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Star aus "Iron Sky": Der Nazi-Schwan

Im Trash-Knaller „Iron Sky“ spielt Julia Dietze eine NS-Jugendoffizierin. Politisch daneben, aber ziemlich toll. Eine Begegnung in Kreuzberg.

Julia Dietze hätte es sich auch einfacher machen können mit ihrer Rolle in „Iron Sky“. Eine Fräuleinwunder-Prise Liselotte Pulver, ein bisschen Veronika Ferres mit ZDF-Mehrteiler-Mimik, dazu die Ufa-Ästhetik Marika Rökks. Ein Bund deutscher Mädel. Aber das wollte sie nicht, es hätte nicht gepasst. „Ich nehme mir für meine Figuren immer Tiere als Vorbilder“, erklärt die Schauspielerin, 31 Jahre alt, blondes Haar, rotgeschminkte Lippen, Zwanziger-Jahre-Schönheit. Deshalb ist ihre Nazi-Offizierin ein Schwan. Da ist man jetzt erst mal überrascht. Obwohl einen eigentlich nicht so viel überraschen sollte bei einem Interview mit der Hauptdarstellerin eines Films, der so etwas wie der Guerilla-Beitrag der diesjährigen Berlinale war, ein herrlich überkandidelter Partycrasher auf Dieter Kosslicks sonst eher gediegenem Filmabend.

„Iron Sky“ des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola ist eine auf die Leinwand gebrachte Verschwörungsspinnerei über Nazis, die, nach ihrer Erdflucht 1945, auf der dunklen Seite des Mondes eine Basis in Hakenkreuzform errichtet haben, um im Jahr 2018 mit einem Meteorblitzkrieg doch noch die Weltherrschaft an sich zu reißen. Skandinavischer Weltraumtrash mit Udo Kier und Götz Otto als comichaft überzeichnete Nazi-Führer, einem Sarah-Palin-Verschnitt als US-Präsidentin und einem künstlich zum Arier albinisierten afroamerikanischen Astronautenmodel. Grindhouse trifft „Schweine im Weltall“ – am Donnerstag läuft der Film an.

Julia Dietze spielt die Rolle der Renate Richter, blonde Mondjugendoffizierin, volksdeutsches Postergirl, die zu Beginn der Geschichte noch hoffnungslos indoktriniert und leichtgläubig, mit dem Glauben an den Nationalsozialismus als höchste Form der Menschlichkeit, über das Celluloid slapstickt. Die am Ende aber, nach einer Heldenreise vom Mond bis nach Washington D.C., die Augen geöffnet bekommt und zur Erdenretterin wird.

Dietze verkörpert diese Renate Richter als ideologisch verstrahlte Massenverführerin mit Mutter-Theresa-Komplex und Malcolm-X-Habitus. Aber eben auch als Schwan. Die eigentliche Vorbereitung auf die Figur begann deshalb, eher unterbewusst, bereits vor ein paar Jahren in London. Nach einem Casting, Leerlauf bis zum Rückflug, entdeckte Julia Dietze das Tier im Hyde Park. Sie blieb stehen, beobachtete, studierte. Die Bewegungen, den Flügelschlag. Vier Stunden lang.

Während der Dreharbeiten dann spürte sie die Flügel im Rücken, sie zogen ihre Schulterblätter nach hinten, das erleichterte die aufrechte Haltung in einer aufrechten Uniform. Wichtiger aber war Julia Dietze das Wesen des Schwans. „Ich brauchte ein Tier, das eine 180-Grad-Drehung vollzieht“, sagt sie. „Schwäne sind am Anfang unscheinbar, das hässliche Entlein, so grau. Wie ich in dieser Uniform. Dann aber entwickeln sie diese Kraft mit ihren Flügeln.“ Ausgebreitete Arme. Es ist die Pantomime jener Wandlung, die Julia Dietze besonders gereizt haben muss, schließlich ist die Jonglage mit Gegensätzen auch Teil ihrer eigenen Biografie, ihrer Inszenierung.

In „Iron Sky“ spiegelt sich Dietzes Liebe zum Trash wieder

Zum Interview in Kreuzberg, ihrem Berlin, wie sie sagt, kommt Julia Dietze dann auch, klar, erst mal super lässig. Trägt Asics-Laufschuhe zum Sommerkleid in Schmeichelbeige, die sie aber dann noch schnell, im Gehen fast, gegen ein Paar Pumps tauscht. Bisschen Casual, bisschen Gala. Julia Dietze ist irgendwie immer beides.

Geboren in Marseille, aufgewachsen in München-Schwabing. Der Vater ein deutscher Künstler, die Mutter Französin. Als Kind Kirchenchor, Flöte, Klavier. Mit 13 dann Dancehall-Klubs, weite Hosen, Dreadlocks. Aber auch die Lyrik Else Lasker-Schülers. Komplettprogramm Pubertät.

Entdeckt wird sie in einem Fastfood-Laden, als sie sich, aus Spaß, mit einem Freund prügelt. Sie bekommt ein Angebot für eine Rolle in „Crazy“, dem Initiationsfilm der Generation Bravo Hits. Dafür aber müsste sie sich ihre Dreads abschneiden, sie lehnt ab. „Das ist rückblickend ziemlich dämlich gewesen“, sagt sie heute. Denn wenige Wochen später fallen die Haare doch. Für ein Fotoshooting einer Teenie-Zeitschrift. „Die haben mir dann eine Technofrise verpasst. In Lila.“

Julia Dietze erzählt solche Geschichten, egal wie peinlich sie sind, und lacht danach so befreiend, als würde sie das alles selbst gerade zum ersten Mal hören. Zwerchfellzittern, Schenkelklopfer. Lustig. Dabei entsteht ein Mienenspiel, das die Contenance des Damenhaften zu einer entwaffnenden Rotzfrechheit zerfließen lässt. Das sind dann Momente, in denen der Punk aus ihr spricht, ihre große Liebe zum Trash, die sie in „Iron Sky“ ungeniert ausleben durfte. Sie spiegeln aber auch den Spaß der Schauspielerin an der Grenzübertretung. Denn: „Politisch unkorrekt zu sein, macht verdammt viel Spaß, weil sich dann alle darüber echauffieren.“ Natürlich kommt da jetzt aber auch, unweigerlich, die „Inglorious Basterds“- Frage. Darf man über Nazis lachen, Julia Dietze? Sie nickt. „Ich finde ja, weil man sie ihrer Macht beraubt, indem man sie lächerlich macht.“ Nur über den Holocaust lachen, das ginge nicht. Der Holocaust, sagt sie, gehöre nicht in eine Komödie. Schon ist der Punk wieder einer seriösen Haltung gewichen.

Warum Quentin Tarantino Dietze schätzt

Ein Wechselspiel, das sich auch in ihrer bisherigen Arbeit als Schauspielerin niederschlägt. „Ich habe schon ein paar Leichen im Keller“, sagt sie und meint Jugendsünden wie die Knallcharge „Pura Vida Ibiza“. Das ist die eine Seite. Auf der anderen stehen ruhigere Filme wie das Drama „Little Paris“. Und ohnehin: Mit Julia Dietze, das hat Quentin Tarantino einmal gesagt, nach einer Scotch-getränkten Begegnung im Avalon Theatre in Washington, kann man wunderbar über den europäischen Film sprechen. Da ist sie dann ganz Halbfranzösin, erzählt von ihrer Leidenschaft für Truffaut und Godard, Kino der Qualität. Sagt aber auch schnoddrige Sätze wie: „,Café de Flore’ mit Vanessa Paradis ist Hardcore. Einer der letzten Filme, bei dem ich komplett geflasht aus dem Kino rausgegangen bin.“ Man versteht, wieso Tarantino mit Julia Dietze damals einen Abend lang gesoffen hat.

Interessant ist jetzt natürlich, was nach „Iron Sky“ kommt. Gerade war Dietze als Eva Braun im Gespräch. „Eine sehr anspruchsvolle Rolle.“ Kleine Pause, großes Aber. Kopfschütteln. Renate Richter. Eva Braun. Das geht nicht. Da ist die Gefahr zu groß, hinterher die Charaktermaske des deutschen Fräuleins nicht mehr abstreifen zu können.

Ihre Traumrolle ist aber ohnehin eine andere. Else Lasker-Schüler, die Dichterin ihrer Jugend. „Eine unglaublich starke Persönlichkeit, die viel erkannt hat im Nationalsozialismus. Die würde ich gerne spielen“, sagt Julia Dietze, bevor sie los muss, zum Tanzunterricht, Pumps wieder gegen Laufschuhe tauscht. Es wäre der andere, der jüdische Blick. 180 Grad eben.

„Iron Sky“ läuft ab 5. April im Central Hackescher Markt (OmU und OV), im Cinestar Cubix, im Cinestar Sony-Center (OV) und im International (OmU).

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