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Die Queen kommt an die TU Berlin für ihre Queen's Lecture.

© John Macdougall/AFP

Queen Elizabeth II. besucht TU Berlin: Die praktische Prinzessin

Am heutigen Mittwoch beehrt Elizabeth II. die TU Berlin für ihre „Queen’s Lecture“. Sie selbst hat nie studiert und keine Schule besucht. Ihr Fleiß ist aber legendär.

Es ist eines der originelleren Geschenke, das ein Staatsoberhaupt überhaupt machen kann: Nicht etwa eine Silberschale mit Gravur, wie sie selbst eine erhielt, als sie 1965 zum ersten Staatsbesuch nach Berlin kam, auch kein Spiegel-Teleskop, wie es Prinz Philip mit nach Hause nahm. Nichts, was man am besten in einer Vitrine aufbewahrt, nichts, worauf je Staub fallen könnte.

Eine Vorlesungsreihe hat Königin Elizabeth II. Berlin damals vermacht: Jedes Jahr sollte die „Queen’s Lecture“ mit einem herausragenden britischen Wissenschaftler den Berlinern aus dessen Forschung erzählen und damit an ihren Staatsbesuch erinnern. Eine lebendige Tradition, die seit 1997 an der TU beheimatet ist und dort regelmäßig zeigt, dass angelsächsische Unterhaltsamkeit keinen Mangel an Intellekt bedeutet.

Doch wenn Ihre Majestät am Mittwoch im Audimax der TU Platz nehmen wird, um dem 50. Jahrestag dieses Geschenks beizuwohnen, wenn Neil MacGregor als diesjähriger Redner das Wort ergreifen wird, dann dürfte niemand auf die Idee kommen, dass die Stifterin nie eine Schule, geschweige denn eine Universität von innen gesehen hat. Königin Elizabeth II., 89 Jahre alt, hält seit über 60 Jahren das Commonwealth moralisch zusammen, ihr Kleid wird auf die Beleuchtung im Lichthof abgestimmt sein, aber vermutlich wird sie die einzige Anwesende ohne Schulabschluss sein.

Reiten, Gassigehen, Basteln, Tanzunterricht - die praktische Prinzessin

Das ist keine Majestätsbeleidigung, sondern war erklärtes Erziehungsziel ihrer Eltern: Schöne Erinnerungen für später bilden. Wenn das Leben nämlich zur Hauptsache aus Pflicht bestehen würde. Frischluft für die grauen Zellen. Der Journalist und Biograf Thomas Kielinger beschreibt in seinem Buch „Elizabeth II.“, wie sich die Schwester, Prinzessin Margaret, später oft beschwerte – „manchmal bewusst in Hörweite ihrer Mutter“ – wie dürftig sie und Elizabeth doch erzogen worden waren, „stimuliert von nichts mehr als Crawfie, Corgies und Ausritten im Windsor Great Park.“

Corgies bezeichnete die Hunderasse, die täglich Gassi geführt werden musste, „Crawfie“ das 25-jährige, schottische Kindermädchen Marion Crawford, die den beiden Prinzessinnen Allgemeinbildung beibringen sollte. In ihrem 1950 erschienenen Buch schreibt sie: „Der Herzog und die Herzogin von York waren nicht übermäßig besorgt um die Erziehung ihrer Töchter. Wichtig war ihnen eine glückliche Kindheit mit einer Menge angenehmer Erinnerungen für kommende Tage, und später dann eine glückliche Heirat.“

Neun Stunden am Vormittag habe die Prinzessin Unterricht gehabt – in der Woche! Dann Reiten, Gassigehen, Basteln, Tanzunterricht. Kielinger schreibt: „Als Erziehungsideal war das in den 30er Jahren mindestens um zwei Generationen überholt. Eine praktische, keine intellektuelle Prinzessin war das Ziel, gemäß der traditionellen Aversion des Königshauses gegenüber allem Intellektuellen.“

Die Vermeidung jeglicher intellektueller Ambition

Bei der Queen’s Lecture ist Elizabeth II. auch Botschafterin der Wissenschaft ihres Landes, in dem funkelnde Intellektualität längst als Sex-Appeal durchgeht. Aber für sie persönlich trifft das nicht zu. „In der Tat beruhte die Wirkung, die Elizabeth schon als Jugendliche auf ihre Generation ausübte, vor allem auf dieser Vermeidung jeglicher intellektueller Ambition: Es kam darauf an, die Monarchie populär zu erhalten, unter allen Schichten, vor allem (...) bei den einfachen Menschen, bei der Arbeiterklasse. Dort stand das praktische Ideal allemal über dem intellektuellen“, konstatiert Kielinger. Die Bildungsferne sollte so auch dem Erhalt der Monarchie dienen.

Es ist bekannt, dass einiges passieren muss, bis die Queen ein Buch in die Hand nimmt – zumindest, wenn es nichts mit Pferdezucht zu tun hat, ein Gebiet, auf dem ihr kaum einer etwas vormachen könne. Isoliert aufgewachsen, sollten sie und ihre Schwester keinen Kontakt zu anderen Kindern haben. So streng wurde das gehandhabt, dass viele vermuteten, die Tierliebe sei eine Ersatzfunktion.

Zum vierten Geburtstag bekam die Prinzessin, von der noch niemand sagen konnte, dass sie mit 25 Jahren den Thron besteigen würde, einen Baukasten mit den Ländern, die damals zum Empire gehörten. Ab sieben Jahren sorgte „Crawfie“ für Allgemeinbildung. Dass die Queen fließend Französisch spricht, liege auch an der Tatsache, dass sich zwischen ihr und der Lehrerin, die an den Hof kam, als sie elf Jahre alt war, eine Freundschaft entwickelt hat. Ansonsten erwähnt Kielinger Unterricht in Verfassungskunde und Geschichte ab ihrem 13. Geburtstag. Die wichtigste Lektion für ihre Rolle, die ein Lehrer des Eton College ihr vermittelte.

Viel wichtiger als formale Bildung war es, zu vermitteln, dass das, was die Royals tun, Arbeit ist. Das kann dann auch die Arbeiterklasse nachvollziehen. Und so blickt die Queen heute auf eine Familie, deren Mitglieder als Gärtner, Landwirte und Armeeangehörige eine seltene Pflanze, ein Pferd, einen Hund oder einen Hubschrauber immer einem Buch vorziehen. Prinz Charles versucht, es aussehen zu lassen, als sei der Palast eigentlich ein Bauernhof – mit dem Ziel der Erhaltung alter Arten. Möglich, dass dieser Auftrag die Bewohner gleich mit einschließt. Die Enkel haben zwar akademische Abschlüsse, aber keine intellektuellen Interessen. Sie absolvierten ihre Universitätsausbildung erklärtermaßen, weil das Studentenleben einen Rest von Narrenfreiheit bedeutet, die sie sich danach auf absehbare Zeit nicht mehr erlauben dürfen.

Ein Internat sei damals für Elizabeth nicht infrage gekommen, schreibt Kielinger. Quasi aus Rücksicht auf die renommierten Schulen: Die nicht ausgewählten hätten sich sonst zurückgesetzt gefühlt. Und so ist Königin Elizabeth II. vielleicht nicht in einem formalen Sinne ausgebildet, doch immer im Bilde. Ihr Fleiß ist legendär. „Nie in der Geschichte hat ein britisches Staatsoberhaupt so viele Dokumente gelesen und pflichtbewusst markiert wie die heutige Queen.“ Sie sei charakterfest, stoisch und zielstrebig.

Elitär und volksnah zugleich

Das, was viele um sie herum als historisches Theater und lästige Pflicht abtun, absolviert sie mit einem heiligen Ernst, seitdem sie Teenager ist. Zu diesem Ernst gehört das Studium der „Red Boxes“ – die täglichen Berichte der Staatsführung. Deren jahrzehntelange Lektüre kann man vielleicht als ihre eigentliche Ausbildung bezeichnen. Maßgeschneidert für ihren Zweck bilden sie nun ihre Pflicht und auch ihren Rückzugsort. Als die Nation um Dianas Tod trauerte, saß sie auf Schloss Balmoral und las die „Red Boxes“. Die Prüfungen der Queen sind ganz eigener Natur.

Der Glanz ihrer Amtszeit hat mit formaler Bildung nichts zu tun. Zwar ist ihr ein ganzes Empire einfach zugefallen, aber sie hat es geschafft, sich diese Rolle im Nachhinein durch Leistungswillen zu verdienen. Paradoxerweise ist es ihr so gelungen, mit alldem ererbten Prunk Begriffe wie Leistung, Überwindung und Arbeit zu verbinden.

Man hat nach dem Tod Dianas öffentlich an der Herzensbildung der Königin gezweifelt, doch eine formale Schulbildung hat nie jemand vermisst. Das, was sie für ihre Rolle braucht, ist mit formaler Bildung vermutlich gar nicht zu erlangen.

Wenn Engländer heute in Massen zum Feiern nach Berlin kommen, fliegen sie mit Easyjet und ordern in Berlin ihr Bier. Die Queen schwebt heute Abend mit einer Legacy 650 ein. Und dass sie sich 50 Liter besten Wacholderschnaps mitgebracht hat, der auf ihrer Geburtstags-Gartenparty in der Residenz des Botschafters ausgeschenkt wird, ist dann wieder elitär und volksnah zugleich.

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