanische Musik interessieren, haben davon nichts mitgekriegt. So wie sie vielleicht auch noch nie von K-Pop gehört haben.

Sie meinen Pop aus Korea?
Ja, es gibt diese riesige K-Pop-Explosion, aber viele Leute haben keinen Schimmer davon. Ich verfolge die Entwicklung von K-Pop schon seit Jahren auf Youtube. Die Popwelt ist so auf England und Nordamerika zentriert – dabei gibt es da draußen eine riesige Fülle an Musik, die völlig unbekannt ist.

Genau so stellt man sich Nelly Furtado immer vor: als „La-la-la“ trällerndes und verschiedenste Stile einsammelndes, nun ja, Multikultimädchen.
Danke! Ich bin wirklich ein sehr positiver Mensch. Es stimmt, ich lasse mich durchs Leben und um die Welt treiben, meistens jedenfalls. Natürlich nehme ich mir auch Zeit, um nachzudenken. Aber ich habe eine naive, simple Seite. Nennen Sie mich eine Spinnerin, aber ich träume zum Beispiel nicht nur vom Weihnachtsmann und von Las Vegas, sondern sogar vom Weltfrieden!

Und Pop ist der Ort, an dem sich solche Träume formulieren lassen?
Vermutlich. Ich habe jedenfalls kein Problem damit, dass ich auch mal kitschig bin. So war ich schon immer!

Video: Nelly Furtado ist zurück

Auf Ihrem neuen, englischsprachigen Album „The Spirit Indestructible“ haben Sie eng mit dem amerikanischen R’n’B-Produzenten Rodney „Darkchild“ Jerkins zusammengearbeitet.
Oh ja. Rodney ist so toll! Er ist einer dieser Typen, die unglaublich gut sind, aber trotzdem als Geheimtipp gelten – obwohl er schon viele Hits produziert hat.

Die Songs auf „The Spirit Indestructible“ sind sehr poppig und perkussiv. Wie arbeitet es sich mit Darkchild zusammen?
Rodney sitzt zwischen seinem Keyboard und seinen Drum-Machines und macht fast alles alleine. Viele Produzenten arbeiten mit einem Pool von Zulieferern zusammen, mit Programmierern, Beatmachern und Musikern. So war es bei meinem „Loose“-Album mit Timbaland. Rodney arbeitet nicht so. Er entwickelt alles aus sich selbst heraus. Ich schätze, es liegt daran, dass er ein Klavierwunderkind war. Das Musikmachen ist für ihn nie eine Entscheidung gewesen, es wurde ihm in die Wiege gelegt. Bei mir war es genauso: Mein Großvater war Dirigent einer portugiesischen Marschkapelle, meine frühesten Erinnerungen sind musikalischer Art.

"Ich habe genau die richtigen Lippen für Posaune"

Stimmt es, dass Sie als Kind Posaune gespielt haben?
Hört man das nicht an meinem Gesang? (lacht) Mein erstes Instrument war die Ukulele, da war ich sieben, aber ein Jahr später habe ich mit Posaune angefangen.

Ungewöhnliche Wahl für ein Mädchen.
Wir sollten in der Schule sagen, welches Instrument wir gerne spielen würden. Wie die meisten Mädchen habe ich Piccolo-Flöte angekreuzt. Aber mein Musiklehrer brauchte einen Posaunisten für die Schulband. Er sagte, ich hätte genau die richtigen Lippen für Posaune, sie seien ideal geformt, um den Ansatz gut hinzukriegen. Also probierte ich es – und habe mich sofort verliebt. Der Zugmechanismus hat mich fasziniert! Ich habe zehn Jahre lang jeden Tag geübt, bis ich 18 war. Man kann es wirklich an meinem Gesang hören!

Wie meinen Sie das?
Na, was die Rhythmik angeht! Portugiesische Marschmusik ist ja sehr perkussiv. Die Atmung, der Luftstrom, all diese kleinen Akzente und Stöße, die man mit den Lippen erzeugen muss ... Manchmal singe ich heute noch in diesem Blasmusikduktus: Ba-da-pa-pa-ching-ching-ching! Ba- da-pa-tschäng-tschäng! Na, hören Sie es?

Toll! Lassen Sie uns auch über die erste Single von Ihrem neuen Album reden. Da rappen Sie die Zeile „The bigger the better“, der Song heißt „Big Hoops“ – große Kreolen. Ein Wortspiel?
Ich wollte den Song nicht „The Bigger the Better“ nennen, denn dann hätten die Leute gedacht, es sei ein Song über Sex – was er aber gar nicht ist!

Nicht?
In Deutschland scheinen die Leute zu denken, ich singe „Big Boobs“!

Video: Nelly Furtado ist zurück

Worum geht es denn in „Große Kreolen“?
Um Selbstvertrauen. Ich habe mich an die kleine Nelly Furtado erinnert, wie sie mit 14 war. Ich führte mich schon damals auf, als sei ich ein Star! Ich pickte mir aus der Schmuckkiste meiner großen Schwester immer die allergrößten Kreolen heraus, zog mir Baggy-Jeans an und fuhr mit dem Bus in die Stadt. Dort hing ich vor dem Einkaufszentrum ab und rappte. Ich liebte damals Salt ’n’ Pepa, Mary J Blige, all diese R ’n’ B-Künstler. Für den Song habe ich mich an dieses innere Vertrauen erinnert, das man als Jugendlicher hat, das man als Erwachsener aber häufig vergisst – diese Kick-ass-ness!

Das lässt sich wirklich nicht übersetzen.
Dieses „Hoppla, hier komm ich und mir gehört die Welt“. Diese Attitüde steckt auch in der Zeile „The bigger the better“: Greif dir das Mikro – je größer dein Selbstvertrauen, desto besser wird es klingen.

Haben Kreolen für Sie auch eine übertragene, kulturelle Bedeutung?
Unbedingt. Kreolisierung ist ein großer Teil meiner Kultur. Auf meinem Album singt Sara Tavares mit. Ihre Eltern stammen aus Angola, sie ist in Portugal aufgewachsen – viele kreolische Elemente!

Man könnte auch den neuen Track „Parking Lot“ als Beispiel nehmen: Da mischen Sie ur-amerikanischen Fifties-Bubblegum-Teenpop mit Hip-Hop-Beats und brasilianischem Baile Funk.
Ja, und es steckt sogar noch ein australisches Didgeridoo mit drin. Unglaublich, wie gut das alles zusammenpasst, finde ich. Und wissen Sie was? Das Video, das wir gerade zu diesem Song gedreht haben, sieht total nach Bollywood aus! (lacht)

Das Gespräch führte Jan Kedves.

Jan Kedves

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